# taz.de -- Berliner Linke nach der Europawahl: Hochburg kommt vor dem Fall | |
> Die Linke sucht nach Erklärungen für ihren Absturz und den Aufstieg des | |
> BSW vor allem im Osten Berlins. Der Landeschef spricht von einem | |
> Desaster. | |
Bild: Wahlplakat der Linken in Pankow – auch in dieser ehemaligen Hochburg is… | |
BERLIN taz | Der ehemalige Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Taş hat sein | |
Parteibuch abgegeben. Die Linke habe sich immer stärker von den Menschen | |
vor Ort entfernt, nun, nach der Europawahl, sei für ihn Schluss. „Und es | |
ist ja nicht so, dass wir das erste Mal bei Wahlen verlieren, niemand hat | |
dafür Verantwortung übernommen, auch in Berlin nicht“, sagt Taş am Dienstag | |
zur taz. | |
Was seine künftige politische Heimat anbetrifft, habe er sich noch nicht | |
hundertprozentig entschieden, sagt Taş, [1][der von 2011 bis 2021 im | |
Abgeordnetenhaus saß]. „Aber ich werde sicher das Bündnis Sahra Wagenknecht | |
begleiten.“ Das passe für ihn. Auch er sei gegen Waffenlieferungen. Und: | |
„Islamisten sind abzuschieben.“ Beides werde von Teilen der, so Taş, | |
„Kaderelite“ der Hauptstadt-Linken abgelehnt. Nicht so bei der | |
Wagenknecht-Partei. | |
Dort nimmt man die Avancen des einstigen integrationspolitischen Sprechers | |
der Linksfraktion verhalten zur Kenntnis. Das Bündnis Sahra Wagenknecht | |
(BSW) habe aktuell rund 80 Mitglieder und wolle [2][wie bisher auch vorerst | |
weiter nur langsam wachsen], sagt Alexander King zur taz. | |
Der Ex-Linke ist der einzige BSW-Abgeordnete im Landesparlament und | |
koordiniert den Parteiaufbau in Berlin. Im Sommer soll ein Landesverband | |
gegründet werden. King sagt: „Es wird bei allen Interessierten geschaut, | |
weshalb sie zu uns kommen wollen und ob sie zu uns passen. Wir wollen keine | |
Rechten, keine Streithähne, keine Karrieristen.“ | |
## „Kommt Sahra noch?“ | |
Der oberste Berliner BSW-Aufbauhelfer ist auch zwei Tage nach der | |
Europawahl noch „baff“ über das Ergebnis. [3][Mit 8,7 Prozent hatte sich | |
das BSW berlinweit aus dem Stand vor die Linke geschoben], die im Vergleich | |
zur Wahl 2019 um fast 5 Punkte auf 7,3 Prozent abrutschte. Insbesondere die | |
Erfolge in den ehemaligen Hochburgen der Linken, den Bezirken Lichtenberg | |
und Marzahn-Hellersdorf, wo das BSW 17,5 und 17,1 Prozent erreichte, fallen | |
ins Auge. Überraschend sind die Ergebnisse gleichwohl nicht. | |
„Kommt Sahra noch?“: Schon vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 gehörte diese | |
Frage an den Bratwurstständen der Linken in den Großwohnsiedlungen in | |
Lichtenberg zum Standardrepertoire insbesondere älterer Genoss:innen. | |
[4][Deren Sorgen kreisten um hässliche Glascontainer und Zugezogene], ihre | |
Erinnerungen galten der DDR, als es sauber und ordentlich zugegangen sei. | |
Vor Jahren hatte die Linke hier das Image der Kümmererpartei. Das trat sie | |
bei den folgenden Wahlen an die örtliche CDU ab. | |
Und „Sahra“ ist seither zwar nur ein Mal nach Lichtenberg gekommen. Dafür | |
macht das BSW seit Anfang des Jahres mobil. Ihre neue dreiköpfige Fraktion | |
im Bezirksparlament [5][kämpft gegen Kiezblocks und Poller und | |
Geflüchtetenunterkünfte]. | |
Für den in Lichtenberg direkt gewählten Linken-Abgeordneten Sebastian | |
Schlüsselburg steht das BSW damit „nachweislich rechts der | |
Sozialdemokratie“. Der „Kulturkampf gegen die Verkehrswende“ sei „billi… | |
Populismus“, die Migrationspolitik nichts anderes als rassistisch, sagt | |
Schlüsselburg zur taz. | |
Stimmt alles nicht, heißt es von Alexander King. „Uns geht es nicht darum, | |
dass keine Flüchtlinge nach Berlin kommen“, sagt er. Dem BSW gehe es um | |
eine gerechte Verteilung der Geflüchteten, „darum, dass nicht immer | |
diejenigen Kieze belastet werden, die ohnehin schon viele Flüchtlinge | |
aufgenommen haben und die infrastrukturell und sozioökonomisch eh nicht | |
gerade begünstigt sind“. | |
