# taz.de -- Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Alles auf Sahra | |
> Noch ist das Bündnis Sahra Wagenknecht die große Unbekannte in der | |
> politischen Landschaft. Trotzdem wollen viele Menschen sie wählen. Warum? | |
Bild: Wagenknecht, umringt von Fans am Montag dieser Woche in Eisenach | |
Chemnitz/Gotha taz | Der Stand ist noch nicht fertig aufgebaut, da warten | |
schon die ersten darauf, mit den Wahlkämpfer:innen des Bündnisses Sahra | |
Wagenknecht (BSW) ins Gespräch zu kommen. Es ist Donnerstag, 11 Uhr, Anfang | |
August. In einem Monat wählen die Menschen in Sachsen einen neuen Landtag | |
und auf dem Markt in Chemnitz ist schon einiges los. Ein Mann mit Mütze und | |
Brille beobachtet interessiert, wie unter dem weißen Pavillon orangefarbene | |
Flyer auf dem Tisch landen. Noch haben die Wahlkampfhelfer:innen keine | |
Zeit für ihn, aber er wartet – obwohl er das BSW gar nicht wählen will. | |
Sahra Wagenknecht, sagt der Mann, sei schon kompetent, aber immer noch in | |
der falschen Partei. Welche wäre denn passender? „Nu ja“, antwortet er | |
ausweichend. Vielleicht eine blaue Partei? „Genau“, sagt der Mann und | |
schaut wieder zum Stand. Seinen Namen will er nicht sagen. Von der anderen | |
Straßenseite zieht der Geruch von Bratwürsten herüber, aus dem Rathaus | |
ertönt ein Glockenspiel. | |
Das BSW fasziniert auch Leute, die es nicht mögen. Frisch gegründet und | |
auferstanden aus den [1][Ruinen der Linken] ziehen das Bündnis Sahra | |
Wagenknecht und seine guten Umfragewerte vor den Landtagswahlen viel | |
Aufmerksamkeit auf sich. Laut den Umfragen steht das BSW in Sachsen bei 13 | |
Prozent, in Brandenburg bei 17, in Thüringen sogar bei 19. Bisher blieb | |
unscharf, was die Partei genau will und wer bei den Landesverbänden | |
wirklich entscheidet. Die meisten Kandidat:innen auf den Listen sind | |
politische Neulinge und unbekannt. Die CDU spricht von einer „Black Box“. | |
Trotzdem: Anders als bei der AfD und der Linken hat die CDU eine Koalition | |
mit dem BSW nicht offiziell ausgeschlossen. Das Bündnis wäre also [2][ein | |
möglicher Regierungspartner für die CDU]. Michael Kretschmer und Mario | |
Voigt, die CDU-Landesvorsitzenden in Sachsen und Thüringen, schließen das | |
nicht aus. | |
Auch der Thüringer SPD-Spitzenkandidat Georg Maier sieht sich bereit für | |
eine mögliche Koalition. „Ich sehe eine realistische Chance für ein Bündnis | |
aus CDU, SPD und BSW“, sagt Maier am Dienstag dieser Woche der Welt. Die | |
Grünen sind da wesentlich skeptischer: [3][Katja Meier], Spitzenkandidatin | |
der Grünen in Sachsen, nennt das BSW „Kreml-Truppe“. Madeleine Henfling, | |
Spitzenkandidatin der Grünen in Thüringen, findet, „das BSW ist keine | |
Partei, sondern geht schon nah an eine Sekte ran“. | |
Doch wer sind eigentlich die Menschen, die BSW wählen? | |
Neben dem Stand am Chemnitzer Markt zieht ein Mann an einer E-Zigarette und | |
hört aufmerksam zu, wie eine Wahlkämpferin für das BSW wirbt. Der | |
45-Jährige kommt aus Chemnitz, seinen Namen möchte er nicht nennen. Dass | |
auf den meisten Plakaten Sahra Wagenknecht zu sehen ist, findet er | |
