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# taz.de -- Wasserversorgung in Berlin: Auf dem Trockenen?
> Alles, was flussauf der Spree etwa in den Kohlegruben der Lausitz
> passiert, muss Berlin interessieren. Die Stadt fördert ihr Trinkwasser
> aus dem Fluss.
Bild: Der Weg des Wassers: die Spree in Berlin
Um zu wissen, wie es um Berlin bald stehen könnte, lohnt sich der Aufstieg
auf den Aussichtsturm im Cottbuser Stadtteil Merzdorf. 250 Kilometer
spreeaufwärts der Hauptstadt bietet sich am künftigen Stadthafen ein Blick,
von dem viele in Cottbus träumen. Wo bis 2015 Bagger und Förderbänder die
Kohle aus dem Tagebau Cottbus-Nord gekratzt haben, entsteht Brandenburgs
größter künstlicher See. Sein Name: der Cottbuser Ostsee.
Bis zum nächsten Jahr soll die 19 Quadratkilometer große Grube vollgelaufen
sein und das neue Naherholungsgebiet der Lausitzmetropole entstehen – mit
Hafenviertel, Badestränden, Radweg und der Seevorstadt, die den Ostsee mit
der Cottbuser Innenstadt verbindet.
So schön kann der Kohleausstieg sein. Eine Tagebaufolgelandschaft als
Versprechen einer blühenden Seenlandschaft. Auch wenn es mit dem
Volllaufen, wie man inzwischen weiß, auch ein paar Jährchen länger dauern
könnte.
In Berlin gruseln sie sich inzwischen bei diesem Gedanken. [1][Von „großen
wasserwirtschaftlichen Herausforderungen“ spricht Berlins Regierender
Bürgermeister Kai Wegner (CDU)] und meint damit nicht nur das Spreewasser,
mit dem der Ostsee geflutet wird und das in Berlin nicht mehr zur Verfügung
steht. Wegner sorgt sich auch über die Folgen des Kohleausstiegs für die
Trinkwasserversorgung in der Hauptstadt. Zwei Drittel des Wassers, das bei
den fast 4 Millionen Berlinerinnen und Berlinern aus dem Hahn fließt,
stammt aus dem Uferfiltrat von Spree und Havel. Sitzt Berlin bald auf dem
Trockenen?
Auf einem „Spreegipfel“, einem Krisentreffen mit seinen
Ministerpräsidentenkollegen Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenburg und
Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, verwies Wegner Mitte Juni mit Sorge
auf den Pegelstand der Spree, der „stark von den Einleitungen aus den
Tagebauregionen abhängt“.
Eine Woche zuvor hatte Wegners Parteikollegin, Umweltsenatorin Ute Bonde,
den Müggelsee besucht, Berlins größtes Trinkwasserreservoir, das von der
Spree gespeist wird. [2][„Ein Viertel der Berliner trinkt das gute
Uferfiltrat des Großen Müggelsees“, betonte die Senatorin]. Dabei
appellierte Bonde auch an die Berlinerinnen und Berliner: „Wir alle sind
aufgerufen, sparsam mit Wasser umzugehen“, sagte sie und forderte, nur noch
volle Waschmaschinen in Gang zu setzen, kürzer zu duschen und Gärten nicht
mehr mit Trinkwasser zu wässern.
Wird die CDU plötzlich zur Verbotspartei? Was ist da los in Berlin und
Brandenburg?
## Ein Gutachten schlägt Alarm
Um zu verstehen, warum man in Berlin nervös wird, muss man vom Merzdorfer
Turm spreeaufwärts blicken, Richtung [3][Tagebau Welzow-Süd oder weiter
nach Sachsen], in die Tagebaue Nochten und Reichwalde.
Zum Beispiel nach Steinitz, einem kleinen Dorf bei Drebkau im Landkreis
Spree-Neiße. Aus dem noch aktiven Tagebau Welzow-Süd pumpt der
Bergbaubetreiber Leag das Grubenwasser in die Steinitzer Fließe. Insgesamt
5 Kubikmeter solcher „Sümpfungswässer“ fließen pro Sekunde über die
verschiedenen Zuflüsse in die Spree.
