# taz.de -- Soziologe Georg Vobruba im Gespräch: Wann wird Kritik zur Verschw�… | |
> Bill Gates, die Reichen, die Grünen: Georg Vobruba hat das | |
> Verschwörungsweltbild untersucht, das die Komplexität der Welt auf ein | |
> paar Sündenböcke reduziert. | |
Bild: Mailand, 13. November 2021: Coronaüprotest in Mailand | |
taz: Herr Vobruba, mit der Pandemie, dem zarten Versuch von Klimapolitik | |
und dem Aufstieg des Rechtspopulismus ist auch Verschwörungsdenken in | |
Deutschland sichtbarer geworden. Sie haben dafür die Texte „alternativer“ | |
Medien untersucht. Was ist Ihre zentrale These? | |
Georg Vobruba: [1][Verschwörungsdenken richtet sich gegen den Grundgedanken | |
der Moderne], dass die Gesellschaft sowohl in ihrer Organisation als auch | |
in ihrer Deutung keine Spitze hat und damit nicht von oben gelenkt und | |
geleitet werden kann. Moderne Gesellschaften entwickeln sich nicht geplant, | |
sondern als unbeabsichtigtes Ergebnis einer großen Menge nicht | |
koordinierten Handelns. Im Verschwörungsweltbild dagegen wird alles, was | |
ökonomisch an Missliebigem passiert, auf den Willen und die Interessen | |
einer kleinen Minderheit oder Elite zurückgeführt. | |
taz: Ähnlich wie im vormodernen Denken? | |
Vobruba: Ja, aber anders als bei Gott, Natur, Schicksal ist diese | |
herrschende Spitze – sind die Verschwörer – immer böse. So kann eine | |
Neuerung immer nur eine Verschlechterung sein. | |
taz: Ist Verschwörungsdenken ein rechtes Weltbild? | |
Vobruba: Man muss mit der Zuordnung rechts und links ja grundsätzlich sehr | |
vorsichtig sein, bei Verschwörungsweltbildern erst recht. Es lässt sich | |
aber sehr gut zeigen, dass Eckpunkte des Verschwörungsdenkens sehr | |
kompatibel mit rechtem Denken sind und [2][auch mit Antisemitismus]. | |
taz: Wie funktioniert das? | |
Vobruba: Wenn alles, was passiert, auf eine kleine Minderheit zurückgeführt | |
wird, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um auf bekannte Namen und | |
Stereotype zurückgreifen und man hat Rothschild, [3][George Soros], die | |
Ostküste. Es gibt nackten Antisemitismus, der ist aber in den Quellen, die | |
ich kenne, selten offen ausgeführt. | |
taz: Bei Linken gibt es eine Tendenz, die „Reichen“ als Gruppe und | |
Identität zusammenzufassen, die zum Faschismus neige. Das ist nahe an | |
Verschwörungsdenken, oder? | |
Vobruba: Die Rede von „den Reichen“ erinnert stark an | |
verschwörungstechnisches Wording, muss es aber deswegen noch nicht sein. | |
Sicher gibt es unter Reichen auch Nichtsnutze jeden Geschlechts, denen man | |
das zutrauen kann. Aber natürlich nicht allen. Generell geht es im | |
Verschwörungsdenken um „die Reichen“ als Chiffre für Kapitalismus oder f�… | |
das Kapital, was auch immer das sein mag. In manchen Fällen scheint es mir | |
eher moralische Entrüstung zu sein über Leute, die über sich die Kontrolle | |
verloren haben. | |
taz: Bringen solche Entrüstungen etwas oder entsteht der Eindruck, dass wir | |
überall von Nazis umgeben sind? | |
Vobruba: Wenn es einen solchen Eindruck verfestigen sollte, dass wir | |
überall von Nazis umgeben sind, wäre es grob schädlich. Das sind wir | |
nämlich nicht. Genau das wäre Verschwörungsdenken. Aufregen kann man sich | |
aber schon darüber. Es folgt halt nur nicht viel daraus. | |
taz: Warum brauchen Leute in dieser Zeit ein Verschwörungsweltbild, etwa | |
von einem freiheitsraubenden Staat, der sie mit erfundener | |
[4][Erderhitzung] und Pandemiepolitik unterjochen, krank machen oder gar | |
