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# taz.de -- Olaf Scholz in Serbien: Regierungschef auf Lithiumjagd
> Serbien gewährt der EU Zugang zu den Lithiumvorkommen im Land. Für den
> Deal war Olaf Scholz extra nach Belgrad gereist. Doch Umweltschützer
> laufen Sturm.
Bild: Belgrad, Serbien, 19. Juli: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht mit dem ser…
Belgrad taz | Ganz Belgrad war mit deutschen Fahnen geschmückt.
Bundeskanzler Olaf Scholz sollte sich in der serbischen Hauptstadt
willkommen fühlen.
Attacken des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić gegen Deutschland,
Kampagnen gleichgeschalteter serbischer Medien, in denen deutsche
Geheimdienste beschuldigt werden, Bürgerproteste in Serbien anzustiften, um
den heldenhaften Freiheitskämpfer Vučić zu entmachten – das ist ebenso
Schnee von gestern wie Berlins Kritik an der herrschenden serbischen
Autokratie, mangelnder Menschen- und Medienfreiheit, Wahlfälschung und dem
Liebäugeln Serbiens mit Wladimir Putin.
Denn Serbien hat Lithium, und zwar in großen Mengen. Und Deutschland und
die Europäische Union brauchen den für Batterien notwendigen Rohrstoff in
großen Mengen, [1][damit die Agenda 2030 durchgeführt werden], damit
Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt 15 Millionen Elektroautos bauen kann.
Nicht weniger wichtig ist, dass die Abhängigkeit vom chinesischen Lithium
reduziert werden soll, von der Weltmacht, die sich immer mehr zur
wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz des Westens entwickelt.
## Lithiumabbau in Serbien hochumstritten
Es geht also um einiges. Und so war sich der Bundeskanzler nicht zu schade,
um von London aus auf Stippvisite nach Belgrad zu kommen, sich mit dem
ungeliebten Vučić ablichten zu lassen und dabei brav zu lächeln.
Das ist wichtig auch für den serbischen Autokraten Vučić, der Unterstützung
braucht, um das Projekt in Westserbien durchzuboxen. Denn laut einer
Meinungsumfrage sind 55 Prozent der Serben entschieden gegen den Abbau von
Lithium. [2][Sie befürchten apokalyptische Folgen für die Umwelt].
Aus diesem Grund kam auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš
Šefčovič, nach Belgrad. Er unterzeichnete mit Vertretern Serbiens ein
Abkommen, das eine umweltverträgliche Förderung des Leichtmetalls im
Jadar-Tal ermöglichen soll, eine EU-Partnerschaft mit Serbien zum Abbau des
für Elektroautos so wichtigen Lithiums.
Beide versicherten den Serben, dass Serbien nicht nur als Rohstoffexporteur
betrachtet wird, sondern dass im Land die ganze Produktionskette entstehen
soll – vom Bergwerk über die Herstellung von Batterien und Kathoden bis zur
Produktion von Elektroautos. Und diese „historische Chance“ dürften die
Serben nicht vergeuden.
Die Rolle von Scholz in diesem Szenario war, den Serben als Garant zu
dienen, dass die Natur bei dem Vorhaben unberührt bleiben wird.
## Das widerspenstige Volk
Obwohl Vučić jüngst in zwei Wahlzyklen, [3][im Dezember] und Anfang Juni,
seine Macht zementiert hatte – seine Serbische Fortschrittspartei (SNS)
regiert mittlerweile in jedem Dorf, jeder Gemeinde, jeden Stadt, sie
kontrolliert Justiz, Polizei, Geheimdienste und die Überzahl an Medien –
kann das widerspenstige Volk auch mal verrückt spielen.
Die einzige innenpolitische Niederlage musste Vučić in seiner zwölf Jahre
langen Herrschaft gerade wegen Lithium einstecken.
[4][Massendemonstrationen und Straßenblockaden angeführt von
Umweltschützern lähmten vor zwei Jahren] so lange das Land, bis er nachgab
und das „Projekt Jadar“ formal außer Kraft setzte.
Vor dem Scholz-Besuch wurde das aber schnell wieder richtig gestellt. Auf
einen Wink von Vučić stufte das Verfassungsgericht blitzartig die vorherige
Verordnung der Regierung, die den Abbau von Lithium beendete, als
„verfassungswidrig“ ein, worauf die Regierung das Projekt mit einer neuen
Verordnung ins Leben rief.
## Nützlicher Autokratismus
Autokraten können eben auch nützlich sein. Sie müssen sich nicht mit der
Regierung oder dem Parlament abplagen, Zeit vergeuden um eigene
Parteigenossen für oder gegen etwas zu überzeugen, ihre Befehle werden
schlicht ausgeführt.
Doch das Volk, das muss man noch überzeugen. Vor zwei Jahren bemühte sich
der Staatspräsident aus Angst vor einem richtigen Aufstand strikt darum,
eine Konfrontation zwischen Demonstranten und der Polizei zu verhindern.
Das Innenministerium ließ die Umweltschützer tatenlos auch internationale
Straßen blockieren.
Das werde man nicht mehr zulassen, drohte Innenminister Ivica Dačić nun
prophylaktisch angesichts des Besuches der hochkarätigen
Lithium-Verbündeten des serbischen Regimes. Wer blockiere, werde verhafte,
drohte er. Wie die Anklage lauten und wie lange die Ungehorsamen hinter
Gitter landen können, sagte er nicht.
## „Todesurteil“ für das Jadar-Tal
In Serbien gibt es talibanartige Umweltaktivisten, furchtlose Draufgänger,
die dem Regime gefährlich sein könnten. Und für sie ist Lithium, was für
den Stier das rote Tuch ist. Einer von ihnen ist Aleksandar Jovanović Ćuta,
Parlamentsabgeordneter und Chef der Partei Ökologischer Aufstand.
„Der nächste Protest ist für den 25. Juli in Loznica geplant, der Stadt
unweit des geplanten Lithium-Bergwerkes. Wir werden die Stadtbehörden daran
hindern, die vor zwei Jahren außer Kraft gesetzten Verordnungen wieder zu
verabschieden, die notwendig für den Bau des Bergwerks sind“, sagt Ćuta zur
taz.
Für ihn wurde heute in Belgrad „das Todesurteil für unser bezauberndes
Jadar-Tal unterzeichnet“. Nicht Milch und Honig, sondern Schwefel würde da
in die fruchtbare Erde fließen. „Wir werden dort gut vorbereitet auf den
Feind warten“, erklärte er.
Ćuta ist überzeugt davon, dass es in der Bevölkerung noch viel Energie gibt
für landesweite Demonstrationen, Straßen- und Bahnblockaden. Das müsse aber
sehr gut organisiert werden. Und nächste Wochen plant die Opposition, im
serbischen Parlament dem Regime die Hölle heiß zu machen.
Derweil läuft die Medienmaschinerie des Regimes auf Hochtouren. Sie soll
die Serben überzeugen, dass der Abbau von Lithium das Beste ist, was
Serbien jemals passiert ist.
22 Jul 2024
## LINKS
[1] /Halbzeit-der-UN-Agenda-2030/!5960436
[2] /Umstrittenes-Lithium-aus-Serbien/!5899786
[3] /Wahlen-in-Serbien/!5980645
[4] /Oekoproteste-in-Serbien/!5820486
## AUTOREN
Andrej Ivanji
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