Sümpfungswässer ist ein Begriff, den Berliner Politiker wie Kai Wegner
spätestens im Juni 2023 lernen mussten. [4][In einem Gutachten des
Umweltbundesamtes (UBA)] war damals zu lesen, dass diese Sümpfungswässer
die Hälfte des Spreewassers ausmachen. Im Sommer besteht die Spree
manchmal sogar zu drei Vierteln aus abgepumptem Grundwasser. Wasser, das
der Spree nach dem Kohleausstieg fehlen wird. [5][UBA-Chef Dirk Messner
schlug Alarm]: „In Berlin und Brandenburg könnte im schlimmsten Szenario
das Wasser empfindlich knapp werden, wenn nicht entschlossen gegengesteuert
wird.“
Auch ganz konkrete Maßnahmen hat das Umweltbundesamt vorgeschlagen: Der
Cottbuser Ostsee soll zu einem Wasserspeicher werden. Um den Spreewald,
Europas größtes Binnendelta mit seinen Hunderten Kilometern von Fließen,
könnte eine Umleitung gelegt werden. Und aus der Elbe soll durch eine
Überleitung Flusswasser in die Spree gepumpt werden. Seitdem steht das
Thema Wasser auf der Tagesordnung – und eine Krisensitzung jagt die
nächste.
## Badestrand oder Wasserspeicher?
Am Cottbuser Altmarkt schüttelt Martin Kühne den Kopf. „Da wurden viele
Erwartungen und Hoffnungen geweckt“, sagt der 75-Jährige über den Ostsee
und seine Bedeutung für die Stadt. „Man hatte den Eindruck, dass die
ehemalige Grube eher morgen als übermorgen zum Baden freigegeben wird. Aber
bis der See aus dem Bergbaurecht entlassen wird, kann es bis in die 30er
Jahre dauern.“
Wenn die Cottbuser vom Ostsee träumen, mischen sich darin inzwischen auch
Albträume. Der letzte Rückschlag ist ein Jahr her. [6][Auf einer Länge von
40 Metern rutschen 20 Meter Seeufer die Böschung hinab]. Eine Rutschung,
die es eigentlich nicht hätte geben dürfen, meint Martin Kühne. „Die Leag
hat immer behauptet, dass sie ein solches Trockenszenario durchgerechnet
hat“, sagt er. Trockenjahre, in denen kein Spreewasser in die Grube fließe,
hieß es, würden den See nicht gefährden. „Nun sehen wir, dass man sich auf
die Aussagen der Leag nicht blind verlassen kann.“
Kühne ist ein grünes Urgestein in Cottbus. Noch vor der Wende hat er die
Umweltgruppe Cottbus mitbegründet. Bis zur Kommunalwahl am 9. Juni saß er
für die Grünen im Umwelt- und Bauausschuss der Stadtverordnetenversammlung.
Sosehr Kühne kritisiert, dass mit dem Ostsee zu schnell zu viele Hoffnungen
verbunden waren, so skeptisch steht er der Forderung des Umweltbundesamtes
gegenüber, aus dem Ostsee einen Wasserspeicher zu machen. „Wenn der
Wasserstand der Spree mit dem Wasser aus dem Ostsee reguliert werden soll,
kommen auf den See Pegelschwankungen von 1 bis 1,70 Meter zu“, sagt er.
„Dafür ist die Statik des Ostsees nicht berechnet.“
Seit 2019 wird der einstige Tagebau geflutet – oder auch nicht. In
Trockenzeiten darf kein Spreewasser entnommen werden. Dass er nun als
Speicher für die Spree und Berlin dienen soll, hat die Stadtverordneten in
Cottbus überrascht. Als 2016 der Planfeststellungsbeschluss verabschiedet
wurde, war von einem Speicher keine Rede.
Auch heute noch ist Martin Kühne skeptisch, nicht nur wegen der möglichen
Pegelschwankungen. „Wir brauchen den Ostsee als Erholungsgebiet, um die
Seevorstadt nicht zur gefährden“, sagt er. Als Gewinnerin des
Strukturwandels in der Lausitz wird Cottbus wachsen, hofft er. [7][Ein
neues, klimaneutrales Stadtquartier, das seine Fernwärme auch aus einer
Seewasserpumpe aus dem Ostsee bezieht, wäre für die Stadt wichtig].