verschmerzbar. „Das ist doch gutes Marketing“, sagt er und grinst. | |
Auch ihn habe vor allem die Bundesvorsitzende überzeugt. Wenn er zu Hause | |
Talkshows schaue, empfinde er Sahra Wagenknecht als „Stimme der Vernunft“, | |
zum Beispiel wenn es um den Krieg in der Ukraine gehe. „Nicht, weil ich die | |
Meinung vertrete, dass man Putin in irgendeiner Form recht geben muss. Aber | |
die momentane Politik der Regierung ist falsch.“ Es brauche diplomatische | |
Lösungen – die würden derzeit ausgeschlossen, sagt er. | |
Doch ganz überzeugt vom BSW ist er noch nicht. In der Steuerpolitik | |
vertrete das BSW zu linke Positionen. Vermögen und Firmen stärker | |
besteuern, „da glaube ich nicht, dass das funktioniert. Die Firmen wandern | |
doch ab.“ Er zieht noch mal an der E-Zigarette und geht weiter. | |
## Von der CDU zum BSW | |
Am weißen BSW-Pavillion hängen neben den Plakaten von Sahra Wagenknecht | |
auch welche der sächsischen Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann. Vor einem | |
davon bleibt eine Frau stehen und schaut es grübelnd an. Sie sei während | |
des Zweiten Weltkriegs in Chemnitz geboren und lebe bis heute in der | |
drittgrößten Stadt Sachsens. Wie sie heiße? Das möchte sie nicht sagen. | |
Aber was sie bislang gewählt habe: CDU. | |
Bei der nächsten Wahl jedoch – da sei sie noch unsicher. Damit ist sie | |
nicht allein. Auch wenn die Landtagswahl in Sachsen kurz bevorsteht und das | |
BSW gut dasteht: laut dem Politbarometer des ZDF von Anfang August wissen | |
in Sachsen 33 Prozent noch nicht, ob und wen sie wählen werden. In | |
Thüringen sind es sogar 40 Prozent. | |
Ihr Mann wähle aber bereits das BSW, sagt die Chemnitzerin. „Die haben sich | |
ja allerhand vorgenommen und verbreiten große Hoffnung“, sagt sie und | |
schaut wieder Sabine Zimmermann auf dem Plakat an. Hoffnung worauf? „Die | |
Sachsen hoffen auf Gleichheit mit dem Westen. Da sind die Löhne und so | |
viele Sachen, wo wir immer noch ein bisschen hintendran stehen“, erklärt | |
sie. | |
Solche Argumente hören Torsten Schmidt und Juliana Klepzig häufig. Sie | |
betreuen an diesem Donnerstag den Wahlkampfstand in der Chemnitzer | |
Innenstadt. Beide tragen heute Weiß, die Farbe des Friedens. Reiner Zufall, | |
sagt Schmidt. Hinter dem Pavillon pustet er orange Luftballons mit Gas auf. | |
Schmidt ist Ende fünfzig und war eins der ersten Mitglieder des BSW in | |
Sachsen. Er ist von der Linken dorthin gewechselt. Im Juni wurde er für das | |
BSW in den Chemnitzer Stadtrat gewählt, für die Landtagswahl tritt er nicht | |
an. | |
Juliana Klepzig, seine Standkollegin, ist 18 Jahre alt und kommt aus der | |
Nähe von Leipzig. Sie ist kein BSW-Mitglied und engagiert sich trotzdem für | |
das Bündnis, weil sie Sahra Wagenknecht faszinierend findet, sagt sie. | |
Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“ habe sie begeistert, mutig sei es | |
gewesen. Wagenknecht spreche ihr „aus dem Herzen“, sagt Klepzig – in der | |
Sozialpolitik, beim Thema Frieden, bei ihrer Kritik an der | |
identitätspolitischen Linken, die sich von der breiten Bevölkerung | |
