# taz.de -- Ausstellung über Klimawandel in Chemnitz: Wehe, ihr fasst das Auto… | |
> In der zweiten Ausgabe der Ausstellung „Gegenwarten“ in Chemnitz geht es | |
> um die ganz großen Themen. Und ums Auto. | |
Bild: In der Tiefgarage gestrandet: Das 14 Meter lange „The Cast Whale Projec… | |
Man muss schon direkt hineinschauen, in den silbergrauen BMW 320i, Baujahr | |
1990, der da an der Chemnitzer Brückenstraße parkt. Sonst bemerkt man | |
nicht, was mit ihm nicht stimmt. Das Auto befindet sich in einer Parkbucht | |
unweit des Verlagshauses der Chemnitzer Regionalzeitung Freie Presse, vor | |
der Wende eine der auflagenstärksten Tageszeitungen der DDR – und es ist | |
voll Wasser. Bis zur Höhe der Kopfstützen steht dieses; säßen Menschen | |
darin, stünde ihnen die Brühe bis zum Hals. | |
„Blind Date“ heißt die Installation des Künstlerinnenduos Haubitz + | |
Zoche. Erstmals verwirklicht wurde sie 2006 als Reaktion auf die Bilder | |
von Hochwasserkatastrophen etwa an der Elbe und von in Wassermassen | |
treibenden Autos. Jetzt, mehrere Jahrhunderthochwasser später, ist sie Teil | |
von „New Ecologies. Gegenwarten II“, einem Ausstellungsprojekt im | |
öffentlichen Raum in der Chemnitzer Innenstadt, bei dem Kunst gezeigt wird, | |
die sich mit dem Klimawandel beschäftigt. | |
„Blind Date“ greift mit bedrohlich anmutendem Witz die Klimakatastrophe | |
auf. Wenn man schon [1][zur ersten Ausgabe der „Gegenwarten“ in Chemnitz] | |
war, versteht man aber, dass die Arbeit noch aus anderen Gründen für die | |
Neuauflage der Ausstellung ausgewählt wurde. „Gegenwarten I“ hatte in | |
Chemnitz so einiges ausgelöst. | |
Vor vier Jahren, im Sommer 2020, mitten in der Coronapandemie, war | |
„Gegenwarten“ eines der wenigen größeren Kunstprojekte, die mehr oder | |
weniger wie geplant realisiert wurden. Es gab Installationen im Außenraum | |
und an anderen frei zugänglichen Orten. Der Titel war damals noch offen | |
formuliert, frei interpretierbar und nahm Bezug auf alle möglichen | |
gegenwärtigen Fragestellungen, Spannungen und Konflikte. | |
## 2020 Rechtsextremismus ein großes Thema | |
Gleich mehrere der auch damals rund 20 künstlerischen Positionen | |
beschäftigten sich mit Rechtsextremismus in und um Chemnitz, dem Thema, | |
womit die sächsische Stadt nicht nur 2018 in den Medien war, als sich dort | |
nach einem tödlichen Messerangriff eines Geflüchteten auf einen | |
Deutschkubaner auf der Brückenstraße tagelang gewaltbereite Neonazis | |
zusammenrotteten und durch die Straßen zogen. Das Peng!-Kollektiv richtete | |
für „Gegenwarten“ [2][ein Antifamuseum] ein, [3][Henrike Naumann] | |
thematisierte in einer installativen Videoarbeit auch die gewalttätigen | |
Ausschreitungen von 2018, Tobias Zielony zeigte einen Zombiefilm über den | |
NSU. | |
Skandalisiert wurde der Beitrag des Peng!-Kollektivs von rechts zwar | |
durchaus. Der öffentliche Zorn entzündete sich jedoch vor allem an einer | |
anderen Arbeit: an Roman Signers im Chemnitzer Schlossteich versenktem | |
Škoda. Schon vor der Eröffnung kam es zu Vandalismus. Gleich mehrfach wurde | |
das Auto demoliert. Lautstark mokierte sich die kommunale Fraktion der AfD | |
über eine vermeintliche Verschwendung von Steuergeldern. | |
Man dürfe in Chemnitz alles machen, nur nichts, was sich gegen Autos | |
richtet. Florian Matzner, Co-Kurator damals wie heute, lacht, als er das | |
während der Pressetour am Donnerstag, einen Tag vor der Eröffnung der „New | |
Ecologies“, sagt. Vielleicht hätte Signers Škoda ungefähr so ausgesehen wie | |
jetzt der BMW von Haubitz + Zoche, wäre er – wie damals von den | |