Doch das UBA macht beim Speicher Druck. „Bislang verfügt die Region über
ein Speichervolumen von rund 99 Millionen Kubikmeter Wasser“, heißt es in
einer Mitteilung, die mit dem Gutachten veröffentlicht wurde. „Mit einer
Erweiterung der Speicherkapazitäten um 27 Millionen Kubikmeter ließen sich
Defizite in den wasserarmen Monaten teilweise auffangen.“
Martin Kühne muss lachen. „Es ist wohl kein Zufall, dass die 27 Millionen
Kubikmeter, die das Umweltbundesamt an zusätzlicher Speicherkapazität
fordert, exakt der Menge an speicherbarem Wasser im Ostsee entspricht“,
sagt er. Für ihn ist die Sache klar. „Das Gutachten ist maßgeblich von der
Leag geschrieben worden.“ Als Bergbaubetreiber müsse das Unternehmen die
Kosten für die Rekultivierung der ehemaligen Tagebaue übernehmen. „Mit
Forderungen wie einem Speicher und einer Überleitung aus der Elbe will sich
die Leag ihren Verpflichtungen entziehen und die Kosten auf den
Steuerzahler abwälzen.“
## Leag: mächtig und intransparent
Es ist ein heißes Eisen, das Kühne anspricht. Eines, an das sich auch die
Politik nicht wirklich herantraut.
In ihrer Erklärung beim „Spreegipfel“ Mitte Juni fordern Berlin,
Brandenburg und Sachsen „ein gemeinsames, schnelles, zielgerichtetes,
abgestimmtes und vor allem nachhaltiges Handeln der Politik, Behörden,
Bergbauunternehmen und Gesellschaft“. Vor diesem Hintergrund sei deshalb
„der Bund in der Pflicht, nötige wasserwirtschaftliche Anpassungen
finanziell abzusichern.
[8][Von der Leag, dem mächtigen Player in der Lausitz], ist im Papier also
nur von einem „Bergbauunternehmen“ die Rede. Ganz anders sieht das
Kollektiv „Correctiv“ die Rolle der Leag. Von einem „Monopolisten“ ist …
einer [9][Recherche die Rede], die auch als [10][Bühnenstück am Cottbuser
Staatstheater] inszeniert wurde. Weil die Behörden nicht eingreifen, könne
die Leag „bisher und in Zukunft ungehindert Grund- und Trinkwasser nutzen“.
Damit gefährde „der größte Wassernutzer Brandenburgs auch die
Trinkwasserversorgung von Berlin“.
Tatsächlich wird über den Wasserbedarf der Leag – anders als über den von
Tesla in Grünheide – wenig diskutiert. Dabei steht das Bergbauunternehmen,
das einem tschechischen Milliardär gehört, unangefochten auf Platz eins
der Brandenburger Wassernutzer, wie die Antwort des [11][Brandenburger
Umweltministeriums] und des [12][Landesamts für Umwelt] auf eine
[13][Anfrage der grünen Landtagsabgeordneten Isabell Hiekel] ergeben hat.
44 Millionen Kubikmeter Wasser hat die Leag 2021 gefördert. Tesla dagegen
steht mit den 1,8 Millionen Kubikmetern, die das Land erlaubt, auf Platz
neun.
Aus dem inzwischen stillgelegten Tagebau Jänschwalde hat die Leag sogar
viermal so viel Grundwasser abgepumpt, wie erlaubt war. Doch die
Genehmigungsbehörde, das Brandenburger Landesamt für Bergbau, Geologie und
Rohstoffe LBGR in Cottbus, ist offenbar machtlos. „Wir können die aktuelle
Wasserentnahme nicht stoppen“, sagt LBGR-Chef Sebastian Fritze auf eine
Anfrage von Correctiv. „Es besteht sonst die Gefahr, dass die Grube
zusammenfällt.“
Was aber hat das alles mit der Spree und der Gefahr für die Berliner
Wasserversorgung zu tun? Kritiker vermuten inzwischen, dass das
Umweltbundesamt mit seinem Gutachten das Ausmaß einer Wasserkrise an die
Wand gemalt hat, die durch Fakten nicht gedeckt ist. Und dass die
vorgeschlagenen Maßnahmen teuer für den Steuerzahler sind, die Leag aber
entlasten.
