Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- BSW-Wahlkampf in Thüringen: Der Bündnisfall
> Das BSW trifft einen Nerv im Osten. In Thüringen könnte Katja Wolf sogar
> Ministerpräsidentin werden. Aber es gibt ja noch Parteichefin
> Wagenknecht.
Bild: Aus dem Stand erfolgreich im Osten: Sahra Wagenknecht auf einem Plakat in…
Im abgesperrten Bereich hinter der Bühne lehnt sich Katja Wolf an einen
Transporter und schließt die Augen. „Entspannt ihr euch? Seid ihr
locker?!“, fragt ihr Sprecher beschwörend in die Runde. Es ist Montag in
Eisenach, der Marktplatz ist voll, gleich beginnt die Wahlkampftour des
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) durch Thüringen.
Das Manuskript ihrer Rede hat Katja Wolf einige Male durchgeknetet. „Modul
1“, steht auf dem ersten Zettel in ihren Händen, „Katjas Geschichte.
Bildung.“ Und die erste Frage, die der Moderator ihr gleich auf der Bühne
stellen wird:
„Wie fühlst du dich?“
Eben war sie noch bei [1][der Linken und Bürgermeisterin von Eisenach],
jetzt könnte Katja Wolf für das BSW Ministerpräsidentin werden. Bei 18
Prozent steht das Bündnis Sahra Wagenknecht in einigen Umfragen, der
Abstand zur CDU ist klein. Das BSW könnte das Parteiensystem durchschütteln
und der Regierung in Berlin den finalen Stoß geben, wenn zwei bis drei
Ampelparteien aus dem Landtag fliegen.
## Neue deutsche Protestpartei
Und Katja Wolf? Will die AfD schwächen und so die Demokratie vor Björn
Höcke retten, damit hat sie ihren Wechsel begründet. Für ihre Parteichefin
dagegen ist Thüringen nur der erste Schritt, um das BSW als neue deutsche
Protestpartei zu etablieren.
Wie soll man sich da schon fühlen?
Dass eine Partei aus dem Stand so erfolgreich ist, ist selten. Was aber ist
das BSW für eine Partei? Und wer sind die Leute, die in Thüringen bald
regieren könnten?
Wer das Bündnis Sahra Wagenknecht [2][durch den Wahlkampf begleitet],
erlebt eine Partei, die einen Nerv trifft. Die improvisieren muss, weil es
sie erst ein paar Wochen gibt, und die gleichzeitig mit ziemlich
etabliertem Personal daherkommt. Nicht zuletzt eine Partei, die versucht,
eine Balance zwischen dem Populismus ihrer Namensgeberin und einer
pragmatischen Realpolitik in Thüringen zu finden.
Bevor Katja Wolf auf die Bühne tritt, spielt der Liedermacher Tino
Eisbrenner ein paar seiner alten Hits. Die größten Erfolge hatte er in der
DDR. Noch im Frühjahr flog er für einen Musikwettbewerb nach Moskau.Dann
geht es los.
Der Marktplatz ist voll, die Eisenacher jubeln ihrer langjährigen
Bürgermeisterin zu. Ab Juli 2012 regierte sie die Stadt, zur Kommunalwahl
in diesem Frühjahr trat sie nicht wieder an.
Wolf spricht über Bildungspolitik und fehlende Lehrerstellen. Besonders
populistisch klingt sie nicht, nur einmal, als sie über die fehlenden
Deutschkenntnisse an den Schulen spricht, sagt sie, das hier sei „nicht
Neukölln“. Ansonsten sagt Wolf, das BSW stehe zum Asylrecht, und dass es
ein Skandal sei, dass es in Thüringen so lange dauere, bis ausländische
Ärzte anerkannt seien.
Hinter der Bühne wird es hektisch. „Katja!“, ruft einer, „Sahra kommt in
zwei Minuten.“ Wolf beendet ihre Rede und verlässt die Bühne, um ihre
Vorsitzende vom Auto abzuholen.
Die BKA-Beamten setzen ihre Sonnenbrillen auf, die Türen der schwarzen
Limousine gehen auf, Sahra Wagenknecht steigt aus – und hat ihren Mann
mitgebracht. „Oh“, sagt Wolf zu Oskar Lafontaine, „ich wusste gar nicht,
dass du auch kommst.“ Wolf und Wagenknecht umarmen sich. Die Konkurrenz,
die es zwischen ihnen gibt, hier die Parteichefin, dort die
Realpolitikerin, man spürt sie nicht auf den ersten Blick.
