# taz.de -- Das Festival Panafricain im Juli 1969: Frei in Algerien | |
> Es sollte zum Mekka von Revolution und Panafrikanismus werden. Miriam | |
> Makeba und Nina Simone traten auf. Doch die Hoffnungen zerschellten. | |
Bild: Miriam Makeba beim Festival Panafrcain in Algiers, 1969 | |
Auf Arabisch rief die Sängerin Miriam Makeba in den Nachthimmel über | |
Algier: „Ana hourra fi al-Jazair, watani, umm al-shaheed – Ich bin frei in | |
Algerien, meinem Heimatland, der Mutter der Märtyrer.“ Der Anlass war ihr | |
fulminanter Auftritt beim einwöchigen Festival Panafricain (PANAF) im Juli | |
1969, zu dem sich mehr als 5.000 Revolutionsbegeisterte aus aller Welt | |
eingefunden hatten. | |
Makebas Heimat war bekanntlich Südafrika, dessen schwarze Bevölkerung noch | |
unter einem Apartheidregime litt. Nicht zufällig reiste der 1990 gerade aus | |
dem Gefängnis entlassene Nelson Mandela als Erstes nach Algerien, wo er | |
1962 Trainingscamps der algerischen Armee besucht hatte, die ihn, wie er | |
bekannte, zum Mann und Befreiungskämpfer gemacht hätten. Algerien hatte | |
erfolgreich eine Kolonie weißer Siedler bekämpft, gegen die in Mandelas | |
Augen nur der gewaltsame Aufstand etwas ausrichten konnte. | |
Auch der aus Guinea-Bissau stammende Amilcar Cabral erhob Algier zum | |
trikontinentalen Wallfahrtsort: „Christen pilgern zum Vatikan, Muslime nach | |
Mekka, die nationalen Befreiungsbewegungen nach Algerien.“ | |
So bestärkte er das Image des Maghreb-Landes als Motor der Befreiung von | |
Kolonialismus und Imperialismus – und nun auch der panafrikanischen | |
Einheit. Hier, am Ort des Sieges über die Franzosen in einem achtjährigen | |
Befreiungskampf, sollten Guerillakämpfer im Süden Afrikas Kraft schöpfen, | |
ebenso Afroamerikaner im Widerstand gegen ihre rassistische | |
Diskriminierung. | |
## Mao, Guevara und Afrofuturismus | |
Es war die Hochzeit des Maoismus und Guevarismus, der „Che“ war 1963 mit | |
allen Ehren empfangen worden. Selten dürfte sich eine Bewegung so im | |
Einklang mit der Geschichte gefühlt haben, noch heute lassen sich | |
Nachgeborene in ihren kosmopolitischen und afrofuturistischen Ideen davon | |
inspirieren. | |
Die Dokumentation des in den USA geborenen französischen [1][Regisseurs | |
William Klein] ist ein Kultfilm. Musikalische Höhepunkte sind außer Miriam | |
Makeba [2][Nina Simone,] Oscar Peterson und der Saxofonist [3][Archie | |
Shepp,] dessen wilde Improvisation mit einer Abordnung von Touaregs in der | |
Kasbah legendär geworden ist. | |
Nach 55 Jahren kann man eine gemischte Bilanz ziehen. Das panafrikanische | |
Kulturfestival sollte die radikale Antwort auf das drei Jahre zuvor in der | |
senegalesischen Hauptstadt Dakar veranstaltete Festival mondiale des arts | |
nègres sein, mit dem Senegals Präsident Leopold Senghor alle Schwarzen der | |
Welt in einer Negritude-Kultur verbinden wollte. | |
Algier korrigierte den Ansatz, indem es das arabisch-berberische Nordafrika | |
in die Einigungsbestrebungen einreihte und diese dann deutlich gegen die | |
Apartheid- und Kolonialregime in Südafrika politisierte. Und das | |
popkulturelle Angebot hob sich markant von der Hochkultur des christlichen, | |
frankophonen Humanisten Senghor ab, der 1968 den Friedenspreis des | |
Deutschen Buchhandels verliehen bekommen hatte, unter Protest der radikalen | |
Linken gegen den vermeintlichen „Ideologen des Neokolonialismus“. | |
## Panafrikanismus | |
Der Panafrikanismus – eine grenz- und kulturübergreifende Vereinigung aller | |
Menschen afrikanischen Ursprungs – bekam damit eine neue Wendung. Die Idee | |
ist so alt wie die koloniale Aufteilung und Fragmentierung des Kontinents. | |
Sie lehnte das politisch-kulturelle Muster des Nationalstaates und einen | |
multiethnische Konstellationen durchkreuzenden Nationalismus ab, den die | |
willkürliche Grenzziehung auf der [4][Berliner Konferenz 1884] etabliert | |
hatte. Davon fühlten sich zunächst Afrikaner in der (von Nachkommen | |
afrikanischer Sklaven bevölkerten) Diaspora angezogen. | |
In Afrika selbst wurde die Utopie einer panafrikanischen Einheit erst mit | |
der Entkolonisierung populär. Ihr bekanntester Exponent war Kwame Nkrumah, | |
erster Präsident im 1957 unabhängig gewordenen Ghana; er berief die | |
All-African Peoples Conference (AAPC) in Accra ein. | |
Der in Martinique geborene und in Algerien tätige Frantz Fanon, Verfasser | |
des berühmten Manifests „Die Verdammten der Erde“, gehörte zur Delegation | |