Tatsächlich arbeiten zwei der Ingenieurbüros, die das fast 500.000 Euro
teure Gutachten verfasst haben, eng mit der Leag zusammen.
[14][Umweltverbände wie der Nabu, die Grüne Liga oder der BUND haben das
Gutachten deshalb schon kurz nach seiner Veröffentlichung als „tendenziös“
bezeichnet.] Auch vor dem „Spreegipfel“ in der Sächsischen Landesvertretung
in Berlin haben sie demonstriert.
UBA-Präsident Dirk Messner verteidigte das Gutachten dagegen mit dem
Hinweis auf die Datenlage. [15][„Wir hatten sehr wenige Bewerber, die
dieses Gutachten erarbeiten wollten, weil sich ein Großteil der
erforderlichen Daten in privater Hand befinden, so zum Beispiel beim
Tagebaubetreiber Leag“], sagte Messner dem RBB. Das Monopol an Daten macht
es der Leag ganz offensichtlich leicht, die eigenen Interessen in der
Politik durchzusetzen.
Auch deshalb steht die Frage im Raum: Droht Berlin tatsächlich eine
Wasserkrise? Braucht es wirklich eine Überleitung von der Elbe in die
Spree?
Isabell Hiekel, die die Anfrage zum Wasserverbrauch gestellt hat, kennt die
Kritik der Umweltverbände. Anstatt einen Wassernotstand herbeizureden,
fordert sie eine ehrliche Bestandsaufnahme: „Wir müssen uns fragen, was wir
an Wasser haben, was wir fördern wollen und was wir uns leisten können“,
sagt Hiekel der taz.
Seit Langem setzt sich die Grünen-Politikerin dafür ein, das Wasser länger
in der Landschaft zu halten, plädiert für die Wiedervernässung von Mooren
und fordert mehr Tempo beim Waldumbau, denn Mischwälder verdunsten weniger
Wasser als Kiefernplantagen.
Auch ein Umdenken bei der Flutung von Tagebauen verlangt Hiekel. „Große und
flache Seen wie der Ostsee verdunsten mehr Wasser als kleine und tiefe.“
Die Leag dagegen hält am Plan fest, neben dem Ostsee auch den noch größeren
Tagebau Welzow-Süd mit Spreewasser zu fluten.
„Das ist der Grund, warum die Leag unbedingt die Überleitung aus der Elbe
will“, vermutet Hiekel. Für die Wasserversorgung von Berlin sei das nicht
nötig. Deshalb gebe es keinen Grund, warum die öffentliche Hand das 500
Millionen Euro teure Projekt finanzieren müsse.
Das Wasser des Cottbuser Ostsees als Speicher zu nutzen findet Hiekel
dagegen sinnvoll. Anders als der Cottbuser Grüne Martin Kühne findet die
grüne Landtagsabgeordnete: „Es gibt keinen Konflikt zwischen Naherholung
und Speicher.“
## Berlin lebt von der Spree
Berlin, heißt es in einem bis heute gerne gebrauchten Bonmot, sei aus dem
Kahn gebaut. Soll heißen, ohne die Furt über die Spree an der heutigen
Mühlendammbrücke gäbe es das 1237 erstmals erwähnte Berlin nicht. Und auch
nicht die spätere Metropole, denn die Baustoffe für die seit 1871 rasant
wachsende Reichshauptstadt kamen zumeist über den Wasserweg in die Stadt.
Doch nicht nur das Wachstum Berlins haben Spree und Havel ermöglicht. Die
beiden Flüsse sichern bis heute die Trinkwasserversorgung der Stadt. Am
nördlichen Ufer des Müggelsees, auf dem die Umweltsenatorin Anfang Juni die
Berlinerinnen und Berliner zum Wassersparen aufgerufen hatte, steht das
größte Wasserwerk Berlins. Unzählige Pumpen ziehen das Wasser aus dem See
in die Tiefe. Auf dem Weg zum Grundwasserleiter wird es in den Sand- und
Gesteinsschichten gereinigt und danach wieder hochgepumpt. [16][Mehr als 60
Prozent des Berliner Trinkwassers werden auf diese Weise aus sogenanntem
Uferfiltrat gewonnen]. Berlin ist damit eine der wenigen Großstädte in
Europa, die ihr Trinkwasser selbst gewinnen.