Vielleicht ist es jetzt, im Wahlkampf, auch weniger Konkurrenz als eine gut
funktionierende Arbeitsteilung. War Wolf eben noch die pragmatische
Bildungspolitikerin, betritt nun die Populistin die Bühne. Es dauert nicht
lange, bis Wagenknecht über elitäre Großstädter mit „Hafermilch-Macchiato…
und Lastenrädern schimpft.
Hinter der Bühne tigert Oskar Lafontaine auf und ab. „Ah, meine
Lieblingszeitung“, begrüßt er den Reporter der taz sarkastisch. Er selbst
will keine Rede halten, wie ein Unbeteiligter wirkt er aber auch nicht.
Nichts darf ihm den Blick auf die Menge von der Bühne versperren. „Ich muss
sehen, wie die Leute reagieren“, sagt Lafontaine mit einem Lächeln: „Davon
verstehe ich was.“
Auf der Bühne galoppiert Wagenknecht durch die Wahlkampfschlager. Von
Politikern, die vorschreiben würden, welche Autos wir fahren, über das Gas,
das wir vom „bösen Putin“ nicht mehr kaufen dürften, obwohl der Rest der
Welt das weiter tue.
Lauten Applaus gibt es, als sie über Armut spricht. Über Rentner, die zur
Tafel gehen müssten. In das Bürgergeld-Bashing der ganz großen Berliner
Koalition stimmt sie nicht ein, wie überhaupt interessant ist, worüber
sie im Wahlkampf kaum spricht: Migration. Das BSW hat die Wähler mit einem
Onlinetool befragt, was für sie die wichtigsten Themen im Wahlkampf seien.
Die Migration landete nur auf Platz vier. Das Volk bestellt, Wagenknecht
liefert.
Während Sahra Wagenknecht als Marktschreierin durchs Land reist, laden
[3][Mario Voigt] und Friedrich Merz von der CDU in ein Erfurter Autohaus
ein, und Kevin Kühnert geht mit Genossen wandern. Vielleicht ist das nur
eine andere Strategie, vielleicht aber auch die Angst mancher
Bundespolitiker, auf Protest zu stoßen.
Sahra Wagenknecht kommt zum Ende ihrer Rede, dem Höhepunkt. Es geht um
Krieg und Frieden, das Thema Nummer eins des BSW. In einem Satz verurteilt
sie den russischen Angriff auf die Ukraine, dann schimpft sie auf die
Waffenlieferungen der Ampelkoalition, auf „Strack-Rheinmetall“ von der FDP
und sagt: „Ohne Frieden ist alles nichts!“
Am meisten Applaus bekommt sie, als sie darauf hinweist, dass Wiesbaden von
Eisenach nicht weit ist. Dort sollen 2026 die US-Raketen stationiert
werden. Ein möglicher russischer Angriff hätte auch hier katastrophale
Folgen: „Natürlich ist das Landespolitik!“
Gerade erst hat Wagenknecht in einem Interview die Ablehnung der
Stationierung zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Vom BSW in
Thüringen war niemand über ihren Vorstoß informiert. Spricht man die
Wahlkämpfer darauf an, wird tief durchgeatmet und dann gelächelt.
War es richtig, die Ablehnung zur Bedingung zu machen, Herr Lafontaine?
„Das funktioniert hervorragend“, sagt er, was keine Antwort auf die Frage
ist, aber zeigt, dass es vor allem um Wahlkampfstrategie geht. Ob ein
bisschen Friedenspolitik im Vorwort des Koalitionsvertrags ausreiche, um
die Bedingung zu erfüllen? Oskar Lafontaine winkt ab, das werde man sehen.
Nach der Wahl.
Er wendet sich an Katja Wolf, die wieder hinter der Bühne am Auto lehnt.
Auch Lafontaine fragt, wie es ihr gehe. „So seh ich aus, wenn ich
tiefenentspannt bin“, behauptet Wolf. Man muss ihr das nicht glauben.
Nach der Rede von Sahra Wagenknecht gibt es die Möglichkeit, Fotos zu
machen. Katja Wolf nimmt ein Handy nach dem anderen und macht Bilder – von
Wagenknecht und Fans. Fotos mit ihr wollen deutlich weniger Menschen
machen.
