# taz.de -- Scholz und BSW: Rückenwind vom Kanzler | |
> Waffenlieferungen und die Stationierung von US-Raketen – Olaf Scholz | |
> diskutiert nicht lange. Sein autoritäres Schweigen nützt den | |
> Friedenspopulisten. | |
Bild: Der Kanzler schweigt – und das BSW gedeiht | |
Berlin taz | Kanzler Olaf Scholz verkündete im Februar 2022 die | |
Zeitenwende, die Aufrüstung der Bundeswehr und Waffenlieferungen an Kyjiw. | |
Es sprach für die Weitsicht von Scholz, dass er die Risiken dieses | |
Kurswechsels sah. Denn in den deutschen Provinzen jenseits der Berliner | |
Blase löste die Zeitenwende weniger Jubel als Sorge aus. Man müsse, so die | |
Erkenntnis des Kanzlers, auch die Hälfte der Bevölkerung berücksichtigen, | |
die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs hat. | |
So entstand das Bild des besonnenen Kanzlers, der Risiken abwog und auch | |
mal Nein zur Lieferung von Panzern sagte. Dieses Bild ist zertrümmert und | |
das der Friedenspartei SPD auch. Das liegt mit daran, dass Deutschland mehr | |
Waffen an die Ukraine liefert als Europa zusammen und im Baltikum | |
militärische Schutzmacht ist. Beides ist richtig, denn Russland ist eine | |
neoimperiale Macht. Dass die SPD ihren friedenspolitischen Kredit verspielt | |
hat, ist aber kein Automatismus. | |
Es ist das Ergebnis einer Mixtur aus politischen Fehleinschätzungen und | |
einem Kanzler, der im falschen Moment schweigt. [1][2022 war Scholz noch | |
skeptisch], weil deutsche Kampfpanzer der russischen Propaganda | |
möglicherweise eine Steilvorlage liefern. 2024 winkte er den Einsatz | |
deutscher Waffen sogar auf russischem Gebiet durch. Auch dafür gibt es | |
Gründe, die Ukraine wollte so russischen Raketenbeschuss auf Charkiw | |
bekämpfen. | |
Der Eindruck aber ist: [2][Je länger der Krieg dauert], umso dichter wird | |
Deutschland in ihn verstrickt. Und außer immer mehr Waffen in einen Krieg | |
ohne Ende zu schicken, hat Berlin keine Idee. Eine deutsche | |
Friedensinitiative, etwa gemeinsam mit China und Südafrika, hätte dieses | |
Bild korrigieren können. Doch die gibt es nicht. | |
## Top-down statt Debatte | |
Der zweite Fehler ist die [3][Stationierung von | |
US-Mittelstreckenraketen]. Das demokratische Verfahren hätte verlangt, | |
diese Frage ausführlich in Medien, Partei, Parlament zu diskutieren, das | |
Pro – mehr Abschreckung – sorgsam gegen das Kontra – eine unkontrollierte | |
Aufrüstungsspirale – abzuwägen. Das Mindeste wäre gewesen, wie beim | |
Nato-Doppelbeschluss, die Stationierung mit einem Verhandlungsangebot zu | |
verbinden. So hätte ein besonnener Kanzler gehandelt. | |
Doch die Stationierung wurde ohne jede Debatte von oben dekretiert. All das | |
ähnelt nicht Führung, sondern Erpressung. Auch wenn man die Wirkmacht von | |
Kanzlererklärungen in einer fragmentierten Öffentlichkeit nicht zu hoch | |
veranschlagen sollte – diese Mixtur aus autoritärem Top-down und | |
Schmallippigkeit ruiniert Vertrauen. | |
Das SPD-Präsidium beteuert nun, dass Abrüstung erfreulich wäre, aber nicht | |
mit Putin. Mag sein, dass man dem russischen Diktator nicht mit | |
Entspannungspolitik kommen sollte. Aber an die Erkenntnis, dass man mit den | |
Feinden, die da sind, verhandeln muss, sollte sich die SPD noch erinnern | |
können. Nach dem Nato-Doppelbeschluss 1979 dauerte es sechs Jahre, bis | |
Abrüstungsverhandlungen begannen. Diese Geduld scheint die SPD nicht mehr | |
zu haben. | |
Und selbst wenn man vermutet, dass Putin nur auf-, aber nicht abrüsten will | |
– was kostet es, ein Verhandlungsangebot zu machen? Scholz’ kluge | |
diplomatische Offensive, mit der er 2022 Staaten des Globalen Südens für | |