entfremde. Darum hilft Klepzig in ihrer Freizeit dem BSW beim Wahlkampf, | |
hängt Plakate auf, wirft Flyer in Briefkästen und kümmert sich mit um den | |
Social-Media-Auftritt. | |
Auf den Flyern, die Klepzig am Wahlkampfstand verteilt, ist die | |
Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht abgedruckt. Sie tritt bei der | |
Landtagswahl in Sachsen gar nicht selbst an, trotzdem warnt sie gleich auf | |
der ersten Seite des Flyers vor der „undurchdachten Politik“, die das Land | |
ruiniere. | |
Eine starke BSW-Fraktion in Sachsen wäre auch ein „klares Signal nach | |
Berlin“. Mit der Wut auf die Ampelkoalition trifft sie das Gefühl vieler | |
Menschen in Sachsen. SPD, Grüne und FDP kommen laut Umfragen dort zusammen | |
gerade einmal auf 12 Prozent. Gut möglich, dass keine der drei Parteien | |
nach der Wahl noch im sächsischen Landtag vertreten sein wird. | |
Das BSW stehe für ein „friedliches Sachsen“, heißt es in der Broschüre, … | |
Friedensverhandlungen im Krieg in der Ukraine. Dabei seien die | |
„Sicherheitsinteressen aller Seiten“ zu respektieren – auch die Russlands. | |
In Sachsen wolle das BSW zudem einen Mindestlohn von 14 Euro durchsetzen | |
und Renten bis 2.000 Euro von der Steuer befreien. Die „unkontrollierte | |
Migration“ solle mit dem BSW gestoppt werden – allerdings „ohne | |
Diskriminierung und Rassismus“, heißt es im Flyer. Auch gegen die | |
„Ausländerkriminalität“ hat das BSW ein Mittel: „Wer sich nicht an Recht | |
und Gesetz hält, muss das Land verlassen.“ | |
## Im Osten stärker als im Westen | |
Dass das BSW vor allem im Osten Unterstützung erfährt, hat die Europawahl | |
gezeigt. Auf dem Gebiet, das früher DDR war, schnitt die Wagenknecht-Partei | |
mehr als dreifach so stark ab wie im Westen: 13,8 Prozent statt 4,3 | |
Prozent. Es ist ein Effekt, der in den vergangenen Jahren auch bei der AfD | |
zu beobachten ist. Und laut mehreren Studien vertreten die | |
Sympathisant:innen beider Parteien in vielen Punkten ähnliche | |
Positionen. | |
Das weiß auch Neele Eilers. Sie forscht mit ihrem Team von dem | |
gemeinnützigen Thinktank d|part zur Unzufriedenheit und den Zukunftssorgen | |
in Deutschland. Dafür befragten sie zwischen April und Mai in einer | |
repräsentativen Studie 2.340 Personen in der Bundesrepublik. Die | |
BSW-Sympathisant:innen sind demnach vor allem Menschen mit einem | |
durchschnittlichen Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen. „Obwohl sie | |
eigentlich im Mittelfeld der Einkommen liegen, fühlen sie sich aber öfter | |
der Unterschicht zugehörig und schätzen ihre finanzielle Lage als instabil | |
ein. Sie fühlen sich finanziell unter Druck“, sagt Eilers. | |
Laut der Studie hadern die BSW-Sympathisant:innen zudem mit der | |
aktuellen Politik in Deutschland – fast genauso wie die | |
Unterstützer:innen der AfD. Aus beiden Lagern geben 85 Prozent an, sie | |
seien unzufrieden damit, wie die Bundesregierung den Krieg in der Ukraine | |
handhabe. Bei den anderen Parteien sind es weniger: 50 bis 70 Prozent. | |
Ähnlich sieht es bei der Frage nach der sogenannten Migrationskrise von | |
