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# taz.de -- Hajo Funke über Proteste an den Unis: „Autoritäre Tendenz wird …
> Die propalästinensischen Proteste an Universitäten dürfen nicht pauschal
> als antisemitisch bezeichnet werden, sagt Politikwissenschaftler Hajo
> Funke.
Bild: Bewegte Zeiten: Eine Demonstrantin wird am 7. Mai 2024 in der Freien Univ…
taz: Herr Funke, die [1][Proteste gegen den Krieg in Gaza] beschäftigen
seit Monaten die Berliner Universitäten. Stimmt der Vorwurf, die Proteste
seien antisemitisch?
Hajo Funke: Einige äußern sich antisemitisch. Das [2][Protestcamp des
„Palästina-Komitees“ an der Freien Universität (FU) im Juli] – das
sogenannte Heba-Camp – war allerdings trotz unbelegter Vorwürfe definitiv
nicht antisemitisch. Ich habe es mehrfach besucht und auch Vorträge dort
gehalten. Ich kann also keine pauschale Antwort auf diese Frage geben.
taz: Sie sagen, es gab durchaus antisemitische Äußerungen?
Funke: Zum Beispiel das [3][rote Dreieck], das an der Humboldt-Universität
(HU) gesprüht wurde, ist meines Erachtens im Kontext des [4][Gazakriegs]
antisemitisch, weil es sich auf die Hamas bezieht. Auch wer Zionismus
delegitimiert und Juden das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt, handelt
antisemitisch. Ich folge der klugen, ausführlich begründeten
„[5][Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus]“. Ohne Differenzierung
sollte man nicht einfach davon reden, vor allem Verantwortliche nicht, was
antisemitisch sei oder nicht.
taz: Während der Proteste an der FU sprachen Sie von einer „Hetzkampagne
gegen die Studierenden“.
Funke: Ja, [6][im Mai wurde der Theaterhof an der FU besetzt], kurz darauf
erklärte eine Polizeisprecherin, dass angeblich antisemitische Parolen
gerufen wurden, ohne das zu belegen. Zeitnah folgten ähnliche Äußerungen
des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner. Das geht gar nicht. Man muss
solche Behauptungen begründen.
taz: Was war die Konsequenz?
Funke: Auf Anordnung des FU-Präsidiums wurde die Besetzung geräumt. Es ist
belegt, dass die Polizei dabei sehr brutal vorgegangen ist. Nach wie vor
laufen Ermittlungen gegen Studierende. Ich habe mich [7][zusammen mit über
tausend Kolleg:innen in einer öffentlichen Stellungnahme an die Seite
der Studierenden gestellt]. Darin fordern wir, das Recht auf Versammlungs-,
Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen. Danach kam es zur Hetze
der Bild-Zeitung, die uns des „Juden-Hasses“ bezichtigte. FU und HU haben
Beschwerde beim Deutschen Presserat eingereicht. Übrigens hat auch die
Bundeswissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger sich in diesem
Bild-Artikel entsprechend geäußert.
taz: Wie kam es zu der, wie Sie sagen, Kampagne und warum beteiligte sich
die Wissenschaftsministerin?
Funke: Wie gesagt: Es gab Situationen, in denen antisemitisch agiert wurde,
aber es gibt auch ein breites Spektrum von Äußerungen, die man diskutieren
muss. Aber wenn keine Diskussion stattfindet und stattdessen die Berliner
Studierenden, meine Kolleg:innen und ich pauschal des Antisemitismus
bezichtigt werden, zeigt das einen [8][Verfall der Diskussionskultur – eine
autoritäre, gefährliche Entwicklung].
taz: Was sagen Sie zu den Forderungen der Studierenden?
Funke: Die muss man sich einzeln anschauen. Ich befürworte zwar einen Stopp
der [9][Waffenlieferungen aus Deutschland] mit dem Ziel eines
Waffenstillstands, jedoch teile ich nicht die pauschale Forderung nach
einem Boykott aller israelischen Universitäten. Ich bin zum Beispiel für
ein Ende der Kooperation mit der Ariel-Universität. Die wurde von radikalen
[10][Siedlern] in der Westbank errichtet.
taz: Eine weitere Forderung richtete sich gegen die [11][Wiedereinführung
des Ordnungsrechts im Berliner Hochschulgesetz]. Die Studierenden fürchten
eine willkürliche Anwendung gegen politisch missliebige Aktivist:innen. Was
halten Sie davon?
Funke: Die Einschätzung teile ich. Wie ich vorher sagte: Die autoritären
Tendenzen werden stärker. Und die Willkür haben wir ja an der vom Präsidium
angeordneten polizeilichen Räumung gesehen. Mittlerweile findet ein Dialog
mit Teilen des Präsidiums statt, hoffentlich bald auch mit einer größeren
Öffentlichkeit. Man muss sich dieser schwierigen Situation kommunikativ
stellen.
taz: Was sind die Ergebnisse des bisherigen Dialogs mit dem Uni-Präsidium?
Funke: Zunächst einmal, dass es überhaupt einen Dialog gibt. Auch muss eine
Rücknahme der Anzeigen geprüft werden. Das sind erste Schritte, der Prozess
kommt langsam voran. Wir haben eine Mehrfachproblematik, die immer wieder
Kurskorrekturen und neue Einsichten erfordert: Der Angriff der Hamas, der
furchtbare Krieg, den die israelische Regierung trotz weltweiter Kritik
auch nach mehr als 130.000 Toten und Verletzten verlängert und ausweitet,
aber auch die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland und
eine Öffentlichkeit, die nicht angemessen darauf eingeht.
taz: Ich höre heraus, dass Ihnen in der Diskussion die Differenzierung
fehlt.