Der Hype um das BSW ist groß. Dutzende Journalisten sind nach Eisenach
gekommen. Die „Heute Show“ ist da, die New York Times habe auch schon
angefragt. „Ich mein: Hallo!?“, sagt Pressesprecher Steffen Quasebarth,
„Wir sind doch nur das kleine Thüringen!“
Wenn aber in einer Partei selbst der Pressesprecher kaum über den
Marktplatz laufen kann, ohne für ein Selfie angehalten zu werden, hat man
wohl etwas richtig gemacht. „Ich dachte, Sie gibt’s nur um 19 Uhr im
Fernsehen“, sagt ein Passant.
Steffen Quasebarth hat 30 Jahre lang das „Thüringen Journal“ moderiert. F�…
ältere Thüringer ist das ein bisschen, als würde Ingo Zamperoni seine
Krawatte ablegen und sich einer Partei anschließen. Quasebarth ist nicht
nur BSW-Pressesprecher, er steht auch auf Listenplatz drei. Und es hat ja
eine gewisse Logik: Was braucht eine Talkshow-Politikerin wie Sahra
Wagenknecht, um erfolgreich zu sein? Einen Moderator.
Am Morgen nach ihrem Auftritt in Eisenach sitzt Katja Wolf in Erfurt unter
einem Kreuz in einem Tagungsraum der katholischen Kirche und muss über
Familienpolitik reden. Es gibt Schnittchen und Obst auf Zahnstochern. Der
Arbeitskreis Thüringer Familienorganisationen hat eingeladen, die anderen
Parteien haben ihre fachpolitischen Sprecherinnen geschickt. Da das BSW so
etwas noch nicht hat, geht die Spitzenkandidatin eben selbst.
Katja Wolf schwirrt der Kopf, gestern war sie um halb eins zu Hause. „Das
war okay. Aber bei der letzten Podiumsdiskussion dachte ich kurz: Wo bin
ich? Wie heiß ich noch mal?“ Auf dem Podium kann sie die Finger nicht von
ihrem Handy lassen.
Der Sprecher des Familienverbands hat die Wahlprogramme genau gelesen, beim
BSW sind ihm Widersprüche aufgefallen. Dort heißt es, dass die „normale
Familie“ im Mittelpunkt stehen solle. Was denn normal sei, will er wissen.
Außerdem fordert das BSW Sprachtests für Dreijährige. Wer durchfällt, soll
verpflichtend in den Kindergarten. Den besuchen aber heute schon 95 Prozent
der Thüringer Kinder – wofür braucht es da eine Pflicht?
Die Familienpolitik ist eines von vielen Feldern, auf denen unklar ist, was
die Partei will. Beim Wahl-O-Mat hat die Partei 33 von 38 ihrer Antworten
nicht begründet. Familie sei „da, wo Verantwortung ist“, sagt Katja Wolf
dann und unterscheidet sich damit nicht von SPD, Grünen und Linken.
Deutlich wird aber, dass Wolf den Abgeordneten der anderen Parteien
rhetorisch überlegen ist: Die Grüne Sprecherin spricht von „Care-Arbeit“
und „Zeitpolitik“, die Linke sagt den schönen Satz: „Wir kennen alle das
Familienförderungssicherungsgesetz“. Katja Wolf dagegen reißt als Erste das
Publikum im Saal mit, als sie sich empört, dass auf dem heutigen Podium zur
Familienpolitik ausschließlich Frauen sitzen.
Während Katja Wolf diskutiert, betritt Frank Augsten die Geschäftsstelle
des BSW. Nicht mal ein Schild hängt an der Tür, am Eingang hat jemand den
Namen der Partei auf eine Postkarte geschrieben. Zwei Schreibtische, ein
alter Teppichboden, ein Chihuahua und ein Drucker, der immer wieder
ausfällt. Von hier aus wird die politische Landschaft
durcheinandergebracht.
Frank Augsten trägt Socken in Sandalen, äußerlich könnte man ihn für einen
Grünen halten, und das war er auch, bis März. Augsten hat mal die Thüringer
Landesverbände von Bund und Nabu mitgegründet, war Landesvorsitzender der
Grünen – und ist seit Ende März beim Bündnis Sahra Wagenknecht. Ihn stört,
dass sich seine Ex-Partei in die erste Reihe derer gestellt hat, die Waffen
für die Ukraine fordern. Dass er im Frühjahr bei der Listenaufstellung der
Grünen nicht berücksichtigt wurde, dürfte auch eine Rolle gespielt haben.
Kurz danach habe es „einen Anruf“ gegeben, mehr will Augsten nicht
verraten. Nun steht er auf Platz 5 der BSW-Liste für Thüringen, damit ist
er sicher im kommenden Landtag.
