| # taz.de -- Chef:innen der Berliner Linksfraktion: „Das BSW ist eine Projekti… | |
| > Anne Helm und Tobias Schulze suchen nach Wegen, die Linke in Berlin | |
| > wieder voranzubringen. Ein Gespräch über Wagenknecht, Kiezarbeit – und | |
| > die SPD. | |
| Bild: Tobias Schulze und Anne Helm, die Vorsitzenden der Linksfraktion im Abgeo… | |
| taz: Frau Helm, Herr Schulze, nach dem Abgang der Wagenknecht-Getreuen war | |
| in der Berliner Linken ja eine Art Aufbruchstimmung zu spüren. Wie kalt hat | |
| Sie der Absturz auf 7 Prozent bei der Europawahl in Ihrer einstigen | |
| Hochburg erwischt? | |
| Helm: Vorweg: Ich bin der Überzeugung, dass wir in Berlin noch ziemlich gut | |
| aufgestellt sind. Nichtsdestotrotz sind wir natürlich Teil der Linken, und | |
| die befindet sich in der Krise. Daher hat uns das Ergebnis dann auch wieder | |
| nicht ganz kalt erwischt. | |
| Schulze: Dass es Verluste geben würde, auch in Richtung Wagenknecht, war | |
| klar. Überrascht hat uns, [1][wie groß sie ausgefallen sind]. | |
| Sie sagen: „auch in Richtung Wagenknecht“. Tatsächlich haben Sie stark an | |
| das BSW verloren, das perspektivisch weiter Zulauf erhalten dürfte. Wie | |
| groß ist die Gefahr, die von der neuen Partei für die Zukunft Ihres | |
| Landesverbands ausgeht? | |
| Helm: Wir nehmen das ernst. Und wir müssen uns die Frage stellen, warum | |
| Menschen kein Vertrauen mehr zu uns haben. Denn das verliert man gern aus | |
| dem Blick: Wir haben zwar Abwanderungen zum BSW, wir haben aber auch | |
| Abwanderungen ins Lager der Nichtwählenden. | |
| Unter Letzterem leiden Sie aber nicht erst seit dem BSW. | |
| Helm: Aber das hat noch mal zugenommen, und zwar trotz des „Angebots“ des | |
| BSW, ein Programm hat Wagenknecht ja nicht. | |
| Trotzdem wird sie gewählt. | |
| Helm: [2][Das BSW ist aktuell vor allem eine Projektionsfläche.] Das soll | |
| nicht bedeuten, dass wir nicht möglicherweise auch eine Lücke lassen für | |
| eine solche Projektion. | |
| Schulze: Wir haben aber auch schon gesehen, wie ultrapopulistische Projekte | |
| relativ schnell in sich zusammenfallen, wenn es um konkrete Politik geht. | |
| Durch die Berliner Stadtpolitik wird der Ukrainekrieg nicht beendet. Hier | |
| geht es um bezahlbaren Wohnraum, den Kampf gegen Kürzungen, um | |
| Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte. Auf diesen Ebenen ist das BSW | |
| überhaupt nicht präsent. Wir reden jetzt aber ein bisschen viel über | |
| Wagenknecht. | |
| Dann lassen Sie uns weiter über die besagte Lücke sprechen, die die Linke | |
| hinterlassen hat. Damit können Sie nicht zufrieden sein. | |
| Schulze: Wir wissen selbst, dass wir nicht nur eine aktivistische | |
| Innenstadtpartei sein können. Wenn wir wieder zweistellig sein wollen, dann | |
| müssen wir auch die gesellschaftspolitisch eher konservativeren Schichten | |
| erreichen, die vielleicht eher in den Außenbezirken wohnen, die nicht alles | |
| teilen, was die linke Szene in Neukölln oder in Kreuzberg teilt, die aber | |
| trotzdem linke Politik brauchen. Auch zu denen müssen wir durchdringen. | |
| Gut und schön, aber wie? | |
| Schulze: Wir wollen die materiellen Konflikte der Menschen in dieser Stadt | |
| politisieren: bezahlbare Mieten, wohnortnahe Gesundheitsversorgung, | |