Funke: Ja, wir brauchen in aufgeheizten, polarisierten Situationen ein
besonderes Maß an Differenzierung, Genauigkeit und Mut, besonders wenn es
um Kriege geht. Das ist eine große Herausforderung und ich messe
Politiker:innen und Universitätspräsidenten auch daran, ob sie diesen
Ansprüchen gerecht werden. Man braucht in Krisensituation nicht nur
anständige, sondern auch couragierte Persönlichkeiten. Die Präsidentin der
Technischen Universität Berlin, [12][Geraldine Rauch, die glaubhaft Fehler
eingeräumt hat] und keineswegs Antisemitin ist, war ein Vorbild in Sachen
Courage.
taz: Und ist FU-Präsident Günther Ziegler diesen Ansprüchen gerecht
geworden?
Funke: Ich erwarte, dass Präsident, Präsidium und akademischer Senat sich
intensiv mit den Interessen der Studierenden, und natürlich auch der
Protestierenden auseinandersetzt, die Anzeigen zurücknimmt und sich der
Diskussion stellt. Dies ist bisher kaum geschehen. Das ist sehr
enttäuschend. Das sage ich im Wissen darum, dass das Präsidium unter
massivem politischen und öffentlichen Druck steht; und angesichts der
angedeuteten Erpressungsversuche des Bundeswissenschaftsministeriums ist
der Druck nochmal gewachsen.
taz: Sie meinen die [13][Streichung von Forschungsgeldern]?
Funke: Stark-Watzinger droht jedenfalls damit. Sie betreibt mehr oder
weniger subtile Angstmache nach dem Motto: „Passt auf, was das für Euch
bedeuten kann.“ Auch ihre skandalösen Aussagen in der Bild-Zeitung zeigen
Wirkung. Ein indirekter, erpresserischer Druck ist da, ja. Ich denke,
[14][dass sie zurücktreten wird].
taz: Wie hätte das Präsidium im Umgang mit den Protesten besser handeln
können?
Funke: Sich an die Seite der Studierenden stellen und die Situation für den
Dialog nutzen! Als klar war, dass der Krieg sich ausweitet, hätte man
entschieden mehr Diskussionsforen an den Berliner Unis organisieren und die
Perspektiven von Friedensforschern, von Vertretern jüdischer Gemeinden und
anderen Gruppen und Fachleuten einbeziehen müssen. Ich habe das früh
gefordert, es ist kaum geschehen. Dabei waren [15][offene, offensive
Debatten an der FU früher möglich]. Durch die komplexe Lage ist der Dialog
bisher nur unzureichend gelungen. Das liegt an dem internen und
berlinweiten Druck. Daraus resultiert auch die Angst, etwas falsch zu
machen. Trotzdem fordere ich das Präsidium auf, mehr zu tun.
taz: Hat sich die Stimmung an Berliner Bildungseinrichtungen durch den
Gaza-Krieg nachhaltig verändert?
Funke: Hat sie und sie wird sich auch weiter verändern. Wie genau hängt
jetzt davon ab, ob sich der Dialog differenziert gestaltet. Es kann eine
ungeheure Chance sein, aus den Ecken dieses Kulturkampfs herauszutreten.
taz: Das Thema Nahostkonflikt ist ja gewissermaßen [16][die Gretchenfrage
der Linken]. „Wie hältst Du es mit Israel, wie hältst Du es mit Palästina?…
Funke: Ich halte es mit dem völkerrechtsbegründeten Recht, dass alle
nebeneinander friedlich leben können. Im Moment haben wir eine sich
vertiefende Spaltung. Wenn man sich in Kulturkämpfen verliert, wird jedes
vernünftige Dazwischen immer schwieriger. Damit verbunden ist die
Erkenntnis, dass Empathie und Solidarität nicht wie im Fußballverein mit
den einen gegen die anderen erfolgen kann. Wir müssen aus dieser
Eskalationsfalle herauskommen.
taz: Als Extremismusexperte sind Sie in Anbetracht des Umgangs mit den
Protesten bestimmt frustriert – oder? Wie werden Sie damit fertig?
Funke (lacht): Das ist eine falsche Unterstellung. Ich habe Niederlagen und
Erfolge erlebt und bin eher versöhnlich aufgestellt. Ich finde Sinn in den
Bemühungen und Kämpfen um mehr Dialog, Demokratie und weniger Konflikte
nach der Freund-Feind-Masche. Es ist eine Art funktionaler Optimismus, der
mich prägt. Und wenn das die Grundlage ist, dann hält man auch Niederlagen
gut aus. Ein Dialog ergibt auch dann Sinn, wenn er nicht überall geteilt
wird und er zunächst nicht erfolgreich erscheint; für mich ist es schon ein
Erfolg, wenn es weniger destruktiv und weniger gewalttätig zugeht. Ich
möchte Camus’ Sisyphos gerne ergänzen: Den Stein rollt man nicht alleine
hoch.
6 Aug 2024
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## AUTOREN
Luisa Ederle
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