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# taz.de -- Verständnis von Antisemitismus: Versuch einer Neudefinition
> Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ will legitime Kritik an
> der israelischen Besatzungspolitik von antijüdischem Hass trennen. Geht
> das?
Bild: Historiker:innen versuchen Antisemitismus so zu definieren, dass Kritik a…
Berlin taz | Wo verläuft die Grenze zwischen scharfer Kritik an Israel und
Antisemitismus? Diese Debatte versucht die „Jerusalemer Erklärung zu
Antisemitismus“, die von mehr als 200 Intellektuellen und HistorikerInnen
vor allem aus den USA, Israel und der Bundesrepublik unterzeichnet wurde,
in neue Bahnen zu lenken. Zu den UnterzeichnerInnen gehören Peter Schäfer,
früherer Leiter des Berliner Jüdischen Museums und die Schriftstellerin Eva
Menasse.
Die Erklärung will „eine anwendbare, prägnante und historisch fundierte
Kerndefinition von Antisemitismus mit einer Reihe von Leitlinien für die
Benutzung“ sein. Sie definiert als Kennzeichen für Antisemitismus unter
anderem, dass, anders als im Rassismus, das Jüdische mit „Mächten des Bösen
verbunden“ ist. In Bezug auf israelbezogenen Antisemitismus gelten, neben
der Projektion, dass Israel „mit dem Bösen verbunden “ sei, „Jüd:innen
kollektiv für das Verhalten Israels verantwortlich zu machen“ oder
„aufzufordern, Israel oder den Zionismus öffentlich zu verurteilen“.
Die Erklärung betont, dass auch „unvernünftige“ Kritik an Israel nicht per
se antisemitisch sei. Boykottbewegungen seien „gängige, gewaltfreie Formen
des politischen Protests und „nicht per se antisemitisch“. Das zielt auf
die Boykottbewegung BDS, die der Bundestag vor zwei Jahren in einer
Erklärung als antisemitisch verurteilte.
Zum Nahostkonflikt heißt es, es sei „nicht per se antisemitisch, Regelungen
zu unterstützen, die allen Bewohner:innen „zwischen dem Fluss und dem
Meer“ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem
binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem
föderalen Staat oder in welcher Form auch immer“.
## Scharfes Schwert im Meinungskampf
Die Jerusalemer Erklärung versteht sich als Antwort auf die
Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance
(IHRA) von 2016, die, obwohl nicht als wissenschaftliche Definition
konzipiert, von Universitäten und Staaten als solche benutzt wird. Die
Biden-Regierung hat jüngst angekündigt, die IHRA-Erklärung zur Grundlage
ihrer Arbeit zu machen. Diese Arbeitsdefinition ist, so Kritiker, ungenau
und schwammig. So wird Antisemitismus dort als „Wahrnehmung von Jüdinnen
und Juden“ verstanden, „die sich als Hass ausdrücken kann“.
Die Unschärfe der IHRA-Definition steht in umgekehrt proportionalem
Verhältnis zu ihrer Anwendung. Sie listet 11 Beispiele auf, sieben davon
sind auf den Nahostkonflikt bezogen. Die IHRA-Definition sei einseitig, so
die Kritik, zudem politisch instrumentalisierbar, weil sie die Grenze
zwischen Antisemitismus und Kritik an israelischer Politik vernebele. Brian
Klug, Professor in Oxford und Unterstützer der Jerusalemer Erklärung, hält
die neue Definition für „viel klarer, kohärenter und fundierter“ und hoff…
dass sie die IHRA-Definition ersetzen wird.
In Deutschland ist der mit der IHRA-Definition amtlich beglaubigte
Antisemitismus-Vorwurf ein scharfes Schwert im Meinungskampf. Bei einem
[1][Streit um eine Israel-kritische Veranstaltung] jüdischer StudentInnen
in der Kunsthochschule Berlin-Weißensee verlangte das American Jewish
Comittee (AJC), dass die Veranstaltung nicht mit Uni-Geldern gefördert
werden dürfe. Ein Grund: Laut IHRA sei „das Aberkennen des Rechts des
jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung“ antisemitisch. Das sei hier der Fall
gewesen.
Auch [2][der Bundestag, der BDS in toto für antisemitisch] erklärt hatte,
berief sich dabei auf die IHRA. Ein energischer Unterstützer der
IHRA-Definition ist der Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein.
Die Jerusalemer Erklärung, so der Publizist Micha Brumlik zur taz, sei
„nötig, um dem Missbrauch des Antisemitismusbegriffs von rechten und
rechtsradikalen israelischen PolitikerInnen ein Ende zu setzen“. Brumlik,
selbst Unterzeichner der Erklärung, hält die Definition für geeignet, um
„eine rationale, die Interessen aller Seiten berücksichtigende Lösung des
Palästinakonflikts zu fördern.“ Sie sei „eine schallende Ohrfeige für den
törichten BDS-Bundestagsbeschluss vom Mai 2019 sowie für den
Antisemitismusbeauftragten Klein.“
28 Mar 2021
## LINKS
[1] /Zionismuskritik-an-Kunsthochschule-in-Berlin/!5717567
[2] /Kommentar-BDS-Votum-im-Bundestag/!5596313
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Anti-Israel
Antisemitismus
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Israel
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Achille Mbembe
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Israel
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