2015 und 2016 aus: Bei der AfD sind 85 Prozent unzufrieden, beim BSW 81 | |
Prozent. Oder bei der Krise der Lebenshaltungskosten: Die bewerten 88 | |
Prozent der AfD-Anhänger:innen als gravierend, 91 Prozent der | |
BSW-Anhänger:innen. | |
Besonders überrascht habe die Sozialforscherin Neele Eilers aber, „wie hoch | |
die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen bei BSW-Sympathisierenden war“. | |
In der Studie hatte d|part zum Beispiel gefragt, wie man zu der Aussage | |
stehe: „Die meisten Flüchtlinge kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat | |
auszunutzen.“ Rund 80 Prozent der BSW- Anhänger:innen stimmten zu, | |
lediglich bei der AfD waren es mehr. Ähnlich bei dem Satz: „Wir sollten | |
endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“ Dem stimmten 67 | |
Prozent der BSW-Sympathisant:innen zu, 87 Prozent der AfD. | |
Sind die Wähler:innen des BSW also rechte Protestwähler:innen? Ähnlich | |
wie bei der AfD? | |
Nein, so einfach sei das nicht, widerspricht Eilers. Sie würde nicht von | |
einer Protestwahl sprechen. „Auch bei der AfD nicht. Inhaltliche und | |
ideologische Aspekte spielen eine große Rolle für die Sympathie. Beim BSW | |
etwa soziale und wirtschaftliche Forderungen.“ Und bei denen seien die | |
Unterschiede zwischen der AfD und dem BSW am deutlichsten: In | |
wirtschaftlichen Belangen weise das BSW-Lager eher sozialstaatliche und | |
staatsinterventionistische Tendenzen auf. Sie glauben zum Beispiel | |
seltener, dass Sozialhilfe von der Arbeit abhalte. | |
Etwa 150 Kilometer westlich von Chemnitz stellt eine Woche später Harald | |
Pestel in Gotha einen anderen BSW-Stand auf. Wieder ist es Donnerstag, 11 | |
Uhr. Noch drei Wochen bis zur Wahl. Auch Thüringen wählt am 1. September | |
einen neuen Landtag. Pestel beschwert mit ein paar Gummibärchen die | |
BSW-Flyer auf dem Infotisch, klatscht in die Hände und lacht. „So, dann | |
kann es ja losgehen.“ | |
## In der Freizeit für das BSW | |
Noch ist der 85-Jährige allein am Stand vor dem Telekom-Laden am Neumarkt, | |
später wird er Unterstützung bekommen. Pestel ist kein Parteimitglied und | |
wirbt in seiner Freizeit für das BSW. Aus Überzeugung, wie er sagt. Und, | |
das ist ihm wichtig: Was er sagt, ist nur seine eigene Meinung. Er spricht | |
nicht im Namen des BSW. | |
Mit einer Handvoll Flyer stellt sich Pestel mitten in die Fußgängerzone. In | |
Gotha ist viel weniger los als in Chemnitz. In der alten Thüringer | |
Residenzstadt leben fünfmal weniger Einwohner:innen: rund 45.000 statt | |
250.000. Pestel zieht einen Flyer aus seinem Bündel und geht schnellen | |
Schrittes auf eine Frau zu. „Hier, den habe ich heute Morgen extra für Sie | |
eingepackt“, begrüßt Pestel sie lächelnd und hält ihr den Flyer hin. | |
Sie nimmt ihn, geht aber ungebremst weiter Richtung Markt. Ein älterer | |
Mann, dem Pestel als nächstes einen Flyer anbietet, lehnt wirsch ab. Pestel | |
zuckt mit den Schultern. „Langsam sind die Leute ein bisschen überfüttert�… | |
glaubt er. | |
Pestel sagt von sich, er sei schon immer links eingestellt gewesen. „Ich | |
habe was dagegen, wenn die Reichen immer reicher werden und die Armen | |