durch Impfen töten will? | |
Vobruba: Menschen, die im Verschwörungsweltbild gefangen sind, halten | |
Ambivalenzen nicht aus. Es wird immer das Schlimmste angenommen. | |
Mittlerweile weiß man, [5][dass manche Freiheitseinschränkungen während der | |
Pandemie übertrieben waren]. Aber man weiß nicht, wie es gewesen wäre und | |
wie viele gestorben wären ohne Freiheitseinschränkungen wie Distanzregeln. | |
Präventionspolitik ist aber genau der Punkt, den die | |
Verschwörungsdenkerinnen und -denker nicht verstehen können oder wollen. | |
taz: Wir Linken haben früher auch immer das Schlimmste angenommen, | |
Atomstaat und so weiter. | |
Vobruba: [6][Ich nicht.] | |
taz: Dann waren Sie eben kein Linker. | |
Vobruba: Das bestreite ich. Aber es zeichnet komplexe, moderne | |
Gesellschaften aus, dass sie zweifellos von Menschen geschaffen werden, | |
doch dass am Ende etwas anderes herauskommt, als diese wollen. Das kann | |
auch gute Ergebnisse bedeuten, selbst wenn die Intentionen übel waren. Das | |
gibt es auch. | |
taz: Ich will darauf hinaus, dass es zu einfach wäre, | |
[7][Verschwörungsweltbilder auf eine Gruppe durchgeknallter sogenannter | |
Querdenker zu reduzieren]. | |
Vobruba: Nie im Leben sollte man so denken, schon deshalb nicht, weil die | |
Analyse des Verschwörungsweltbildes einen nicht unerheblichen Aspekt von | |
Selbstaufklärung hat. Erstens: welche Essentials des modernen Denkens | |
wirklich wichtig sind. | |
taz: Welche sind das? | |
Vobruba: Die, die von diesem Verschwörungsweltbild angegriffen werden. | |
Zweitens gehört es zur Selbstaufklärung, dass es in der Denktradition der | |
Linken zumindest Strömungen gegeben hat, die dem Verschwörungsdenken | |
verwandt sind. Der stalinistische und auch der sogenannte | |
strukturalistische Marxismus etwa. Drittens gibt es auch Schnittmengen | |
zwischen der Soziologie und dem Verschwörungsdenken, das hat erheblichen | |
Aufklärungswert für das Fach. Und zwar überall dort, wo sie Handeln a | |
priori festlegt, also deterministisch denkt. | |
taz: Freiheit beziehungsweise Freiheitsberaubung spielt eine große Rolle in | |
diesen Weltbildern. | |
Vobruba: Ja, dem Verschwörungsdenken liegt meist ein rechts-anarchistischer | |
Freiheitsbegriff zugrunde, der sich in erster Linie durch Staatsfeindschaft | |
auszeichnet und sich reduzieren lässt auf den Satz: Freiheit ist das Recht, | |
in Ruhe gelassen zu werden. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung eines | |
amerikanischen Farmers, der Haus und Felder mit dem Gewehr verteidigt. | |
Soziale Sicherheit, die Freiheiten ermöglicht, gibt es in diesem Weltbild | |
nicht. | |
taz: Wer sind die Sündenböcke, die man als böse Elite fantasiert, die alles | |
für sich und gegen das brave Volk bestimmen? | |
Vobruba: Der prominenteste Sündenbock ist Bill Gates – und die Leute des | |
World Economic Forum, interpretiert als Clique. Generell kann man sagen: | |
Die Sündenböcke müssen einigermaßen bekannt sein, müssen reich sein und in | |
den Mainstreammedien, wie die Verschwörungsliteratur sie nennt, vorkommen. | |
taz: Wie werden die Informationen aus Massenmedien zu Verschwörung | |
verarbeitet? | |
Vobruba: Die Fakten werden einfach umgedreht. Der Direktor von Frontex | |
sagt, es sei unmöglich, Grenzen absolut dicht zu machen. Daraus wird die | |
Nachricht gemacht, er habe gesagt, er habe die Absicht, Grenzen zu öffnen. | |
Oder die Weltgesundheitsorganisation WHO macht eine Kampagne für gesünderes | |
