# taz.de -- Bündnis Sahra Wagenknecht: Italienisierung des Parteiensystems | |
> Die Wagenknecht-Partei ist kein neoautoritäres Gespenst der deutschen | |
> Geschichte. Sondern ein Vorbote dessen, was nach den Volksparteien kommt. | |
Bild: Geisterbeschwörungen gegen Sahra Wagenknecht bringen wenig | |
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist noch neu. Doch es gibt schon ein paar | |
erstaunlich ausgehärtete Deutungen, was es mit der Partei auf sich hat. | |
Eine lautet: Das BSW ist das Resultat des autoritären Defektes im Osten. | |
Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hält das BSW für Ausdruck einer | |
typisch ostigen „Sehnsucht nach einem autoritären Staatsgebilde, einer | |
homogenen Gesellschaft und einer ‚Diktatur der Mehrheit‘“. Wagenknecht sei | |
[1][eine „leninistische Ideologin“, die einen Frontalangriff auf den | |
freiheitlichen Westen im Schilde führt], so Kowalczuk. Also: Diktatur gegen | |
Freiheit. Wie im Kalten Krieg. | |
Eine Handvoll früherer BürgerrechtlerInnen haben Wagenknecht attestiert, | |
einen „nationalen Sozialismus“ anzustreben. Das BSW ist somit eine Art | |
Wiedergängerin der totalitären deutschen Vergangenheiten. Daher warnen die | |
AutorInnen, die CDU in Erfurt oder Dresden dürfe keinesfalls mit den | |
BSW-Putin-Fans [2][zusammenarbeiten]. | |
Wagenknecht als Gespenst der deutschen Diktaturgeschichte zu entlarven, | |
sorgt für eine übersichtliche Gut-böse-Front, die übrigens Wagenknechts | |
Schwarzweißrhetorik umgekehrt spiegelt. Diese Geisterbeschwörungen bringen | |
wenig. Das BSW ist kein Monster der Geschichte, sondern eine gegenwärtige | |
Projektionsfläche für Sehnsüchte und Frustrationen. | |
Der Aufstieg des BSW ist Teil einer Art Italienisierung des deutschen | |
Parteiensystems: Die beiden tragenden Säulen Union und SPD verlieren in | |
einem langsamen Prozess ihre zentrale Stellung. Situative | |
EmpörungsunternehmerInnen wie Wagenknecht sind im Aufwind. Der Osten mit | |
seinen losen Parteibindungen ist da Trendsetter. | |
## Das BSW ist nicht links | |
In Westdeutschland hält man sich selbst zwar immer noch für die | |
Demokratie-Norm und blickt entnervt auf die missratene Abweichung im Osten. | |
Aber das ist eine Blickverengung. In einem von Rechtspopulisten bevölkerten | |
Europa mit Wilders, Orbán und Meloni gerät ins Schwimmen, was Norm und was | |
Abweichung ist. | |
Auch die alles überstrahlende Figur an der Spitze einer Partei ist weniger | |
als Echo deutscher Diktaturgeschichte zu entziffern denn als | |
beklagenswerter Normalfall westlicher Demokratien. In Italien schneiderte | |
sich Berlusconi eine eigene Partei, Beppe Grillos populistische „Cinque | |
Stelle“ stieg auf und verglühte wieder, Trump hat die Republikaner zu | |
seinem Fanclub degradiert, Macron altbewährte französische Parteien | |
ruiniert. Angesichts dessen wirkt Wagenknechts Ego-Partei eher wie eine | |
nachholende Anpassung an den Zeitgeist digitaler Massendemokratien, in | |
denen Organisationen weniger zählen als Personen. | |
Zu den Irrtümern über das BSW gehört auch, dass es sich um eine | |
linkspopulistische Formation handelt. „Wir sind keine Linke 2.0“, beteuert | |
Wagenknecht. Man sollte ihr nicht allzu viel glauben – das schon. Sie hat | |
früher Hartz IV als Zeichen des Verrats der SPD gegeißelt. Dieser Furor ist | |
verschwunden. | |
An die Stelle der Ausgeschlossenen aus dem kapitalistischen System | |