Mitglieder hat die Partei in Thüringen immer noch weniger als 100. Jeder
Interessent soll sorgfältig geprüft werden, dafür fehlt aber die Zeit im
Wahlkampf. In manchen Städten hat das BSW kein Mitglied, in manchen
Landkreisen eins. Viele hatten geglaubt, dass das ein Nachteil sein würde
im Wahlkampf. Gerade zeigt sich, dass das Hemdsärmelige bei den Wählern
gut ankommt. Das hat das BSW mit der AfD gemein: Man spricht zwar nicht von
„Altparteien“, aber will anders sein als die anderen.
Tatsächlich wird viel improvisiert: Die Wahlplakate lagern in einer
Tischlerei, der Meister selbst steht auf Listenplatz 21. Mails an manche
der künftigen Abgeordneten kommen mit einer Fehlermeldung zurück, die
Adressen werden gerade erst eingerichtet.
Bei all der schönen Erzählung vom Aufbruch könnte man vergessen, dass das
BSW ziemlich etabliert aufgestellt ist: Sie hat die größte einzelne
Parteispende der vergangenen Jahre erhalten, 5 Millionen Euro von einem
Unternehmerpaar aus Mecklenburg. Sie hat Bundestagsmandate, die aus der
Spaltung der Linken hervorgingen. Und in Thüringen stehen auf den vorderen
Listenplätzen erfahrene Kandidaten. Neben ehemaligen Grünen kommen
Kandidaten von der CDU, den Wahlkampf koordiniert eine ehemalige
Bundestagsabgeordnete der Linken.
Sie alle werden nicht durch Amateurfehler auffallen, so das Kalkül.
Gleichzeitig ist kaum vorstellbar, dass sich diese erfahrenen
Landespolitiker aus Berlin oder dem Saarland diktieren lassen, unter
welchen Bedingungen sie einer Koalition zustimmen.
Auf ihrer Wahlkampftour betont das BSW, wie viele Unternehmer, Gastwirte,
„ganz normale Bürger“ auf ihrer Liste stehen. Der Staat solle mehr
ermöglichen, weniger verbieten, und überhaupt klingt das oft ziemlich
wirtschaftsliberal. Hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass das
Parteiensystem im Umbruch ist und sich nicht mehr klassisch von links bis
rechts organisiert, das BSW liefert ihn. Im Osten mit seiner geringen
Parteibindung verfängt das.
Der Ex-Grüne Frank Augsten hat nur kurz Zeit für ein Gespräch, gleich ist
er mit dem Landesgeschäftsführer verabredet. Sie bereiten die
Koalitionsverhandlungen mit der CDU vor, erzählt er. Beim Ökolandbau liege
Thüringen ganz hinten, und wie könnte ein Kompromiss bei der Windkraft im
Wald aussehen? Augsten ist dafür, viele Thüringer dagegen. Seiner Partei
hat er abgerungen, dass sie im Wahlprogramm dazu uneindeutig bleibt. Er
will vorbereitet sein für das, was am Wahlsonntag um 18 Uhr beginnt. Wenn
es nach Augsten geht, ist er in ein paar Wochen Minister, das gibt er gern
zu – bevor er sich verabschiedet.
Augstens Beispiel zeigt, dass das BSW breit aufgestellt ist. Ob die Partei
inhaltlich beliebig wird oder sich so als ostdeutsche Volkspartei
aufstellen will, dürfte sich nach der Wahl zeigen.
Einen Tag nach dem Marktplatz von Eisenach ist nun der von Altenburg dran,
in Ostthüringen, an der Grenze zu Sachsen. Hier hat Katja Wolf keinen
Heimvorteil.
Altenburg hat seit der letzten Wahl einen Direktkandidaten der AfD, auch
bei den Kommunalwahlen wurde die Partei stärkste Kraft. Auf dem Marktplatz
schaut der Bratwurstverkäufer skeptisch auf die Bühne von Sahra
Wagenknecht, stützt sich mit den Fäusten auf den Tresen und sagt: „Mir ist
die AfD noch zu links.“ Ein älterer Mann schiebt sein Fahrrad über den
Platz. Er freut sich, dass Wagenknecht sich gegen die US-Raketen stark
macht. „Seit der Wende haben wir die scheiß Amis hier“, sagt er.
