# taz.de -- Sahra Wagenknecht: „Die Partei ist ja kein Selbstzweck“ | |
> Warum hat das BSW bisher nur so wenig Mitglieder? Sahra Wagenknecht will | |
> ihre Partei kontrolliert aufbauen – und „nicht sowas wie bei der AfD | |
> erleben“. | |
Bild: Will ihre Partei langsam wachsen lassen: Sahra Wagenknecht | |
taz: Frau Wagenknecht, Sie sind mit einem kleinen Team [1][bereits recht | |
erfolgreich] und überrunden in Umfragen schon manche etablierte Partei. | |
Kann man daraus schließen, dass herkömmliche Parteien mit ihren großen | |
Apparaten nicht mehr zeitgemäß sind? | |
Sahra Wagenknecht: Na ja, Deutschland ist nun mal eine Parteiendemokratie. | |
Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Elemente direkter Demokratie hätten, | |
sodass die Bürgerinnen und Bürger über bestimmte Fragen öfter direkt | |
abstimmen könnten. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist unser System dringend | |
reformbedürftig. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir anstreben, Parteien | |
mit großer Mitgliedschaft zu überwinden. | |
Andere Parteien vereinen verschiedene Strömungen. Das BSW ist dagegen sehr | |
homogen, [2][Sie geben die programmatische Linie vor]. Ist das von Vorteil? | |
Ich habe diese Partei mit anderen gemeinsam sehr bewusst mit einem | |
bestimmten politischen Profil gegründet. Wir haben da eine große | |
Repräsentationslücke gesehen, und unser bisheriges Ergebnis und die | |
Umfragen sprechen dafür, dass diese Einschätzung richtig war. Wir sprechen | |
Fragen an, die vielen unter den Nägeln brennen. Aber bei einer so jungen | |
Partei müssen wir natürlich aufpassen, dass im Zuge des Wachstums nicht | |
plötzlich völlig andere Inhalte mehrheitsfähig werden und dass es dadurch | |
eine ganz andere Partei wird. | |
Sie wählen Ihre Mitglieder sorgfältig aus und haben so eine kleine, aber | |
schlagkräftige Truppe um sich geschart. Ist das ein Erfolgsmodell? | |
Wenn man neu startet, muss man aufpassen, dass einem nicht das passiert, | |
was die AfD erlebt hat: dass dann Leute reinströmen und die Mehrheit | |
schließlich eine ganz andere Politik unterstützt. Viele der AfD-Gründer | |
haben ja irgendwann gesagt, „um Gottes Willen, das war nicht unser Plan, | |
das wollten wir nicht“, und sind dann ausgetreten. So was möchte ich nicht | |
erleben. | |
Viele Unterstützer möchten gerne Mitglied werden, aber werden nicht | |
aufgenommen, sondern vertröstet. [3][Das sorgt schon für Unmut]. | |
Gerade junge Parteien haben ja oft das Problem, dass sie auch Menschen | |
anziehen, die nur ein Mandat oder ein Podium wollen und nicht konstruktiv | |
sind. Wir haben uns deshalb entschieden, langsam zu wachsen – wobei ich | |
sagen muss: Unsere Unterstützer, die ich bisher erlebt habe, das sind | |
wirklich großartige Leute. Nach und nach werden ganz sicher die meisten von | |
ihnen auch Mitglieder. Aber wir müssen sie vorher kennenlernen, sonst | |
können wir sie ja nicht wirklich einschätzen. | |
Die innerparteiliche Demokratie ist dafür in der AfD ausgeprägter als beim | |
BSW. Wo finden bei Ihnen die Diskussionen über Programm und Personal statt? | |
Sie haben das ja in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erlebt, wie das | |
geht: Wir haben gemeinsam ein Programm geschrieben, da haben sich alle | |
ihren Kompetenzen entsprechend eingebracht. Dann gab es beim Parteitag | |
wenige Änderungsanträge, von denen einige angenommen wurden und andere | |
nicht. Das ist ja das, was eine innerparteiliche Demokratie ausmacht. | |
Das BSW hat in Brandenburg bisher nur 30 Mitglieder, das Programm wurde | |
beim Parteitag sehr flott abgenickt. Viel diskutiert wurde da nicht – | |
genauso wenig wie auf dem Parteitag in Sachsen oder dem Bundesparteitag in | |
Berlin. Anderswo wird mehr über den Kurs diskutiert. | |
Viele Parteien beschäftigen sich hauptsächlich mit sich selbst. Ich glaube | |
nicht, dass es das ist, was sich die Wählerinnen und Wähler wünschen. Eine | |
Partei ist ja kein Selbstzweck, sondern soll vor allem ein klares Programm | |
haben, das dann zur Wahl steht. Wir stehen für das Programm, das mit meinem | |
