# taz.de -- Strategie von Putin und Vučić: Schluss mit Appeasement | |
> Die EU steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Beschwichtigungspolitik | |
> gegenüber Serbiens Präsidenten. Die Achse Serbien–Russland ist stärker | |
> denn je. | |
Bild: Ziemlich gute Freunde: Wladimir Putin und der serbische Vizepremierminist… | |
Vor einigen Wochen Woche hielt Serbiens Präsident Aleksandar Vučić eine | |
Rede vor der UN-Generalversammlung, in der er seine historischen | |
Sichtweisen offenlegte: „Die absolute Dominanz der westlichen, | |
kapitalistischen Art der Produktion …“ hätte die Welt „westlichen | |
hegemonialen Ideen“ unterworfen. Als Konsequenz hätte dies sowohl die UdSSR | |
als auch Jugoslawien „zerstört“. Dies sei kein Zufall gewesen, sondern | |
durch die „entscheidende Mitwirkung westlicher Nachrichtendienste“ erreicht | |
worden. | |
Vučić bedient hiermit ein altes serbisches Narrativ, nach dem „der Westen�… | |
„Genscher“, die CIA und/oder wahlweise der Vatikan Jugoslawien zerstört | |
haben sollen. Nichts von alldem kann auch nur ansatzweise historisch belegt | |
werden. Interessant sind aber nicht nur Vučić’ zeithistorische | |
Einordnungen, sondern die offensichtliche Trauer über den Verlust der | |
Sowjetunion. Genau diese Trauer teilt er mit seinem engen Freund, Wladimir | |
Putin. Der mächtige autokratische Präsident des EU-„Beitrittskandidaten“ | |
Serbien ließ vor der Weltgemeinschaft unverkennbar wissen, wie abgrundtief | |
er EU und Nato verabscheut – ohne sie beim Namen zu nennen – und wie sehr | |
er Russland zugeneigt ist. | |
Tags zuvor hatte er dem russischen UN-Botschafter den serbischen | |
Verdienstorden verliehen, weil Russland, zusammen mit Belarus, China und | |
Nordkorea und anderen gegen die deutsch-ruandische Resolution votiert | |
hatte, [1][die den 11. Juli zum Gedenktag für die Opfer des Völkermordes | |
von Srebrenica] machte. Erwähnenswert: Weder Serbien noch das serbische | |
Volk werden in dieser Resolution genannt. | |
## EU-Beschwichtigungspolitik scheitert | |
Ende August besiegelten Vučić und Emmanuel Macron ein Abkommen zur | |
Lieferung von 12 französischen Rafale-Kampfflugzeugen. Danach reiste Vučić’ | |
Vizepremier Aleksandar Vulin – ein erklärter Stalin-Fan – nach Wladiwostok, | |
wo er herzlichste Grüße seines Bosses an Putin überbrachte: „Wie Sie | |
wissen, ist Serbien nicht nur ein strategischer Partner Russlands, sondern | |
auch ein Alliierter Russlands. Deswegen wird sehr viel Druck auf Serbien | |
ausgeübt. Trotzdem wird Serbien niemals Nato-Mitglied werden und wird | |
niemals Sanktionen gegen die Russische Föderation erlassen … Serbien war | |
niemals und wird niemals Teil antirussischer Hysterie sein.“ | |
Putin verfolgte Vulins Ehrerbietung mit Genugtuung und weiß, dass auf | |
Belgrad Verlass ist. Die von Vulin überbrachte Botschaft symbolisiert ein | |
abermaliges Scheitern der EU-Beschwichtigungspolitik. Statt dies zuzugeben, | |
verteidigte EU-Sprecher Peter Stano Serbien sogar: „Es ist nicht wirklich | |
klar, für wen Herr Vulin spricht, speziell in Moskau, wenn er dieses Zeug | |
über Russland und Serbien sagt.“ | |
Die Aussage Stanos zeigt, dass die EU nichts aus den Debakeln der 1990er | |
Jahre im Zuge der serbischen Aggressionen gelernt hat. Die nötige | |
Krisenprävention durch Eindämmung Belgrads ist nicht existent. Brüssel | |