| Schulplätze. Diese Probleme teilen alle – egal ob Handwerker oder | |
| Studentin. Und wir müssen vor Ort sein und diese Probleme aus den Kiezen | |
| ins Abgeordnetenhaus tragen. Sodass allen klar wird: Wir sind die Partei, | |
| die zuverlässig für die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern | |
| und Menschen in prekären Verhältnissen eintritt. | |
| Helm: Wir brauchen Perspektiven für Veränderungen, bei denen die Menschen | |
| nicht ständig das Gefühl haben, dass ihnen etwas abverlangt wird, ohne dass | |
| es für sie selbst besser wird. Das ist mühselig, absolut mühselig, aber man | |
| muss es machen, und zwar zusammen mit den Betroffenen. Die Leute haben die | |
| Schnauze voll davon, dass ihnen vom Laternenpfahl gepredigt wird, was sie | |
| als richtig zu empfinden haben. | |
| Schulze: Es ist ein steiniger Weg, mit den Leuten im Kiez zu arbeiten, sie | |
| auch ein Stück weit zu organisieren, gemeinsam für Dinge zu streiten. Aber | |
| ich glaube, dass sich das zum Schluss auszahlt. | |
| Und die Linke bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 eben wieder zweistellig | |
| wird? | |
| Schulze: Ich stelle mal die These auf, dass sich die materiellen Konflikte | |
| [3][mit der aktuellen Haushaltskrise] zuspitzen. Der Bedarf an einer | |
| Partei, die diese sozialen Konflikte aus der Stadt ins Parlament trägt, | |
| wird deshalb eher steigen als abnehmen. Da sehen wir unsere Rolle. | |
| Sie sprechen den Haushalt an, die Linke warnt seit Monaten vor [4][einer | |
| großen „Abbruchkante“ 2026]. Ist das nicht etwas zu alarmistisch? | |
| Helm: Im Gegenteil. Wir haben der Regierung jetzt zwar die Haushaltsdebatte | |
| aufgezwungen und auch erklärbar gemacht, welche Folgen eine | |
| Haushaltspolitik wie die von Schwarz-Rot hat, die bei der öffentlichen | |
| Infrastruktur auf Verschleiß fährt. Aber wie teuer, richtig, richtig teuer | |
| das in den nächsten Jahren und für die nächsten Generationen wird, wird | |
| erst langsam klar. | |
| Schulze: Wir werden jetzt Abwehrkämpfe zu führen haben gegen die Kürzungen | |
| und auch gegen Privatisierungsvorhaben, die mit dem Haushaltsloch wieder | |
| massiv aufkommen werden. Das kann im Gesundheitsbereich Krankenhausträger | |
| betreffen oder entsprechend zu modernisierende Liegenschaften wie das | |
| Wenckebach-Klinikum. Oder im Kulturbereich die Komische Oper. Das alles | |
| wird jetzt unter Privatisierungsdruck geraten, gegen den wir uns mit aller | |
| Kraft stellen. Wir wissen ja aus den Sparjahren Anfang der 2000er, dass | |
| Privatisierungen zu nichts führen, jedenfalls nicht zum Gemeinwohl für die | |
| Stadt. | |
| Aber [5][das Klimasondervermögen ist Geschichte], ein Umgehen der | |
| Schuldenbremse ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Irgendwo muss das | |
| Geld herkommen. | |
| Schulze: Aber es gibt Alternativen zu Privatisierungen. Investitionen | |
| lassen sich beispielsweise durch Transaktionskredite über öffentliche | |
| Unternehmen finanzieren. Der Investitionshaushalt muss so entlastet werden, | |
| dass der soziale Bereich, die Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit, | |
| dass das alles nicht rasiert wird. Da werden wir die soziale Opposition | |