Kritiker*innen verlangt – aus dem Teich gezogen worden. | |
2020 war „Gegenwarten“ Teil der Bewerbung um den Titel einer | |
[4][Kulturhauptstadt 2025]. Im Oktober desselben Jahres wurde Chemnitz | |
dieser tatsächlich zuerkannt. Auch wegen der Ausstellung, die in der | |
nationalen und internationalen Presse sehr gut ankam und mit der Chemnitz | |
bewies, dass es größere Kulturprojekte auf die Beine stellen kann. | |
## Etwas leichter verdaulich diesmal | |
Im Vergleich mit „Gegenwarten I“ etwas leichter verdaulich kommt die | |
aktuelle Ausstellung daher. Mitunter aber auch, weil Dinge nicht so | |
verwirklicht werden konnten wie einmal gedacht. Für alle Kunstwerke im | |
Außenraum bedurfte es, wie es bei solchen Projekten üblich ist, Bau- und | |
anderer Genehmigungen. | |
Die erste Idee des italienisch-britischen Künstler*innenduos Claire | |
Fontaine erhielt am Ende keine. [5][Claire Fontaine] wollte auf dem | |
Gebäudedach hinter dem Karl-Marx-Monument eine LED-Leuchtschrift mit den | |
Worten „Patriarchy = CO₂“ anbringen und damit darauf aufmerksam machen, | |
dass eine Arbeits- und Produktionswelt, die aus männlicher Perspektive | |
organisiert ist – auch der des DDR-Realsozialismus – ökologisch ihre | |
blinden Flecken hat. Offiziell begründet wurde die Ablehnung mit | |
Renovierungen. Schade, die feministische Botschaft mitten in der Innenstadt | |
hätte sicherlich für Aufsehen gesorgt. | |
Eher harmlos wirkt dagegen das von Claire Fontaine realisierte Projekt: | |
Fünf Leuchtkästen sind an der Fassade des Museums Gunzenhauser angebracht, | |
formal den Feuer-Emojis nachempfunden. Spielerisch, Instagram-wirksam | |
vermutlich auch, beziehen sie sich auf Klimaaktivistin Greta Thunberg, die | |
2019 ihre Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit dem Satz „Unser Haus | |
brennt“ begann. | |
Die leuchtenden Feuer-Emojis kann man auch gut beim Vorbeigehen oder | |
-fahren sehen. Andere Arbeiten verlangen nach physischer Nähe. Mehr oder | |
weniger in Laufentfernung voneinander befinden sie sich allesamt, denn wenn | |
es etwas in Chemnitz gibt, dann ist es Platz. Auch für Kunst. Anja Richter, | |
diesjährige Co-Kuratorin, angestellt eigentlich bei den Kunstsammlungen, | |
dort zuständig für das Museum Gunzenhauser und gebürtige | |
Karl-Marx-Städterin, erzählt auch davon während ihrer Tour von einem | |
Kunstwerk zum nächsten. | |
## Die Autostadt Chemnitz | |
Sie erzählt, dass Chemnitz als sozialistische Musterstadt einmal für | |
500.000 Menschen angelegt wurde, dass aber heute gerade einmal die Hälfte | |
davon dort lebt, und von vereinzelten Versuchen, die in der DDR geplanten | |
mehrspurige Straßen doch endlich zu verschmälern. Sie erzählt von der | |
weiterhin spürbaren Dominanz des Autos, die in den 1990ern mit dem Bau von | |
Parkhäusern und Einkaufszentren noch weiter befördert wurde. | |
Deutschlandweit gehört Chemnitz zu den Städten mit den meisten zugelassenen | |
Autos pro Einwohner. Minutenlang steht man oft an Fußgängerampeln, die | |
Stadt ist auf Motorisierte ausgerichtet. | |
Das schwingt überall mit, auch in der Tiefgarage am Theaterplatz. Dort | |
belegt ein riesiger, aus Kunstharz abgegossener verendeter Wal von Gil | |
Sachar zwei ganze Reihen. Unmut auf sich gezogen hat das bislang nicht, | |
obwohl sich der Wal da schon ein paar Tage befindet. Womöglich liegt es | |
daran, dass besagte Tiefgarage nur selten voll ist. Chemnitz hat mehr als | |
genug Parkplätze, Tiefgaragen, Parkhäuser mitten in der Innenstadt, gebaut | |
eben vor allem nach der Wende. Wie Fremdkörper drängen sie sich in den | |