die Position des Westens gewinnen wollte, scheint auch an Schwung verloren | |
zu haben. | |
## BSW lockt mit falschen Hoffnungen | |
Warum die Verengung auf Waffen, Raketen, Militär? Die SPD hat sich von | |
ihren zähen Illusionen über Putin und der Überzeugung, dass Handel | |
Sicherheit schafft, verabschiedet. Sie hat sich schwerfällig von der | |
Nord-Stream-2-Kumpanei in Schwerin und von [4][Gerhard Schröders | |
Putin-Connection] distanziert. Kann es sein, dass sie nun überkompensiert? | |
In dem Sinnloch, das Scholz’ autoritäres Schweigen hinterlässt, gedeiht | |
[5][Sahra Wagenknechts Friedenspopulismus]. Das BSW greift geschickt Ängste | |
vor einer Eskalation auf und verbindet sie mit Teilen russischer | |
Propaganda. Dazu gehört die Mär, dass Putin von dem aggressiven Westen halb | |
zu diesem Krieg gezwungen wurde. Und dass der Westen nur | |
Verhandlungsbereitschaft signalisieren müsste, um Frieden zu schaffen. Dass | |
Russland eine aggressive Macht ist, wird in dieser Täter-Opfer-Umkehr | |
ignoriert. | |
Keine Sanktionen mehr, keine Waffen für Kyjiw – der Frieden, den das BSW | |
will, wäre Kapitulation. Populisten haben nur dann Erfolg, wenn | |
demokratische Politik Stimmungen ignoriert und sich abschottet. Die | |
Erfolge, die sich für das Empörungsunternehmen Wagenknecht bei den drei | |
Ostwahlen abzeichnen, sind kein Defekt eines Diktatur-geschädigten Ostens, | |
den wir im Hochgefühl, zur moralisch intakten Elite zu gehören, | |
händeringend beklagen könnten. Sie sind das Echo des Versagens von Olaf | |
Scholz. | |
18 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Zoegerliche-Waffenlieferung/!5907354 | |
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[3] /Stationierung-von-Mittelstreckenraketen/!6026934 | |
[4] /Schroeder-wird-Gazprom-Aufsichtsrat/!5833195 | |
[5] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht-vor-der-Wahl/!6013758 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
BSW | |
Olaf Scholz | |
Waffenlieferung | |
Social-Auswahl | |
Mittelstreckenraketen | |
wochentaz | |
Die Linke | |
Ampel-Koalition | |
BSW | |
BSW | |
Olaf Scholz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mittelstreckenraketen im Bundestag: Fast alle gegen Olaf | |
Der Bundestag diskutiert erstmals über die Entscheidung, Russland mit neuen | |
US-Raketen abzuschrecken. Über ein Versäumnis herrscht beinahe Konsens. | |
Linke in Ost und West: Narziss Sahra, Priester Jürgen | |
Als Jürgen Elsässer noch den völkischen Nationalismus kritisierte, war | |
Sahra Wagenknecht der Antifaschismus bereits egal. Erinnerungen an ein | |
Podium. | |
Rückzüge an der Linken-Spitze: Der Wandel war zu rabiat | |
Die Linkspartei ist existenziell gefährdet. Die Chefs Wissler und | |
Schirdewan sind damit gescheitert, die überalterte Partei für Junge zu | |
öffnen. | |
Länderkoalition nicht ausgeschlossen: Esken und Nouripour blinken gen BSW | |
SPD und Grüne haben Differenzen mit dem BSW. Ihre Parteichefs wollen eine | |
mögliche Kooperation in den Ländern aber den dortigen Verbänden überlassen. | |
BSW und Ukraine-Krieg: Ganz schlicht den Takt vorgeben | |
Frieden mit Putin sei möglich, suggeriert das Bündnis Sahra Wagenknecht – | |
und bedient so geschickt Sehnsüchte der Ost-Wählerschaft. | |
Sahra Wagenknecht: „Die Partei ist ja kein Selbstzweck“ | |
Warum hat das BSW bisher nur so wenig Mitglieder? Sahra Wagenknecht will | |
ihre Partei kontrolliert aufbauen – und „nicht sowas wie bei der AfD | |
erleben“. | |
Kanzler Olaf Scholz im Gespräch: „Wir werden noch lange Waffen liefern“ | |
Olaf Scholz rechnet nicht mit einem schnellen Ende des Angriffskriegs auf | |
die Ukraine. Der Kanzler im Interview über die Bundeswehr, China und die | |
Angst vor Putin |