# taz.de -- Lithium-Deal mit Serbien: Fatale Appeasementpolitik der EU | |
> Scholz’ Lithium-Deal mit Belgrad ist falsch. Er bestärkt die serbische | |
> Regierung, den großserbischen Plan Milošević’ umzusetzen. | |
Bild: Mit wem macht Olaf Scholz da Deals? Scholz und Serbiens Präsident Aleksa… | |
Im Juli ist Bundeskanzler Olaf Scholz feierlich vom serbischen Präsidenten | |
[1][Aleksandar Vučić] in Belgrad empfangen worden. Anlass der Kanzlerreise: | |
ein Abkommen, das die Ausbeutung und den Export serbischen Lithiums in die | |
Europäische Union vorsieht. Alle Argumente, die die Fürsprecher dieses | |
„schmutzigen Deals“ anführen, sind entweder widerlegbar oder falsch, denn | |
Serbiens Lithium-Vorkommen spiegeln ungefähr nur ein Prozent des weltweiten | |
wider. | |
Die EU könnte aus „unproblematischen“ demokratischen Staaten wie Australien | |
Lithium importieren. Sie müsste also keineswegs einen der letzten | |
aggressiven Autokraten Europas stützen. Deutschland könnte auch eigene | |
Lithium-Vorkommen abbauen, was aber wohl in Anbetracht der | |
Umweltverschmutzung und den bevorstehenden Wahlen nicht ratsam wäre. Aber | |
Serbien scheint sehr weit weg und die sehr aktiven und mutigen serbischen | |
Umweltaktivisten sind Berlin offenbar relativ egal. | |
Interessant ist zudem die gelassene Reaktion des russischen Botschafters in | |
Serbien, Aleksandar Bocan Harcenko, auf den deutsch-serbischen | |
Lithium-Deal: „Ich habe noch nie etwas vom serbischen Präsidenten | |
Aleksandar Vučić gehört, das uns veranlassen könnte anzunehmen, dass | |
Serbien seine Politik ändern würde.“ So viel zu denen, die glauben, die | |
serbische Regierung kaufen zu können. Denn es gibt nach wie vor deutsche | |
und europäische Regierungsvertreter, die der Meinung sind, Vučić sei der | |
Stabilitätsgarant auf dem Balkan, den es zu unterstützen gelte. | |
Wären da nicht drei Kriege zwischen 1991 und 1999 mit 150.000 Toten und 4 | |
Millionen Flüchtlingen gewesen, die Vučić’ Vorgänger und ehemaliger Boss, | |
der serbische Präsident Slobodan Milošević, angefangen hätte. Richtig, es | |
gab, wie in jedem bewaffneten Konflikt, Kriegsverbrechen auf allen Seiten. | |
## Großserbische Pläne so aktuell wie in den 1990er Jahren | |
Doch alle Quellen, von Menschenrechts-NGOs wie Amnesty International oder | |
Human Rights Watch über die Expertenkommission zu Kriegsverbrechen der | |
Vereinten Nationen wie auch des US-Nachrichtendienstes CIA, kamen bereits | |
zu Kriegszeiten zu der Erkenntnis, dass über 80 Prozent der | |
Kriegsverbrechen in Bosnien von serbischen Tätern begangen wurden. Und zwar | |
mit der Intention, die serbisch eroberten Gebiete von Nicht-Serben zu | |
„säubern“. Diese „ethnischen Säuberungen“, sprich Massenmord, inklusi… | |
Völkermord waren keine „Nebenprodukte“ der aggressiven Kriegsführung, | |
sondern deren Ziel. | |
Hierbei gingen die Machthaber in den serbisch beherrschten Gebieten des | |
ehemaligen Jugoslawiens so rücksichtslos vor, dass bei Kriegsende diese | |
Gebiete zu über 99,9 Prozent serbisch waren. Fast alle Nicht-Serben waren | |
entweder ermordet oder deportiert worden, was in den Millionen Seiten des | |
Haager [2][UN-Kriegsverbrechertribunals] detailliert nachzulesen ist – für | |
diejenigen, die immer noch Zweifel an der serbischen Politik haben. | |
Warum ist dies 30 Jahre später noch relevant? Weil die serbische Regierung | |
in Belgrad angefangen hat, den großserbischen Plan Milošević’ nun doch noch | |
