Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Weibliche Lebenswelten in Leipzig: Schlechte Deals für die Bräute
> Die Leipziger Musikmuseen legen einen Fokus auf weibliche Lebenswelten.
> Ein Besuch im Bach-Museum und im Mendelssohn-Haus.
Bild: Cécile Mendelssohn Bartholdy, Ölgemälde von Gustav Metz, 1852
Die Musikalienhändlerin Anna Carolina Bach hatte ein Doppelkinn und eine
ziemlich kartoffelige Nase. Sie war 29 Jahre alt, als der nicht sehr
schmeichelhafte Scherenschnitt angefertigt wurde, der von ihr überliefert
ist. Er ist ein kostbares Dokument, handelt es sich doch um eines der sehr
wenigen Bildnisse, die es überhaupt von irgendeinem weiblichen Mitglied der
großen musikalischen Bach-Sippe gibt.
Von der bekanntesten Bach-Frau – oder Bachin, wie es damals hieß – Johann
Sebastians zweiter Ehefrau Anna Magdalena, existierte zwar einst sogar ein
Ölgemälde. Das weiß man, weil im Nachlass ihres bekanntesten Stiefsohns,
des Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach, ein Verzeichnis aller in seinem
Besitz befindlichen Bilder gefunden wurde, in dem auch Anna Magdalenas
Porträt enthalten war.
Aber das Bild selbst war bereits verschwunden – und wer weiß, vielleicht
war es nur der vergoldete Rahmen, der es einem potenziellen Dieb angetan
hatte.
Der Musikhistorikerin Maria Hübner ist es zu verdanken, dass im Leipziger
Bach-Museum die Ausstellung „Die Stimmen der Frauen“ entstehen konnte, in
der nun die wenigen Details erfahrbar werden, die über das Leben der
weiblichen Mitglieder des Bach-Clans überhaupt herauszufinden waren.
Es ist kaum auszudenken, wie viele Stunden akribischer Recherche in
Archiven nötig gewesen sein müssen, um in vergilbten Dokumenten und kaum
leserlichen Handschriften Hinweise auf einstiges weibliches Alltagsleben zu
finden. Denn während die Bach-Männer fast allesamt Musiker wurden, kamen
die Frauen offenbar grundsätzlich nicht in den Genuss einer musikalischen
Ausbildung; irgendjemand musste sich schließlich um den Haushalt kümmern.
## Keine Zeit mehr für Musik
Das galt, sobald sie Frau Bachin wurde, auch für Anna Magdalena Wilcke, die
ansonsten zu den Ausnahmen gehörte, da sie, als Tochter eines Hoftrompeters
geboren, musikalisch erzogen worden war und bereits in jungen Jahren als
gut bezahlte Hofsängerin am Hof von Köthen wirkte. Im Alter von zwanzig
Jahren heiratete sie einen ihrer dortigen Kollegen, den verwitweten
Hofkapellmeister Johann Sebastian Bach.
Zwei Jahre später zog das Paar nach Leipzig, womit die Karriere der jungen
Ehefrau vorbei war, denn in Leipzig gab es weder einen Hof noch eine Oper,
und in der Kirche durften Frauen nicht singen. Als Notenkopistin arbeitete
sie ihrem Mann für die Sonntagsgottesdienste emsig zu. Für eigenes
Musizieren dürfte ohnehin wenig Gelegenheit gewesen sein – zwischen
Haushaltsmanagement, 13 Schwangerschaften sowie zahllosen Kinderkrankheiten
und -todesfällen.
Eine weitere professionelle Sängerin heiratete eine Generation später in
den Bach-Clan ein, als die italienische Sopranistin Cecilia Grassi in
London den Bund fürs Leben mit Johann Christian Bach schloss, dem jüngsten
Sohn von Anna Magdalena und Johann Sebastian. Auch das erwies sich im
Nachhinein als schlechter Deal für die Braut, denn als Johann Christian
starb, erbte Cecilia einen gigantischen Schuldenberg, der sie in Armut
stürzte.