adressiert sie nun „die Fleißigen“. Die sind ein Synonym für den | |
biodeutschen „kleinen Mann“, der sich von Gendern und Migranten, globalen | |
Konzernen und grünen Eliten bedroht fühlt. BSW appelliert so an die „alte | |
Mitte“ (Andreas Reckwitz), an Handwerker, Kleinunternehmer und | |
Facharbeiter, die sich vom Zentrum an den Rand geschoben fühlen, und | |
beschimpft die grünen Vertreter der globalisierungsaffinen, urbanen | |
Wissensökonomie. Für die Provinz, gegen die Metropolen. Für das alte | |
Normale, gegen das Globale. | |
Es gibt keine Linke ohne eine Idee von Fortschritt. Das BSW bietet keine. | |
Für es liegt das Reich des Wünschenswerten hinter uns. Es ist die alte | |
Bundesrepublik, eine idealisierte Deutschland-AG, in der hart arbeitende | |
Männer in der deutschen Provinz die Norm definierten. Dass Wagenknecht | |
diese Bundesrepublik nicht selbst erlebt hat, ist ihrer Lobpreisung | |
zuträglich. | |
Die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen, das authentische Volk zu | |
preisen und abgehobene Eliten zu verdammen – damit schlägt das BSW ähnliche | |
Töne an wie die AfD. Auch die Formel von der „dümmsten Regierung Europas“ | |
ist populistische Wutbewirtschaftung. Allerdings trennt BSW und AfD viel. | |
Die Wagenknecht-Truppe ist kulturell rechts, aber nicht rechtsextrem, | |
migrationsskeptisch, aber nicht rassistisch, populistisch, aber nicht | |
antidemokratisch. | |
## Die größte Schwäche | |
Was das BSW wird, ist noch nicht klar. Es kann sich zu einer Kraft der | |
rechten Mitte entwickeln, die wie die Freien Wähler in Bayern | |
affektgeladene Anti-Establishment-Sprüche mit Erdverbundenheit kombiniert. | |
Der Blick auf das Personal macht das aber eher unwahrscheinlich. | |
Wagenknecht hat noch nie politische Verantwortung getragen. Ihr | |
Geschäftsmodell ist die Produktion von Erregungszuständen und medialer | |
Aufmerksamkeit. | |
Wie sich die Rolle der schneidenden Besserwisserin mit der Verteidigung | |
mühsamer Kompromisse in der Bildungspolitik in Thüringen vertragen soll, | |
ist unklar. Lafontaine und Wagenknecht haben in der Linkspartei mit | |
Inbrunst jeden Kompromiss mit der SPD in Landesregierungen als Verrat | |
gegeißelt. Dass ausgerechnet im autoritär geführten BSW Erfurt und Dresden | |
autonom entscheiden dürfen, wäre eine Pointe. | |
Vermutlich aber ist Landespolitik nur Mittel für Wagenknechts Ziel, 2025 im | |
Bundestag als Chefanklägerin gegen die nächste vermeintlich dümmste | |
Regierung des Kontinents zu wettern. Einen Mechanismus, wie innere | |
Konflikte gelöst werden, gibt es beim BSW nicht. Die Chefin hat immer recht | |
– das wird nicht reichen. | |
Die Bürgerrechtler fordern, das BSW dürfe keinesfalls in Erfurt | |
mitregieren. Sie liegen falsch. Und zwar nicht nur, weil man ja Mehrheiten | |
gegen die rechtsextreme AfD bilden muss. Es ist falsch, das BSW in sein | |
Heimatbiotop, die Opposition, zu schicken und aus der Verantwortung zu | |
entlassen. Regieren wäre für die Wagenknecht-Partei ein viel größeres | |
Risiko als für die CDU. Es wäre der Realitätstest für die populistischen | |
Versprechen. | |
29 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theeuropean.de/politik/was-wagenknecht-mit-ihrer-partei-wirklic… | |
[2] https://www.theeuropean.de/gesellschaft-kultur/bsw-wie-haeltst-du-es-mit-de… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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