der algerischen Befreiungsbewegung FLN, der genau wie dem südafrikanischen | |
ANC die tätige Solidarität der jungen afrikanischen Staaten zugesichert | |
wurde. | |
## Blaupause der politischen Ordnung | |
Für Fanon war das panafrikanische Denken eine Garantie gegen die Imitation | |
des europäischen Nationalismus, doch genau dieser, in den von den | |
Kolonialmächten mit dem Lineal gezogenen Grenzen, wurde zur Blaupause der | |
politischen Ordnung des unabhängigen Afrika. | |
Übrig blieb die 1963 ins Leben gerufene Organization of African Unity | |
(OAU), während Konföderationsideen (wie zwischen Senegal und Mali) rasch | |
abgebrochen wurden. Die afrikanischen Staaten schlugen sich den Blockfreien | |
zu, die seit der Konferenz im indonesischen Bandung 1956 die politische | |
Identität der „Dritten Welt“ gegen die ost-westliche Blockbildung behaupten | |
wollten. | |
Zum damaligen Zeitpunkt waren Rhodesien und Südafrika noch weiße | |
Apartheid-Staaten und auch die spanischen (Äquatorialafrika, Westsahara) | |
und portugiesischen Kolonien (Guinea-Bissau, Angola, Mosambik) noch nicht | |
unabhängig. Ihre Befreiung propagierte, auch mit finanzieller und | |
militärischer Unterstützung, allen voran der charismatische, 1965 durch | |
einen Militärputsch gestürzte Staatspräsident Ahmed Ben Bella. | |
## Die Befreiungsbewegung Polisario | |
Sein Rivale und Nachfolger Houari Boumedienne setzte die militante | |
Interpretation des Panafrikanismus fort, was er mit dem Festival 1969 | |
unterstreichen wollte. Algerien unterstützte die westsaharische | |
Befreiungsbewegung Polisario gegen den Nachbarstaat Marokko, der Ansprüche | |
auf die Westsahara anmeldete. | |
Die Repolitisierung führte jedoch nicht zur Infragestellung der | |
nationalstaatlichen Grenzen und zu einer Intensivierung der | |
panafrikanischen Kooperation. Gerade Algerien ist ein Exempel des | |
Nationalismus nach außen und innen, worunter vor allem die berberische | |
Bevölkerung in der Kabylei zu leiden hatte, der die kulturelle Autonomie | |
lange verweigert wurde. | |
Auch mit der Blockfreiheit nahm es das Land mit der Hinwendung zur | |
Sowjetunion, DDR und China nicht sonderlich ernst. Auch dass Boumedienne | |
den Schwerpunkt auf die wirtschaftlich-industrielle Entwicklung legte, fand | |
bei vielen Regierungen Afrikas wenig Anklang, die ihre Beziehungen zu den | |
ehemaligen Kolonialmächten und zu den USA nicht kappen wollten. | |
Das PANAF war so trotz seiner militanten Rhetorik weniger Auslöser eines | |
dezidiert antiimperialistischen Panafrikanismus als dessen Beerdigung. Das | |
Zusammenwachsen Afrikas nördlich und südlich der Sahara blieb eine | |
Illusion, ein Ferment war eher der in Algerien und bis nach Westafrika | |
expandierende Islam, der bis heute auch dschihadistische Züge annahm. | |
## Muammar al-Gaddafi | |
Dass Muammar al-Gaddafi in den 1970er Jahren die Vereinigten Staaten von | |
Afrika propagierte, kann auch nur als Karikatur des Panafrikanismus | |
angesehen werden. Fanon hatte den Panafrikanismus gerade aus der Sorge | |
befürwortet, dass sich alte Freiheitskämpfer rasch in neue Diktatoren | |
verwandeln würden. | |
Ben Bella hatte neben antikolonialen Bewegungen die Black Panthers aus den | |
USA akkreditiert. Boumedienne übergab Elaine Mokhtefi, einer amerikanischen | |
Sympathisantin, die auch den FLN früh unterstützt hatte, die Organisation | |
des Festivals. Er war aber Eldridge Cleavers arrogant auftretender Clique | |
von Exilanten bald überdrüssig, sie mussten das Land verlassen. | |
Im selbsternannten Mekka der Revolution ging es nun vornehmlich um die | |
Sache der Palästinenser. Algerien veranstaltete als „antizionistischer | |
Frontstaat“ im Dezember 1969 ein Solidaritätstreffen mit der PLO, an dem | |
eine kleine Delegation des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes | |
teilnahm, darunter der damals 21-jährige Joschka Fischer und Inge Presser, | |
die Sprecherin der PLO in Frankfurt wurde. | |
Die für die deutsche Linke bis zum Sechstagekrieg 1967 selbstverständliche | |
Solidarität mit Israel wandelte sich in einer immer bedingungslosere | |
Unterstützung der palästinensischen Sache, die Geschichtsvergessene heute | |
sogar auf die islamistische Mörderbande der Hamas ausdehnen. | |
21 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claus Leggewie | |
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