Doch schon vor dem Ende des Kohleausstiegs kommt am Müggelsee vor allem in
Hitzesommern wenig Wasser an. An manchen Tagen fließt die Spree sogar
rückwärts. Manche nennen die Spree deshalb auch einen „Flussdarsteller“.
Was wird erst sein, wenn der Spree nach dem Kohleausstieg die
Sümpfungswässer fehlen?
[17][Gesche Grützmacher] hat das Gutachten des Umweltbundesamtes nicht
überrascht. „Im Rahmen des [18][Masterplans Wasser] hat der Senat die
verschiedenen Szenarien durchgespielt“, sagt die Leiterin der Abteilung
Wasserversorgung bei den [19][Berliner Wasserbetrieben]. Wenn weniger
Spreewasser in den Müggelsee fließe, falle der See nicht trocken. „Wir
haben eine Stauhaltung, damit wird der Wasserspiegel konstant gehalten.
Wenn weniger durchfließt, fließt es dann halt langsamer ab.“
Und wenn nur noch ein Viertel des Spreewassers in den Müggelsee kommt, wie
es das Gutachten für heiße Sommer vorhersagt?
„Auch bei diesem Worst Case“, betont Grützmacher, „wird Berlin nicht auf
dem Trockenen liegen.“ Mindestens zwei Jahre sei die Trinkwasserversorgung
in diesem Fall gesichert. „Die Dramatik für Berlin ist also nicht so, dass
wir morgen mit den Maßnahmen beginnen müssen, die das Umweltbundesamt
vorschlägt. Wir können noch überlegen, welche dieser Maßnahmen überhaupt
sinnvoll sind.“
Das sind andere Töne als die, die die Politik anschlägt. Stehen nicht nur
Grüne und Umweltverbände, sondern auch die Berliner Wasserbetriebe dem
UBA-Gutachten skeptisch gegenüber?
Gesche Grützmacher drückt sich diplomatisch aus: „Es ist ganz normal, dass
man erst einmal das Problem aufzeigt und sagt: Hier laufen wir in ein
Defizit.“ In einem nächsten Schritt müsse man dann verschiedene
Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und auf ihre Machbarkeit und
Finanzierbarkeit prüfen.
Wie die Brandenburger Grünen will Grützmacher auch die bisherige Praxis der
Flutung auf den Prüfstand stellen. „Da ist entscheidend, dass möglichst
wenig verdunstet.“ Das Argument, dass das die Rekultivierung für die Leag
teurer mache, lassen die Wasserbetriebe nicht gelten. „Das mag sein, aber
das gehört zur Rekultivierung dazu, dass ein Zustand hergestellt wird, wo
die Nachteile für den Wasserhaushalt möglichst gering gehalten werden“,
sagt Grützmacher.
Vor allem für die Flutung von Welzow-Süd wäre dies eine entscheidende
Stellschraube. Eine andere Modellierung der Tagebauseen wird im Gutachten
des Umweltbundesamtes dagegen nicht thematisiert. Auch nicht das politische
Ziel der Brandenburger Kenia-Koalition, mehr Wasser in der Landschaft zu
halten. Wäre eine Überleitung von der Elbe in die Spree womöglich gar nicht
nötig, wenn Brandenburg seine Hausaufgaben macht?
„Das ist eine gute Frage, das wüsste ich auch gerne“, sagt Grützmacher.
„Deshalb brauchen wir eine detaillierte Auswertung der verschiedenen
Maßnahmen. Generell halte ich es für sinnvoll, die Euros nicht in neue
Bauwerke, also in Beton, zu stecken. Wenn man es anders schafft, wäre es
toll.“
## Leag lässt Fragen unbeantwortet
Vom Aussichtsturm in Merzdorf werden bald Bagger zu sehen sein. Bei der
Sanierung der Rutschung wird auch ein Teil der geplanten Promenade und des
Ostsee-Radwegs um 50 bis 70 Meter zurückweichen müssen. Was laut Leag gar
nicht hätte passieren dürfen, kostet das Unternehmen nun zusätzliche
Millionen. Erst wenn der Ostsee aus dem Bergbaurecht entlassen wird, ist
die Leag aus dem Rennen.