| sein, die diese Verteilungskämpfe, um die es sich im Kern handelt, auch | |
| hier im Abgeordnetenhaus führt. | |
| Dass irgendetwas rasiert wird, scheint aber unausweichlich. | |
| Koalitionsintern wird schon davon gesprochen, [6][dass 2025 eventuell ganze | |
| 5 Milliarden eingespart werden müssen]. | |
| Schulze: Das ist irre. Wo denn? Die diskutieren auch ernsthaft über den | |
| Verkauf von einzelnen Vivantes-Standorten. Die will doch keiner haben. Da | |
| stehen Planbetten drin, die müssen betrieben werden, und Vivantes macht | |
| Minus damit. Was soll diese Debatte? | |
| Hier in Ihrem Büro hängt der Spruch „Alle wollen regieren, wir wollen | |
| verändern“. Manche in Ihrer Fraktion möchten 2026 wieder in | |
| Regierungsverantwortung, andere wollen das bekanntlich nicht. Und Sie? | |
| Helm: Ich finde, diese Debatte – Regieren oder Opponieren – ist eine | |
| unpolitische. Wir wollen in dieser Stadt etwas verändern und dafür brauchen | |
| wir Mehrheiten. Die Frage ist, unter welchen Umständen und unter welchen | |
| Voraussetzungen kann man am besten etwas verändern. | |
| Das wäre doch aber die Regierungs-, nicht die Oppositionsbank? | |
| Helm: Bestenfalls in der Regierung, klar. Aber das ist dann immer das | |
| Ergebnis von Verhandlungen, wo man dann auch schauen muss, ob man es unter | |
| den Haushaltsvoraussetzungen 2026 schafft, sich auf einen Pfad zu einigen, | |
| der realistisch ist und trotzdem in die richtige Richtung geht. Und ob die | |
| Basis das dann auch mitträgt. | |
| Wäre das Regieren unter den absehbaren Haushaltszwängen überhaupt attraktiv | |
| für Sie? | |
| Helm: Es geht ja nicht darum, ob wir da Lust drauf haben. Die relevantere | |
| Frage ist, ob sich Berlin noch mal diese Beutegemeinschaft Schwarz-Rot | |
| leisten kann. | |
| Schulze: Stadtpolitik ist kein Ponyhof. Da kann man sich nicht aussuchen, | |
| unter welchen Bedingungen man dann rankommt. Und Linke werden häufig | |
| gewählt, wenn der Haushalt im Eimer ist. Das hatten wir schon mehrfach. | |
| Notwendiger Partner für ein „Rankommen“ wäre freilich die SPD. Also jene | |
| Partei, die Sie als Teil einer Beutegemeinschaft beschreiben – und die | |
| zugleich 2023 selbst [7][mit großer Geste das Tischtuch zu Grünen und | |
| Linken zerschnitten] hat. Die Zeit heilt alle Wunden? | |
| Helm: Ach je, um sich in die schwarz-rote Koalition zu treiben, hat die SPD | |
| ihrer eigenen Parteibasis erzählt, dass es keinen Weg zurück gebe. Aber auf | |
| diese Propaganda darf man nicht reinfallen, und die Propaganda werden wir | |
| auch nicht mitmachen. | |
| Schulze: Wir haben immer noch eine Mehrheit Mitte-links in diesem | |
| Parlament. Wir werden sehen, wie gut die schwarz-rote Koalition durch die | |
| Auflösung der Pauschalen Minderausgaben 2025 und die Haushaltsaufstellung | |
| in Richtung 2026 kommt. Wir als Linke machen unsere Vorschläge. Vielleicht | |
| stellt der eine oder die andere in der SPD ja fest, dass diese Vorschläge | |
| mehr zu tun haben mit dem, was er oder sie will, als mit dem, was der | |
| Partner CDU will, mit dem sie gerade im Bett sind. Schauen wir mal. | |
| 12 Jul 2024 | |
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| Rainer Rutz | |
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