ärmer.“ Das sei einer der Gründe, weshalb der Rentner sich beim BSW | |
engagiere. Schon 2018, als Sahra Wagenknecht die Bewegung Aufstehen ins | |
Leben rief, war er dabei. | |
Als nächstes bleibt ein Mann im weißen Trikot des Fußballvereins Liverpool | |
am Stand stehen. Thomas Schäddel ist 64 Jahre alt. Er hat 46 Jahre lang | |
gearbeitet, bekommt aber nur eine Rente von knapp über 1.000 Euro. Er war | |
lange im Niedriglohnsektor tätig und konnte nur wenig in die Rentenkasse | |
einzahlen, erzählt er. Mit dem BSW stimme er in der Migrationsfrage und | |
beim Krieg in der Ukraine überein. | |
Wirklich wichtig sei für ihn jedoch die Sozialpolitik. „Aber dass das BSW | |
mit der CDU koalieren könnte, das bereitet mir Bauchschmerzen“, sagt | |
Schäddel und seufzt. „Von der CDU halte ich nicht viel.“ Die AfD wolle er | |
aber auch nicht wählen. „Die sind zu radikal und populistisch und machen ja | |
auch nichts für den kleinen Mann“, erklärt Schäddel. | |
Ob es wirklich die Sozialpolitik ist, die Wähler:innen zum BSW treibt, | |
ist fraglich. Eine im Juni veröffentlichte [4][Studie der CDU-nahen | |
Konrad-Adenauer-Stiftung] (KAS) ergab, dass die Wähler:innen des BSW | |
sich eher durchschnittlich für einen Ausbau der Sozialpolitik aussprechen. | |
Bei den Wähler:innen der Linken und der SPD ist der Wunsch nach mehr | |
Sozialpolitik, auch wenn das mit höheren Steuern einhergeht, stärker | |
ausgeprägt. | |
Die KAS-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass für rund die Hälfte der | |
Wähler:innen das „gute Personal“ der Partei ein Wahlgrund ist: | |
„Angesichts der zentralen Bedeutung, die Sahra Wagenknecht für die Partei | |
hat, ist dieser hohe Wert nicht überraschend“, schreiben die Autor:innen. | |
Auch in Gotha ist die Bundesvorsitzende quasi omnipräsent: Auf den Flyern, | |
auf dem Werbetisch, auf der kleinen Flagge daneben. 600 Plakate mit Sahra | |
Wagenknecht hätten sie in der Stadt aufgehängt, erzählt Pestel. Dagegen nur | |
200 mit den Thüringer Spitzenkandidat:innen Katja Wolf, Steffen | |
Schütz und Steffen Quasebarth. Aber Wagenknecht kennt man eben. | |
## Wagenknecht polarisiert | |
Es ist etwa 12 Uhr, als ein Mann in schnellem Schritt und mit großen Gesten | |
auf den Wahlkampfstand und Harald Pestel zuläuft. „Ist eure Anführerin | |
da?“, fragt er provozierend. Pestel versucht es beruhigend: Nein, heute | |
nicht. „Die hat sich ja immer nur nach oben gebuckelt und gefickt“, ruft | |
der Mann. Pestel dreht sich weg und schüttelt den Kopf. „Was soll ich da | |
noch sagen?“ | |
Zurück nach Chemnitz. Auch da ist die Parteichefin Ziel von Anfeindungen. | |
Ein Mann mit Fahrrad ruft, Sahra Wagenknecht sei eine Kommunistin. Bis 2010 | |
gehörte sie innerhalb der Linkspartei zur Kommunistischen Plattform. Auf | |
den Versuch hin, ihn zu besänftigen, wird er noch lauter. „Kommunistenpack! | |
Kommunistin bleibt Kommunistin. Ihr habt auf die Leute geschossen!“ Dabei | |
zeigt er mit dem Finger auf die Wahlkämpfer:innen. Torsten Schmidt geht | |
auf ihn zu, die beiden reden ein paar Minuten in ruhigem Ton. | |