## Und wie hält man es mit der AfD?
Katja Wolf hat ihren Übertritt zum BSW damit begründet, dem Rechtsruck
etwas entgegensetzen zu wollen. Und tatsächlich trifft man auf den
Marktplätzen viele Menschen, die erzählen, dass sie zu Hause bleiben oder
die AfD wählen wollten, aber nun überlegen, dem BSW ihre Stimme zu geben.
Die wütend auf die Ampel sind, aber in der CDU und der Linken keine
Alternative sehen. Wenn man diese Menschen in ihrem Antiamerikanismus
bedient und mit Populismus gegen Lastenräder dafür gewinnen kann, eine
populistische, aber demokratische Partei zu wählen statt Höcke – wäre das
nicht ein verschmerzbarer Preis?
Einerseits.
Andererseits hat das BSW es bei der Europawahl nicht geschafft, die AfD
merkbar zu schwächen. Auch von der Linken dürften bei der Landtagswahl
viele Wähler überlaufen. Katja Wolf erzählt, dass sie mit ihrem ehemaligen
Genossen [4][Bodo Ramelow] weiter Nachrichten schreibe. „Aber keine
Herzchen.“
Realpolitisch könnte das BSW den Faschisten Höcke sogar stärken. Katja Wolf
hat angekündigt, im Landtag „vernünftigen“ Anträgen der AfD zustimmen zu
wollen. Das werde nicht oft vorkommen, verteidigt sie ihren Vorstoß, in
Eisenach habe sie keinen einzigen solchen Antrag erlebt. Aber damit war der
Geist aus der Flasche.
Beim BSW glaubt man, dass man nicht weiterkommt mit der bisherigen
Strategie, auch harmlose Anträge zur Geschäftsordnung lieber mit
Copy-and-Paste zu übernehmen und selbst zu stellen. „Das Spiel ist
gescheitert“, sagt Katja Wolf, die AfD stehe bei 30 Prozent. „Wenn die AfD
sagt, der Himmel ist blau, dann können wir doch nicht aus Prinzip sagen,
das ist er nicht.“
Es ist ein Schritt, der die AfD weiter normalisieren wird. Katja Wolf
glaubt, dass er sie entzaubert.
Die CDU hat im Landtag bereits Anträge mit Stimmen der AfD durchgebracht,
sich aber nicht an deren Initiativen beteiligt. Sollte es nach den Wahlen
wieder keine Mehrheitsregierung geben, könnte sich die Frage umso
dringender stellen.
Eine Tolerierung durch die AfD oder eine andere Zusammenarbeit schließt das
BSW aus. Auf ein Kemmerich-Szenario hat man sich aber bisher auch nicht
vorbereitet, heißt es aus der Partei – also auf den Fall, dass es im
Landtag keine Mehrheit für einen Kandidaten gibt und die AfD sich wieder
einen Trick einfallen lässt, ähnlich wie 2020, als Thomas Kemmerich von der
FDP mit ihren Stimmen zum Kurzzeitministerpräsidenten gewählt wurde.
Am Wahlsonntag um 18 Uhr wird sich zeigen, ob sich beides zusammenbringen
lässt: Eine pragmatische Lösung für Thüringen und der Aufstieg einer neuen
deutschen Oppositionspartei.
## Kompromisslosigkeit oder Realpolitik
Sahra Wagenknecht will kompromisslos in den Bundestagswahlkampf starten,
der im Herbst nach den Landtagswahlen beginnt. „Wir werden nie Teil dieses
Sumpfes sein!“, ruft sie den Altenburgern von der Bühne aus zu, als sie
über die anderen Parteien schimpft. Eine Koalition mit der CDU in Thüringen
würde dem widersprechen.
Katja Wolf weiß, dass sie Ende nächster Woche zur ersten Machtbasis für das
BSW werden könnte. Sahra Wagenknecht mag ihren Namen gegeben haben –
realpolitisch ist sie eine Hinterbänklerin im Bundestag. Das föderale
System der Bundesrepublik könnte helfen, den Populismus zu begrenzen:
Formal entscheidet der Landesverband.
Anders als Wagenknecht redet Wolf über Friedenspolitik nur, wenn sie darauf
angesprochen wird. Arbeitsteilung eben. Dann sagt sie, man werde sich nur
an einer Landesregierung beteiligen, die in dieser Frage klar ist. Was das
bedeutet, lässt man lieber im Unklaren.