in die Tat umzusetzen. Und pikanterweise ist Milošević’ ehemaliger | |
Propagandaminister der heutige serbische Präsident Aleksandar Vučić, dessen | |
Hooligans letztes Jahr im Mai Nato-Einsatzkräfte im serbisch dominierten | |
Norden Kosovos angriffen, wobei 90 Friedenssoldaten zum Teil schwer | |
verletzt wurden. | |
Bei einem serbischen paramilitärischen Angriff kamen dann im September ein | |
kosovarischer Polizist und drei serbische Angreifer um. Rädelsführer Milan | |
Radoičić konnte sich mit 30 Männern nach Belgrad absetzen, wo sie | |
unbehelligt leben und sogar von Regierungsseite als Helden empfangen | |
wurden. | |
## Die EU hat aus den Balkan-Kriegen nichts gelernt | |
Mit ähnlichen terroristischen Angriffen auf Polizisten begannen serbische | |
Separatisten ab 1990 den Krieg in Kroatien und 1992 in Bosnien und | |
Herzegowina. Vučić wurde 1995 bekannt, als er während der serbischen | |
Massaker des Srebrenica-Genozids am 20. Juli im Belgrader Parlament drohte, | |
für jeden potenziell von der Nato getöteten Serben 100 Muslime | |
umzubringen.So wie es Hitlers Schergen während der Besatzung Jugoslawiens | |
mit Zivilisten taten. | |
Dennoch versucht die EU genau wie in den 1990er Jahren, Belgrad zu | |
beschwichtigen. Und wegen dieser europäischen Appeasement-Politik schaffen | |
Vučić und Milorad Dodik, sein Statthalter im serbisch dominierten | |
Landesteil Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska (RS), Fakten. | |
Anfang Juni trafen sie sich in Belgrad zu einer Konferenz unter dem Motto | |
„Serbien und Republika Srpska – Ein Volk, eine Versammlung“, um die | |
Vereinigung der serbisch dominierten Gebiete außerhalb Serbiens zu | |
koordinieren. | |
Dass sie dabei mit dem sprichwörtlichen Feuer spielen, ist den Experten des | |
Auswärtigen Amtes durchaus bewusst, denn dessen Sprecher, Christian Wagner, | |
verurteilte die serbische Deklaration scharf, „denn dort finden sich | |
Äußerungen und Rhetorik, die nicht nur die Integrität Bosnien und | |
Herzegowinas infrage stellen, sondern eben auch nationalistische Rhetorik | |
sind.“ | |
So etwas lässt Dodik, der sich als Nachfolger des Völkermörders Radovan | |
Karadžić sieht, völlig kalt: Es gebe „tägliche amtliche“ Arbeitskontakte | |
zwischen den Ministerien Serbiens und der RS, um diese Deklaration mittels | |
„operativer Planungen und Aktionen“ umzusetzen, so Dodik in einem | |
TV-Interview vom 25. Juli. Vučić’ Rolle sei „unersetzlich“, und dies ze… | |
„wie wichtig die RS für Serbien ist“. | |
## Serbische Häme | |
Dodik behauptete auch, dass der Sondergesandte der Bundesregierung für den | |
Westbalkan, Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen), ihm gesagt habe, dass | |
die RS eines Tages „unabhängig“ sein werde. Die angebliche Frage Sarrazins, | |
ob die RS den (serbischen) Dinar als Währung einführen würde, verneinte | |
Dodik mit der ironischen Erklärung, die RS werde den (russischen) Rubel | |
einführen. [3][Die taz ist übrigens das einzige deutschsprachige Medium, | |
das darüber berichtete]. | |
All das sollte Bundeskanzler Scholz zum Nachdenken veranlassen, mit wem er | |
„Deals“ macht und was auf dem Spiel steht. | |
19 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Serbische-Wahlen/!5975837 | |
[2] /Kommentar-UN-Tribunal-in-Den-Haag/!5463506 | |
[3] /Lithium-aus-Serbien-fuer-Deutschland/!6027313 | |
## AUTOREN | |
Alexander Rhotert | |
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