Es ist leicht vorstellbar, um wie viel größer noch die Abhängigkeit jener
Bach-Frauen, die nicht einmal über eigene Qualifikationen verfügten, von
den Männern gewesen sein muss.
## Über Kopfhörer den „Stimmen der Frauen“ lauschen
Und wenn Johann Sebastian an einen Freund schreibt, dass seine Frau einen
„sauberen Sopran“ singe und auch seine älteste Tochter Catharina Dorothea
„nicht schlimm einschläget“, so klingt das zwar in Bezug auf die Tochter
gewissermaßen nach einem Lob, das aber, weil negativ formuliert,
gleichzeitig eher abwertend daherkommt. Weitere Zeugnisse über eine
musikalische Betätigung von Catharina Dorothea sind nicht überliefert.
In der Ausstellung hat man sich alle Mühe gegeben, das kleinteilige
Material so aufzubereiten, dass möglichst viele Menschen etwas davon haben.
Faksimiles des Quellenmaterials liegen sorgsam aufbereitet in Vitrinen aus,
von Wandtexten erklärt und kontextualisiert.
Wem es zu mühsam ist, viel zu lesen oder gar Dokumente zu entziffern, kann
sich von Hörstation zu Hörstation vorarbeiten und über Kopfhörer den
„Stimmen der Frauen“ lauschen. Im begleitenden Ausstellungskatalog sind
alle „Stimmen“ noch einmal abgedruckt, was bei zusammenhängender Lektüre
ein griffigeres Gesamtbild ergibt.
Maria Hübner hat in diesen Texten die dürftigen bekannten Quellen zu
kleinen Lebenserzählungen zusammengefasst, so weit es eben möglich ist. Von
Bachs Schwester Maria Salome etwa ist nicht mehr bekannt, als dass sie
scherzhaft im Text eines zu einer Hochzeitsfeier verfassten Quodlibets
erwähnt wird.
## Wirken von Clara Schumann
Und die Existenz der Bach-Kusine und Schwägerin Barbara Catharina Bach wird
allein dadurch belegt, dass sie im Jahr 1705 als Zeugin in einem Prozess
aussagen musste: Sie war zufällig dabei gewesen, als ihr 20-jähriger
Großcousin Johann Sebastian sich auf dem Arnstädter Marktplatz mit einem
seiner Musikschüler geprügelt hatte. Er hatte diesen als „Zippel Fagottist�…
bezeichnet, und der Beleidigte wollte das nicht auf sich sitzen lassen.
Die Ausstellung im Bach-Museum ist das Aushängeschild des Themenjahrs
„Weibliche Lebenswelten“ der Leipziger Musikmuseen, die in dieser Hinsicht
generell gut aufgestellt sind, gibt es doch im Schumann-Haus eine
Dauerausstellung zum [1][Wirken von Clara Schumann] und im Mendelssohn-Haus
eine ganze Etage, die sich der Berliner Komponistin [2][Fanny Hensel]
widmet. [3][In einem Flyer findet] man sämtliche Aktivitäten aller
Institutionen zum Themenjahr gebündelt.
Hundert Jahre nach Johann Sebastian und den Seinen sieht es mit der
Sichtbarkeit von Frauen im Musikleben schon um einiges besser aus. Eine
öffentlich auftretende weibliche Virtuosin wie Clara Schumann ist zu ihrer
Zeit zwar immer noch eher selten, doch beginnt sich das Bild von
musizierenden Frauen allmählich zu wandeln.
Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, kann davon noch nicht profitieren, da
ihr der Vater kategorisch untersagt hat, von einem Leben als
professionelle Musikerin auch nur zu träumen; und auch Bruder Felix will
lange Zeit nicht, dass sie Kompositionen veröffentlicht.