Namen verbunden ist, und das wir im Detail natürlich jetzt noch weiter | |
ausarbeiten. Außerdem haben wir mit dem Aufbau unserer Parteistrukturen und | |
mit den Wahlkämpfen schon reichlich zu tun. Innerparteiliche | |
Richtungskämpfe zu führen – dafür haben wir nicht auch noch Zeit und Kraft. | |
Auch wenn Sie mit wenig Personal bereits einiges erreicht haben – die | |
Personaldecke ist dünn. Könnte das zum Problem werden, wenn Sie mehr Wahlen | |
bestehen? | |
Zunächst einmal bin ich wirklich sehr positiv überrascht und beeindruckt, | |
was wir in der kurzen Zeit, die es uns gibt, schon für Landeslisten | |
aufgestellt haben und welche Persönlichkeiten sich bei uns engagieren. | |
Perspektivisch müssen wir natürlich viel mehr Menschen, die bei uns | |
mitmachen wollen, eine Chance geben. In unseren Unterstützerkreisen gibt es | |
sehr viel Kompetenz – das ist ein Schatz, den wir noch gar nicht heben | |
konnten. Da gibt es vor Ort verankerte Persönlichkeiten, die sehr wichtig | |
für uns sind, und junge Talente, die wir entdecken und aufbauen wollen. An | |
all dem werden wir arbeiten. Aber das ist eben ein längerer Prozess. | |
Das Personal Ihrer neuen Partei stammt vorwiegend aus den Reihen der | |
Linkspartei. Bilden die Ex-Genossen das Rückgrat des BSW? | |
Nein. Wenn man sich unsere Landeslisten anguckt, dann kommt nur knapp die | |
Hälfte der Kandidaten aus der Linkspartei. Viele waren vorher in gar keiner | |
Partei. Ich finde, es spricht für uns, dass wir diese Breite haben. Wir | |
haben erfahrene Leute aus der Linken, und ich freue mich, dass sich immer | |
mehr bei uns melden, die dort für die Richtung standen, die mit meinem | |
Namen verbunden ist, und nun bei uns mitmachen wollen. Aber wir haben eben | |
auch Zugänge aus der SPD, aus der FDP, wir haben ehemalige CDU-Mitglieder | |
und eben Menschen, die sich noch nie in einer Partei engagiert haben. Also, | |
es ist ein sehr breites politisches Spektrum, das wir mit unserem Programm | |
und unserer Ausrichtung ansprechen. | |
Wirklich? Ist das BSW nicht im Kern eine linke oder sozialdemokratische | |
Partei? | |
Die Frage ist: Was ist heutzutage sozialdemokratisch? Ist die SPD noch | |
sozialdemokratisch? Ist es sozialdemokratische Politik, sich als großer | |
Waffenlieferant in internationalen Kriegen zu engagieren, wie die Ampel | |
unter Scholz das tut? Ich denke, nein. | |
Also verkörpert Ihre Partei die bessere Sozialdemokratie? | |
Auf dem Feld der Außenpolitik könnte man das natürlich sagen – deswegen | |
kommen auch nicht wenige aus der SPD zu uns. Aber ich glaube, dass wir | |
einfach das vertreten und verkörpern, wofür viele Parteien nicht mehr | |
stehen: etwa einen aufgeklärten Konservatismus im Sinne des Erhalts von | |
Traditionen, von Sicherheit – auf Straßen und öffentlichen Plätzen, aber | |
auch von Arbeitsplätzen, gesundheitlicher Versorgung und Renten. Das | |
Bedürfnis nach Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit hat bei uns eine neue | |
politische Heimat gefunden. | |
Bei der Wahl haben Sie [4][vor allem ehemalige Wähler von SPD und von der | |
Linkspartei gewinnen können]. Sind das nicht Ihre Hauptkonkurrenten? | |
Nein, nicht nur. Man muss sehen, dass sich die offiziellen Zahlen zu | |
Wählerwanderungen auf die letzte Bundestagswahl beziehen. Die SPD hatte | |
damals fast 26 Prozent, heute steht sie bei 15. Die AfD wiederum hatte seit | |
der Bundestagswahl in den Umfragen um über 10 Prozent zugelegt, das hat sie | |
bei der Europawahl aber nicht eingelöst. Das heißt, es sind Leute, die 2021 | |
noch SPD gewählt haben, sich dann aus Wut über die Ampelpolitik zur AfD | |
hingezogen fühlten, jetzt unsere Wähler geworden. Wir haben auch ehemalige | |
Wählerinnen und Wähler der Union erreicht, und ziemlich viele aus dem | |
Spektrum der Nichtwähler. Letzteres sieht man noch stärker, wenn man die | |
Wählerwanderung in Bezug zur letzten Europawahl betrachtet. Also eigentlich | |
kommen Wählerinnen und Wähler von überallher zu uns. | |
14 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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