## Linke verspricht „schonungslose“ Aufarbeitung | |
Mitverantwortlich dafür gemacht wird auch die Linke, die Lichtenberg bis | |
vor wenigen Jahren uneingeschränkt dominierte. Wobei der Absturz der Partei | |
nicht zuletzt in den Plattenbausiedlungen brutal ist. In zwei Stimmbezirken | |
im Ortsteil Fennpfuhl etwa rauscht die Linke von Platz 1 mit über 28 | |
Prozent um rund 16 Punkte auf Platz 4 mit unter 12 Prozent ab – das BSW | |
hingegen fährt über 21 Prozent ein, Platz 1. Die Wahlbeteiligung war hier | |
mit etwas über 50 Prozent freilich auch niedrig. | |
Der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer will trotzdem nichts | |
schönreden: „Das ist ein Desaster.“ Innerhalb der Partei gelte es, das | |
Wahlergebnis „schonungslos“ aufzuarbeiten. „Wir werden uns hier ehrliche | |
Fragen stellen müssen“, sagt Schirmer zur taz. Dazu gehöre, „ob wir als | |
Linke unserer Verantwortung nachgekommen sind, [6][ob wir auf die Fragen | |
der Menschen die richtigen Antworten gegeben haben]“. | |
Das BSW sei „eine Projektionsfläche für großen Frust“, so der | |
Linke-Landeschef. „Wir als Linke wollen aber mehr als nur den Frust | |
aufgreifen, sondern für die Menschen wirklich etwas verbessern. Da müssen | |
wir besser werden.“ | |
## Warnung vor vorschnellen Schlüssen | |
Zugleich warnt Maximilian Schirmer mit Blick auf das Abschmieren seiner | |
Partei vor vorschnellen Interpretationen. „Das ist schon etwas | |
komplizierter, zumal wir leider auch an das Lager der Nichtwähler verloren | |
haben.“ | |
Auch der Politikwissenschaftler Werner Krause mahnt zur Vorsicht. „Wir | |
haben zu wenig belastbare Daten, um sicher zu sagen, was die | |
Wähler:innen des BSW antreibt“, sagt der Experte für Parteienpolitik von | |
der Universität Potsdam zur taz. | |
Eine Rolle in den Ostberliner Plattenbausiedlungen dürfte natürlich | |
gespielt haben, dass die Wähler:innen mit der Arbeit der Linken immer | |
weniger zufrieden sind, wohingegen Sahra Wagenknecht wahlmotivierend | |
wirkte, schon weil sie „authentisch Protest verkörpert“. Gesichert sei das | |
aber eben nicht. „Wir müssen hier einfach noch weitere Wahlen abwarten“, so | |
Krause. | |
Die Berliner Linke macht sich unterdessen Mut. So verweist Landeschef | |
Schirmer auch auf die weiter steigenden Mitgliederzahlen. Austritten wie | |
dem von Hakan Taş am Dienstag zum Trotz: Allein seit dem Wahlsonntag zählt | |
die Partei Schirmers Angaben zufolge mehr als 50 Neueintritte, insgesamt | |
hat die Linke in Berlin damit fast 7.500 Mitglieder. Eine Entwicklung, die | |
sich nur nicht in der Zahl der Wähler:innen niederschlägt. | |
11 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nicht-gewaehlte-Berliner-Politiker/!5800498 | |
[2] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!5984687 | |
[3] /Kleinparteien-bei-der-Europawahl/!6013343 | |
[4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156705.lichtenberg-die-kuemmerer-am-stad… | |
[5] /BSW-in-Berlin/!5989092 | |
[6] /Parteitag-der-Berliner-Linken/!6007178 | |
## AUTOREN | |
Rainer Rutz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) | |
Die Linke Berlin | |
Berlin-Lichtenberg | |
Berliner Bezirke | |
Social-Auswahl | |
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) | |
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) | |
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fabio de Masi über BSW-Ergebnis: „Wir sind mehr als nur Protest“ | |
Als Spitzenkandidat der Wagenknecht-Partei zieht Fabio de Masi nun in das | |
Europaparlament ein. Dort wolle man eine neue Fraktion bilden – ohne | |
Rechte. | |
BSW in Berlin: Wagenknechtler reichen CDU die Hand | |
Ex-Linke bilden in Lichtenberg erstmals eine BSW-Fraktion auf Berliner | |
Bezirksebene. Verkehrspolitisch werden die Christdemokraten angeblinkt. | |
Bündnis Sahra Wagenknecht: Vorwärts immer | |
Alexander King organisiert den Aufbau der Wagenknecht-Partei in Berlin. Auf | |
Bezirksebene könnte das Bündnis demnächst erstmals eine Fraktion bilden. |