wiederholt die Fehler, die es damals machte, als es gebetsmühlenartig hieß, | |
man müsse den Aggressor, Serbiens Präsident Slobodan Milošević, und die | |
Serben „ins Boot holen“. Brüssel, Berlin und Paris ignorieren, dass Serbien | |
belegbar seine Nachbarn Bosnien und Herzegowina und Kosovo durch | |
territoriale Ansprüche bedroht und seine Beziehungen zu Russland ausbaut. | |
Die Präsidenten Bosniens und Kosovos, Denis Bećirović und Vjosa Osmani, | |
warnten dieser Tage vor neuen serbischen Aggressionen gegen ihre Länder. | |
## Serbien rückt der EU nicht näher | |
Niemand in Brüssel will zugeben, wie stark sich die Achse Moskau–Belgrad | |
entwickelt hat. Hilflos wird versucht, den EU-„Beitrittskandidaten“ Serbien | |
an sich zu binden, indem Milliarden Euro unkonditioniert verteilt werden. | |
Trotz großer Demokratiedefizite und einer Ablehnungsquote des EU-Beitritts | |
von 65 Prozent der Bevölkerung. Berlin fädelte im Juli – also exakt 33 | |
Jahre nach dem Angriff Serbiens auf Kroatien – [2][einen milliardenschweren | |
Deal zur Ausbeute serbischen Lithiums für die EU] ein. Dies, [3][so das | |
Kalkül im Kanzleramt], würde Serbien der EU näher bringen. Weit gefehlt, | |
denn die angemahnten Sanktionen gegen Russland werden ignoriert. | |
Die militärische Zusammenarbeit mit Putins Regime wird verstärkt: Das | |
russische Außenministerium gab gerade bekannt, dass durch Serbiens Kauf | |
russischer Rüstungsgüter sich die „militärische und technische | |
Kooperation“… „überaus dynamisch entwickelt“. Kreml-Sprecher Dimitri P… | |
warnte, dass „die Serben in Serbien und in der Republika Srpska“ eine | |
„schwere Zeit“ hätten, sich deren Lage verschlechtere. Eine Abspaltung der | |
Republika Srpska aber könnte einen neuen Krieg auslösen. Ein zweiter | |
potenzieller Kriegsschauplatz wird von Belgrad immer wieder ins Spiel | |
gebracht: Kosovo. Die dort lebenden Serben würden durch die Regierung in | |
Prishtina unterdrückt, es gäbe „ethnische Säuberungen“. Solche Rhetorik | |
wurde Ende der 1980er Jahre von Vučić’ Mentor Milošević gebraucht, um die | |
Bevölkerung auf die Aggressionskriege vorzubereiten. | |
Vučić hat eine Reihe früherer Milošević-Gefährten wieder in Amt und Würd… | |
gebracht, um das damals gescheiterte großserbische Projekt zu vollenden. Um | |
Brüssel so richtig vorzuführen, sagte Vulin in einem Interview: „Serbien | |
und Russland sind strategische Partner und nichts kann dies ändern. | |
Obwohl Washington halbherzig gegen die großserbischen Pläne vorgeht, gäbe | |
es ohne die Interventionen in Kosovo durch US-Außenminister Antony Blinken | |
im Oktober 2023 und in Bosnien im August dieses Jahres durch CIA-Direktor | |
William Burns wahrscheinlich nun drei Kriege in Europa. Wenn die EU nicht | |
erneut Schiffbruch auf dem Balkan erleiden will, sollte sie aus der | |
gescheiterten Appeasement-Politik der 1990er Jahre Lehren ziehen. Im | |
Februar warnte Verteidigungsminister Boris Pistorius Vučić in Belgrad, dass | |
„man nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen“ könne. Wer sich den | |
Fakten der letzten Wochen nicht verschließt, sieht, [4][dass Belgrad auf | |
der Hochzeit in Moskau tanzt]. Mit Brüssels finanzieller Unterstützung und | |
heimlicher Zustimmung. | |
17 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Rhotert | |
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