Fast wie eine Art nachträgliche Wiedergutmachung erscheint da die
Fanny-Etage im Mendelssohn-Haus. Und nun ist im Rahmen des Themenjahrs auch
eine Sonderausstellung über die andere wichtigste Frau im Leben von Felix
Mendelssohn Bartholdy zu sehen: seine Ehefrau Cécile. „Die unbekannte
Schöne“ ist die Schau übertitelt, was ein bisschen reißerisch klingt; aber
tatsächlich wird in dieser Schau auch Unbekanntes gezeigt, nämlich Céciles
Kunst.
## Frauen um Mendelssohn
Sie war erst 18, als sie Felix Mendelssohn kennenlernte und bald darauf
heiratete; er war neun Jahre älter und galt als größter Musiker mindestens
Deutschlands, wenn nicht Europas. Im ersten Verliebheitsüberschwang schrieb
Felix auf die Frage seiner Schwester Rebecka, ob seine Braut musikalisch
sei: „…nein, gar nicht. Das ist eben das tollste. Aber sie kann zeichnen.“
Später gab er zu, dass er Céciles Talente allgemein unterschätzt habe – er
lernte auch ihr durchaus sicheres musikalisches Urteil zu schätzen – und
dass sie ihm, dem Vielbegabten, als Zeichnerin in mancher Hinsicht
überlegen sei.
Im Gartenhaus des Mendelssohn-Hauses wird nun eine Art Porträt der Frau
sichtbar, die für den rastlos tätigen Star-Musiker der Heimathafen war –
und die allzu gern auch einmal mitgefahren wäre auf eine seiner vielen
Konzertreisen, wenn die ständigen Schwangerschaften sie nicht daran
gehindert hätten. Die kleine kostenlose Sonderschau ist aber eher als
Zusatzangebot zur Dauerausstellung im Mendelssohn-Haus gedacht.
In den sorgsam restaurierten ehemaligen Wohnräumen der Familie im ersten
Stock kann auch Céciles Lebenswelt in vielen Details nacherlebt werden,
angefangen bei ihrem Zimmer, das, direkt neben dem Arbeitszimmer von Felix
gelegen, deutlich größer war als seins – vermutlich auch deswegen, damit
die fünf Kinder um ihre Mutter sein konnten, wenn ihnen danach war.
Im Sterbezimmer Felix Mendelssohns ist bei seiner Totenmaske das Manuskript
von Céciles sehr berührendem Bericht über das Sterben und die letzten
Stunden im Leben ihres Mannes ausgestellt und auch als Audiostation
vorhanden.
Noch weiter vertieft wird das Thema „Frauen um Mendelssohn“ während einer
Führung, die das Mendelssohn-Haus jeden letzten Sonntagnachmittag im Monat
anbietet. Um Voranmeldung wird gebeten.
3 Sep 2024
## LINKS
[1] /200-Geburtstag-von-Clara-Schumann/!5648860
[2] /Fanny-Hensel-Ausstellung-in-Leipzig/!5459461
[3] https://www.bachmuseumleipzig.de/de/bach-museum/stark-das-themenjahr
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Kunst
Künstlerinnen
Musikerinnen
Kunstausstellung
Leipzig
Klassische Musik
Theater
Kunstfreiheit
Ausstellung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunstfest Weimar: Kunst und Wahlplakate
Das Kunstfest Weimar setzt zur Landtagswahl in Thüringen ein Zeichen gegen
Geschichtsrevisionismus. Doch es hat auch noch andere Höhepunkte.
Kunstfreiheit und ihre Institutionen: Tief sitzt der Argwohn
Ausstellungen sind derzeit ein politisches Kampffeld, ihre öffentliche
Förderung gerät seit dem 7. Oktober ins Wanken. Wie steht es dann um die
Kunst?
Ausstellung über Klimawandel in Chemnitz: Wehe, ihr fasst das Auto an
In der zweiten Ausgabe der Ausstellung „Gegenwarten“ in Chemnitz geht es um
die ganz großen Themen. Und ums Auto.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.