Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kampagne von Israels Botschaft: Diplomaten als Wutbürger
> Die israelische Botschaft führt eine Kampagne gegen die Nahost-Expertin
> Muriel Asseburg. Dabei wird diese – ganz undiplomatisch – diffamiert.
Bild: Wie diplomatisch ist Israels Botschafter Ron Prosor?
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass BotschafterInnen verbindlich,
sachlich und nicht aggressiv auftreten. Diplomaten sollten auch Distanz zu
den inneren Angelegenheit des Landes halten, in dem sie arbeiten. Der
US-Diplomat Richard Grenell, von Trump 2018 nach Berlin entsandt, war einer
der ersten Botschafter einer rechtsautoritären Regierung, der diesen Code
rüde verletzte. Erst bekundete er, dass deutsche Firmen gefälligst keine
Geschäfte mit Iran machen sollten, dann, dass es seine Aufgabe sei, Rechte
in Europa zu stärken.
Kühle Abwägung durch überhitzte Twitter-Interventionen zu ersetzen, ist ein
Zeichen des Verfalls politischer Kultur in Zeiten des Rechtspopulismus. In
dieser Linie reiht sich die israelische Botschaft in Berlin ein. Seit Tagen
inszeniert sie eine shitstormhafte Kampagne gegen die Nahost-Expertin
Muriel Asseburg. Die verharmlose den Terror der Palästinenser und verbreite
„Verschwörungsfantasien“ und „Antisemitismus im pseudoakademischen Milie…
Es sind die üblichen Vokabeln, mit denen die israelische Rechte Kritiker
des Besatzungsregimes diffamiert.
Dass sich die israelische Botschaft aufführt wie ein Wutbürger, ist mehr
als ein bedauerlicher Verstoß gegen diplomatische Umgangsformen. Er fügt
sich in die Strategie der rechten israelischen Regierung, in Berlin
kritische Stimmen zu bekämpfen. Es führt eine gerade Linie von
[1][Netanjahus Non-Paper, in dem eine Jerusalem-Ausstellung in einem
Berliner Museum als „propalästinenisch“ diffamiert wurde], über die
Attacken der Botschaft gegen eine taz-Journalistin bis zu den jetzigen
wüsten Angriffen.
Asseburg, die beim von der Bundesregierung finanzierten Thinktank SWP
arbeitet, gehört zu den wenigen anerkannten deutschen Stimmen, die laut
aussprechen, dass das Westjordanland besetzt ist – und kein „umstrittenes
Gebiet“ ist, wie die offizielle Lesart der israelischen Regierung lautet.
In dem von der israelischen Botschaft skandalisierten [2][Interview bei
„Jung und naiv“] weist sie darauf hin, dass es völkerrechtlich legitim ist,
gegen Besatzung Widerstand zu leisten, wenn deren Ende unabsehbar ist. Das
ist bei der mehr als 50 Jahre währenden israelischen Besatzung der Fall.
## Gewalt ist nicht zielführend
Auch in den Autonomiegebieten, die unter palästinensischer Verwaltung
stehen, setzt die israelische Regierung ihre überlegene Waffengewalt nach
Gutdünken ein, [3][wie jüngst in Jenin]. Das geschieht, obwohl die
palästinensische Autonomiebehörde eine polizeiliche Zusammenarbeit mit
Israel pflegt, die ihr Ansehen in der eigenen Bevölkerung weitgehend
ruiniert hat. Israel kontrolliert die palästinensischen Gebiete faktisch
vollständig. Seine militärische, politische, ökonomische und juristische
Überlegenheit ist überwältigend.
Wer solche Fakten ausspricht, wird oft mit unlauteren Mitteln angegriffen.
In der FAZ sekundiert Jürgen Kaube der Kampagne der Botschaft mit der
Unterstellung, dass es für Asseburg „zulässig, legal und legitim ist“, we…
Palästinenser „Molotowcocktails auf Besatzer werfen“. Dabei betont Asseburg
in dem Interview, dass sie „Gewalt gegen israelische Besatzer für nicht
zielführend“ hält.
Es ist kennzeichnend für solche Verunglimpfungen, dass Abwägungen und
Grautöne ausradiert und durch Zuspitzungen und Verdrehungen übermalt
werden. Wo mit Dreck geworfen wird, bleibt immer etwas kleben. Die
israelische Friedensbewegung kennt dieses Verfahren: Yehuda Shaul, Gründer
der israelischen Soldatenorganisation „Breaking the Silence“, sagt: „Es i…
traurig zu sehen, dass die israelische Botschaft in Berlin zu den gleichen
Mitteln greift wie die extremsten Parteien in unserer Regierung.“
Die rechte Regierung in Jerusalem versucht derzeit in Israel die Demokratie
zu beschneiden. Seit Monaten demonstrieren Hunderttausende, um den Obersten
Gerichtshof und die Gewaltenteilung in Israel zu verteidigen. Am Montag hat
die Regierung in der Knesset in erster Lesung ein Gesetz beschlossen, das
die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs massiv beschränkt.