Später sagt Schmidt, er habe den Fahrradfahrer um Verständnis dafür | |
gebeten, dass sich Menschen ändern können. Er solle dem BSW eine Chance | |
geben. Das hat offenbar funktioniert, zumindest beruhigt sich der Mann und | |
zieht weiter. Unter dem Pavillon spricht derweil Wahlkämpferin Juliana | |
Klepzig mit dem Interessenten Bernhard Blüthner. | |
Der 54-Jährige möchte gerne in die Wagenknecht-Partei. Blüthner hat schon | |
bei den letzten Wahlen für das BSW gestimmt und will es bei der | |
Landtagswahl wieder tun. Früher, da hat er mal CDU gewählt, sagt er, | |
zuletzt Angela Merkel und davor Helmut Kohl. Aber mittlerweile sieht er das | |
anders. „Die CDU denkt nie an den kleinen Bürger: Keine Sozialwohnungen, | |
keine gescheite Rente, Grundsicherung oder Bürgergeld.“ Darum sei er froh, | |
dass nun Sahra Wagenknecht eine Partei gegründet habe. „Warum hat sie das | |
nicht schon früher gemacht?“, fragt er und lacht. | |
Aber trotz seiner Begeisterung: Bernhard Blüthner könne nicht Mitglied | |
werden, erklärt Juliana Klepzig. Mehr könne sie nicht sagen, sie sei selbst | |
noch kein Mitglied und nur ehrenamtlich dabei. Blüthner sieht enttäuscht | |
aus, will aber weiterhin das BSW wählen. | |
Aber warum nimmt das BSW derzeit keine neuen Mitglieder auf? Dazu erzählt | |
wenig später am Stand die sächsische Landesvorsitzende Sabine Zimmermann | |
eine Anekdote. Die 63-Jährige hat den Landesverband in Sachsen aufgebaut | |
und dabei alle 71 bisherigen Mitglieder in persönlichen Gesprächen | |
kennengelernt. Die Idee dahinter: [5][Trittbrettfahrer rausfischen]. Und im | |
Januar, da habe sie so einen erwischt. Mit Perücke und falschem Namen habe | |
ein AfD-Politiker versucht, sich ins BSW einzuschleusen. Das sei aber | |
aufgeflogen, erzählt Zimmermann. Die Regionalzeitung Freies Wort berichtete | |
über den Fall. | |
Das BSW in Gotha hat da noch ganz anderes erlebt. Bei der Kommunalwahl im | |
Mai hatte das BSW sechs Plätze im Stadtrat ergattert. Doch schon bei der | |
Konstituierenden Sitzung waren zwei der gewählten Mitglieder vom BSW zur | |
Werteunion des früheren Verfassungsschutzchefs und CDU-Politikers | |
Hans-Georg Maaßen gewechselt. Das soll nach den Landtagswahlen auf keinen | |
Fall passieren. Darum prüfe die Partei sorgsam, wen sie aufnehme, und | |
hoffe, dass alle dabeibleiben, heißt es in Thüringen. | |
Das hofft auch Sabine Zimmermann. Um kurz vor 14 Uhr verteilt sie am Stand | |
in Chemnitz Flyer. Die Sonne scheint, aber es ist nicht brennend heiß. | |
„Wenn Sie Veränderung wollen, müssen Sie BSW wählen“, sagt Zimmermann | |
routiniert und streckt einer Frau mit Kinderwagen einen orangefarbenen | |
Flyer entgegen. | |
Die nimmt ihn an und bleibt stehen. „Das kann ja so nicht weitergehen“, | |
fährt Zimmermann fort, „und ich bin die Spitzenkandidatin.“ Die Frau nickt | |
und liest vom Logo ab: „Aha, und Sie heißen Sahra Wagenknecht?“ Zimmermann | |
schaut verdutzt. „Nein“, sagt sie und zeigt auf ein Plakat mit ihrem | |
Gesicht und ihrem Namen. „Ich bin Sabine Zimmermann.“ | |
22 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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