architektonischen Mix aus Bauten des Mittelalters, der Gründerzeit und der | |
Ostmoderne. | |
Und gebaut wird weiter. Beziehungsweise es sollte, etwa vor dem zum | |
Kulturzentrum umfunktionierten ehemaligen Kaufhaus Tietz. Dort ist auf | |
einem zugewucherten Bauloch eigentlich der Neubau eines Luxuswohnkomplex | |
geplant. Anvisierter Baustart war Herbst 2023. Zu sehen ist davon bislang | |
nichts. Jetzt aber dafür etwas anderes: ein Blick in Urzeit und Zukunft | |
zugleich. Das Architekturbüro Ooze und [6][die Künstlerin Marjetica Potrč] | |
haben mit Bezug auf einen Vulkanausbruch vor 291 Millionen Jahren, als | |
die Chemnitzer Gegend am Äquator lag, aus versteinerten Baumstämmen, | |
Schachtelhalm und Farnen eine Pseudourzeitlandschaft angelegt, deren | |
klimatische Bedingungen uns eventuell irgendwann wieder drohen. | |
Die Mischung aus internationalen Künstler*innen und lokalen Initiativen | |
ist wie 2020 eine Stärke des Projekts. Aus Chemnitz ist das | |
Medienkunstfestival Pochen Biennale dabei, der Kulturverein Klub Solitaer | |
e. V., Weltecho und Oscar e. V. und das Kunstfestival Begehungen e. V. | |
Letztere haben am Ufer der Chemnitz ein Banner aufgehängt, wie es dort 1990 | |
schon einmal auf den bedenklichen Zustand des Flusses hinwies: „Der | |
Chemnitzfluss soll wieder leben“, steht darauf. Nicht nur auf die bleibende | |
Notwendigkeit von Umwelt- und Naturschutz zielt das Reenactment, sondern | |
auch auf die oft noch wenig beachtete Rolle der Umweltbewegung während der | |
friedlichen Revolution. | |
Noch bis Ende September läuft „New Ecologies“. Nach Möglichkeit sollen die | |
„Gegenwarten“ in Zukunft verstetigt werden. Zu wünschen wäre es der Stadt. | |
Ihre kulturelle Zukunft wird freilich auch vom Stadtrat bestimmt, der sich | |
nach den Kommunalwahlen vom 9. Juni noch nicht konstituiert hat. 24,3 | |
Prozent hat die AfD dort erreicht. Mehr als in Dresden und Leipzig, aber | |
weniger als im Rest Sachsens. Welche Auswirkungen das für die Kultur vor | |
Ort haben wird, lässt sich momentan noch nicht absehen. | |
23 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kunstausstellung-in-Chemnitz/!5702892 | |
[2] /Aktion-von-Kunstkollektiv-Peng/!5702342 | |
[3] /Kuenstlerin-ueber-Mobiliar-als-Traeger-von-Politik/!5905459 | |
[4] /Europaeische-Kulturhauptstadt-in-Ostdeutschland/!5724524 | |
[5] /Rundgang-ueber-die-Biennale-von-Venedig/!6003127 | |
[6] /Marjetica-Potr-ueber-Kunst-an-Baustellen/!5361509 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Chemnitz | |
Auto | |
Bildende Kunst | |
Berlin | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Kunst im öffentlichen Raum | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung über Thomas Arslans Filme: Der Stadtraum als Protagonist | |
Seine Filme machen die Veränderungen Berlins sichtbar. Nun wurden dem | |
Regisseur Thomas Arslan in Berlin eine Ausstellung und eine Filmreihe | |
gewidmet. | |
Wiens erste Klimabiennale: Kunst wie aus dem Lehrbuch | |
Relevante Fragen für den Kulturbetrieb behandelt die erste Klima Biennale | |
Wien. Doch ist es gut, dass sie angewandte mit der freien Kunst | |
verwechselt? | |
Klimawandel in Fotos festgehalten: Fantastisch schöne Eisberge | |
Auch überhaupt nicht gute Dinge können ein ästhetisches Ereignis sein. Im | |
Deutschen Technikmuseum Berlin sind die Folgen des Klimawandels zu sehen. | |
Kunstausstellung in Chemnitz: Evolution in Sächsisch-Manchester | |
Eine Ausstellung in Chemnitz widmet sich den komplizierten „Gegenwarten“. | |
Sie ist Teil der Bewerbung zu Europäischen Kulturhauptstadt. |