Essen. Verbreitet wird die Nachricht, die WHO habe zugegeben, dass sie die | |
Menschheit ausrotten will. | |
taz: Wie haben es die Grünen geschafft, in populistischen Erzählungen auch | |
zu Superschurken des Verschwörungsweltbildes aufzusteigen? | |
Vobruba: Sie sind nicht aufgestiegen, aber sie werden eingebaut. Das | |
absolutistische Weltbild mit einer Spitze hat verschiedene Ebenen. In den | |
wenigsten Fällen manipulieren Bill Gates persönlich oder Rockefeller oder | |
die Rothschilds die ganze Welt. Die haben ihre Marionetten auf mehreren | |
Etagen. Und auf einer unteren Etage kommen die Grünen relativ prominent vor | |
und übrigens auch die Klimakleber, von denen das Verschwörungsdenken | |
herausgefunden haben will, dass sie Agenten des Staates sind. | |
taz: Um das Volk zu unterdrücken? | |
Vobruba: Ja, letztlich läuft alles darauf hinaus: Angst verbreiten, | |
leichter regierbar machen, unterdrücken. | |
taz: Es gibt Teile des liberaldemokratischen Spektrums, die sich daran | |
anhängen und erzählen, die Grünen wollten die Wirtschaft zerstören. Ist das | |
auch Verschwörungsdenken? | |
Vobruba: Na ja, Populismus – egal, von wem er kommt – ist nicht unbedingt | |
Verschwörungsdenken, aber es gibt eine Verwandtschaft. Richtiges | |
Verschwörungsdenken ist, dass zahlreiche Grünen-Politiker, die beim Young | |
Leaders Program des World Econonic Forum waren, von dieser zentralen Spitze | |
geschult wurden, im Interesse der USA die europäischen Wirtschaften und | |
Gesellschaften kaputtzumachen. Das wird in der Verschwörungsliteratur | |
häufig so dargestellt. Von diesem Punkt führt leider ein relativ kurzer Weg | |
zu Gewaltdispositionen. Dafür gibt es zwei Zutaten. Zum einen wird im | |
Verschwörungsdenken immer wieder beschworen, dass es fünf vor zwölf ist und | |
jetzt schnell gehandelt werden muss. Zweitens aber sind die obersten | |
Drahtzieher unerreichbar. Also hält man sich an die untere Ebene, an die | |
man rankommt, etwa im Wahlkampf. | |
taz: Was ist der Plan im Verschwörungsweltbild, um das Volk zu retten? | |
Vobruba: Die positive Utopie? Gibt es fast nicht. Aus dem | |
Verschwörungsweltbild ergibt sich Widerstand, Widerstand, Widerstand. Die | |
herrschenden Verhältnisse sind in diesem Denken nicht reformierbar. Wenn | |
positive Veränderung gedacht wird, geht es um ein Neuaufstellen der | |
Gesellschaft von Grund auf. Die parlamentarische Demokratie und das | |
Repräsentationsdenken werden abgelehnt, das wird es da nicht mehr geben. | |
Wie die neue Gesellschaft aussehen soll, wird aber selten ausbuchstabiert, | |
und wenn, sind das meistens merkwürdig schlichte Hippie-Fantasien. | |
Irgendwas Dezentrales, basierend auf Handwerk und Landwirtschaft, mit | |
Basisdemokratie und einem Rat der Weisen, von denen angenommen wird, dass | |
sie altruistisch sind. | |
taz: Das klingt ja wie eine ökosozialistische antiglobalistische | |
Schrumpfungsfantasie. | |
Vobruba: Ja, die saugen von überall ein bisschen auf. Der Hauptgedanke ist, | |
dass das Neue eine einfache Gemeinschaft sein muss – das Gegenprogramm zur | |
komplexen Moderne. | |
taz: Wie kommt man dahin? | |
Vobruba: Man hat keinerlei Probleme, sich eine Erziehungsdiktatur | |
vorzustellen. Die Menschen müssen erzogen werden, bis man ihnen den | |
Egoismus ausgetrieben hat und sie bereit sind, für die Gemeinschaft tätig | |
zu werden. | |
25 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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