Es ist ein Rennen, bei dem es nicht nur um Millionen, sondern um Milliarden
geht. Alleine für die Sanierung der nach der Wende geschlossenen Tagebaue
in Ostdeutschland hat der Bund 12 Milliarden Euro zahlen müssen. Inzwischen
sprechen Experten bereits von „Ewigkeitskosten“. Kosten, für die beim
Kohleausstieg nun die private Leag aufkommen muss.
Mit einer vom Bund finanzierten Überleitung von der Elbe in die Spree wäre
das Unternehmen einen Teil der Kosten los. Zumindest dann, wenn mit dem
Überschuss an Wasser der Tagebau Welzow-Süd geflutet werden würde. Noch
aber ist unklar, ob es dazu überhaupt kommen wird. Sachsens grüner
Umweltminister Wolfram Günther steht der geforderten Elbüberleitung
skeptisch gegenüber. Er betont, dass auch die Elbe wenig Wasser führe.
Wie die Wasserbetriebe fordern deshalb die Brandenburger Grünen eine neue
Berechnung des Wasserbedarfs nach dem Kohleausstieg. Auch im
Kohleausstiegsgesetz ist von einer detaillierten Modellierung die Rede. Ob
die Leag dafür ihre Daten zur Verfügung stellt, ist allerdings offen. Einen
Fragenkatalog der taz zum Thema ließ das Unternehmen unbeantwortet.
Derweil zeichnet sich am Horizont schon das nächste Krisenthema ab. Kaum
war bekannt, dass die Leag vom Bund 1,2 Milliarden Euro als Entschädigung
für den Kohleausstieg bekommen wird, wurde der Konzern umstrukturiert.
Unter einer Holding firmieren nun eine bald defizitäre Kohlensparte und
eine Sparte für erneuerbare Energien, mit der viel Geld verdient werden
kann.
Eine „Bad Bank“ nennen die Grünen die Kohlesparte inzwischen und fürchten,
die Holding könne sie in die Insolvenz schicken. Dann müsste das
Versprechen von der neuen Lausitzer Landschaft ganz aus Steuergeldern
finanziert werden.
Die Grünen dagegen wollen mit dem Geld für die Leag eine
Braunkohlefolgekostenstiftung gründen, um die Rekultivierung finanziell
abzusichern.
Doch darüber haben die drei Ministerpräsidenten auf ihrem „Spreegipfel“
nicht beraten.
30 Jun 2024
## LINKS
[1] https://brandenburg.de/cms/detail.php/detail.php?gsid=brandenburg_06.c.8432…
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-wasserversorgung-im-klimawandel-…
[3] https://www.leag.de/de/geschaeftsfelder/bergbau/tagebau-welzow-sued/
[4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wasserwirtschaftliche-folgen-d…
[5] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/spree-droht-nach-k…
[6] https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/cottbuser-ostsee-arbeiten-am-schli…
[7] https://cottbuser-ostsee.de/seevorstadt/
[8] https://www.leag.de/de/
[9] https://correctiv.org/aktuelles/kampf-um-wasser/2023/12/01/alles-fuer-die-k…
[10] https://correctiv.org/in-eigener-sache/2023/09/25/correctiv-recherche-im-t…
[11] https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/
[12] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/
[13] https://polit-x.de/en/documents/17482757/germany/federal-states/brandenbur…
[14] https://www.grueneliga.de/index.php/de/themen-projekte/braunkohle/1395-umw…
[15] https://www.rbb24.de/studiocottbus/politik/2023/07/brandenburg-lausitz-was…
[16] https://www.bwb.de/de/berlin-hitze-braunkohleausstieg-klimawandel-trinkwas…
[17] https://www.bwb.de/de/sorgsam-waessern.php
[18] https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/wasser-und-geologie/masterplan-wasser/
[19] https://www.bwb.de/de/index.php
## AUTOREN
Uwe Rada
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