„Wir können in Thüringen nicht beschließen, dass Putin an den
Verhandlungstisch kommt“, hatte Katja Wolf hinter der Bühne in Eisenach am
Vortag zu einer Traube von Journalisten gesagt. Es müsse aber ein „klares
Bekenntnis für Frieden aus Thüringen geben“. Mit der Landes-CDU in scheint
das durchaus realistisch. Auch ihr Spitzenkandidat Mario Voigt fordert im
Wahlkampf „mehr Diplomatie“.
Ob das der großen Vorsitzenden reicht? Auf dem Marktplatz in Altenburg sagt
Sahra Wagenknecht: „Wir werden alles tun, um die Stationierung dieser
Waffen in Deutschland zu verhindern“. Alles – das klingt nach mehr als ein
bisschen Frieden im Vorwort des Koalitionsvertrags. Dem Spiegel hat
Wagenknecht gesagt, sie werde bei möglichen Koalitionsverhandlungen „mit am
Tisch sitzen“ – ungewöhnlich für eine Bundesvorsitzende.
Wagenknecht rauscht wieder ab, die nächste Bühne wartet auf sie. Sie liebe
Thüringen, ihr Heimatland, den Dialekt, hatte sie dem gerührten Publikum
noch gesagt. Der Thüringer Senf scheint ihr weniger zu schmecken. Den
Präsentkorb, den ihr die stolzen Altenburger auf der Bühne überreicht
hatten, hat sie stehen gelassen.
Katja Wolf sagt: „Es muss am Ende immer um Thüringen gehen.“
24 Aug 2024
## LINKS
[1] /Buergermeisterin-verlaesst-die-Linke/!5990183
[2] /Landtagswahlen-in-Sachsen-und-Thueringen/!6031680
[3] /Mario-Voigt-ueber-Wahl-in-Thueringen/!6027993
[4] /Wahlen-in-Thueringen/!6017702
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Thüringen
BSW
Wahlkampf
wochentaz
Lesestück Recherche und Reportage
GNS
Sahra Wagenknecht
BSW
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
Wahlen in Ostdeutschland 2024
BSW
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Wahlen in Ostdeutschland 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wagenknecht und Weidel im TV-Duell: Und die Brandmauer? Leidet
Weidel verharmlost die AfD, Wagenknecht hilft ihr dabei. Das TV-„Duell“ war
für beide ein Erfolg, und auch für den Springer-Sender Welt TV.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Oh diese Lücke, diese entsetzliche​
Die Kritik an der neuen populistischen Partei ist berechtigt. Aber für den
Erfolg des BSW tragen Linke und Ampel eine Mitverantwortung.
Landtagswahlen Sachsen und Thüringen: Von null auf Regierung?
Das BSW von Sahra Wagenknecht zieht in die Landtage ein. Und nun auch in
die Landesregierungen? Das entscheidet nicht allein die Parteigründerin.
Szenario eines AfD-Ministerpräsidenten: Könnte, hätte, Höcke
Könnte Björn Höcke nach der Wahl in Thüringen Ministerpräsident werden? Und
was müssten die anderen Parteien tun, um das zu verhindern?
Bündnis Sahra Wagenknecht: Italienisierung des Parteiensystems
Die Wagenknecht-Partei ist kein neoautoritäres Gespenst der deutschen
Geschichte. Sondern ein Vorbote dessen, was nach den Volksparteien kommt.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Sie glauben, es hackt
Das BSW schlägt sich offenbar mit einem Datenleck herum – und spricht von
einem Hackerangriff. Ist die Partei zum Opfer dunkler Mächte geworden?
Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Alles auf Sahra
Noch ist das Bündnis Sahra Wagenknecht die große Unbekannte in der
politischen Landschaft. Trotzdem wollen viele Menschen sie wählen. Warum?
Mario Voigt über Wahl in Thüringen: „Warum diese Koalitionspuzzles?“
Der CDU-Mann Mario Voigt will Ministerpräsident von Thüringen werden. Ohne
das BSW geht das kaum. Ein Gespräch über Wagenknecht und „Höcke ist doof�…
Brandmauer in Ostdeutschland: Es kommt jetzt auf die CDU an
Nach den Wahlen in Thüringen wird die Union über ihren Schatten springen
müssen. Die Versuchung wird groß sein, stattdessen die Brandmauer
abzubauen.
Landtagswahl in Thüringen: Zwischen Höcke und Wagenknecht
In drei Wochen wählt Thüringen. Die CDU will an die Macht – ohne AfD und
Linke. Aber mit wem dann? Unterwegs in einem komplizierten Wahlkampf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.