## Keine Solidarität ohne Kritik
Die Angriffe der israelischen Botschaft auf Asseburg führen vor Augen: Man
kann mit der teils rechtsextremen und offen rassistischen Regierung in
Jerusalem nicht mehr unverbrüchlich solidarisch sein. Sie ist Teil einer
weltweiten autoritären Rechten, die auf die Abschaffung der Demokratie und
die Herrschaft der Fake News zielt.
Im Fall Israels heißt das auch, dass das Recht der PalästinenserInnen auf
Rechte und einen zivilen bürgerlichen Status einfach bestritten wird.
Deshalb werden Wissenschaftlerinnen wie Asseburg, die auf palästinensischen
Rechten beharren, mit Schmähungen überzogen. [4][Ein rechtsextremer Israeli
hat Asseburg auf der Straße aggressiv als „antisemitische Hexe“
beschimpft.] Das ist kein Ausrutscher. Es enthüllt den Kern dieser
Kampagne: Hass, Hetze, Einschüchterung.
Wir sind gleichzeitig überzeugt, dass Deutschland eine besondere Nähe zu
Israel haben muss. Eine Regierung in Berlin, die in der EU an die Spitze
der Israel-Kritiker stehen würde, fänden wir mehr als bedenklich. Aber:
Diese Zurückhaltung muss Grenzen haben. Es gibt keine echte Solidarität
ohne Kritik. Es ist daher gut, dass die SWP die Verleumdung gegen Asseburg
zurückgewiesen hat. Zulässige Meinungskorridore hierzulande von
israelischen Rechten markieren zu lassen, wäre eine Kapitulationserklärung
für eine Demokratie.
Deutsche Linke, die aus verständlichen historischen Gründen Israel schützen
wollen, sollten beachten, neben wem sie sich hier einreihen. Zum Beispiel
Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, [5][der der SWP „antisemitischen
Dreck“ unterstellt und die Streichung der Gelder fordert.] Beides ist
lehrbuchhaft für rechtsautoritäre Politik: Auf ätzende Verleumdung folgt
die materielle Zerstörung der Orte rationaler Diskurse.
Wer blindlings die israelische Botschaft unterstützt und „Solidarität mit
Israel“ fordert, sollte aufpassen, nicht den Falschen zu nutzen. Und eine
Orbanisierung des Diskurses zu befördern.
14 Jul 2023
## LINKS
[1] /Schreiben-liegt-der-taz-exklusiv-vor/!5553564
[2] https://www.youtube.com/watch?v=333rt6aUVnE
[3] /Gewalt-im-Westjordanland/!5938833
[4] https://twitter.com/BartalYossi/status/1679217256645947392
[5] https://twitter.com/jreichelt/status/1674745621121515520
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Katja Maurer
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Palästinenser
Botschaft
Jerusalem
Israel
Israel
Anti-Israel
BDS-Movement
## ARTIKEL ZUM THEMA
Justizreform in Israel: Protestmarsch nach Jerusalem
Gegen die umstrittene Justizreform haben erneut Hunderte demonstriert.
Derweil betont Israels Präsident Herzog im US-Kongress die demokratischen
Werte seines Landes.
Einladung Joe Bidens an Netanjahu: Israels Protestler bleiben allein
Die israelische Protestbewegung wähnte in Joe Biden einen Verbündeten.
Seine Einladung an Benjamin Netanjahu durchkreuzt diese Hoffnungen.
Protest in Israel gegen Justizreform: Mit Pferden gegen Demos
Am „Tag der Störung“ kommt es zu Massenprotesten. Rund 10.000 Personen
blockieren den Flughafen von Tel Aviv. Dutzende werden festgenommen.
Verständnis von Antisemitismus: Versuch einer Neudefinition
Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ will legitime Kritik an der
israelischen Besatzungspolitik von antijüdischem Hass trennen. Geht das?
Kulturproteste gegen Anti-BDS-Praxis: Einmal durchlüften, bitte!
Etablierte Kulturinstitutionen schlagen Alarm. Die Anti-BDS-Resolution des
Bundestags erschwert ihre Zusammenarbeit mit internationalen KünstlerInnen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.