| # taz.de -- Kunstfest Weimar: Kunst und Wahlplakate | |
| > Das Kunstfest Weimar setzt zur Landtagswahl in Thüringen ein Zeichen | |
| > gegen Geschichtsrevisionismus. Doch es hat auch noch andere Höhepunkte. | |
| Bild: Auf den Spuren Goethes: Ljuzem Madijin, Gründerin des Tjimur Dance Theat… | |
| Weimar taz | Noch ist der Himmel verhältnismäßig klar an diesem | |
| Sonntagnachmittag Ende August. Nur von Osten her ziehen Wolken auf, hängen | |
| dunkel über dem ehemaligen Gauforum, einem Prestigeprojekt der | |
| Nationalsozialisten, das heute als Erinnerungs- und Bildungsstätte in | |
| Weimar dient. | |
| Zur Straße hin stehen vier etwa zwei Meter große Schwarzweiß-Fotografien. | |
| Sie sind Teil einer Porträtreihe des Fotografen Thomas Müller, die den Weg | |
| vom Hauptbahnhof bis ins Stadtzentrum markiert. Alte Gesichter sind darauf | |
| zu sehen; Männer und Frauen aus Polen, Ungarn, Italien, Frankreich, der | |
| Ukraine und Deutschland. Manche von ihnen waren/sind jüdisch, andere | |
| politisch dissident. Sie alle waren/sind Zeitzeug*innen, denn sie alle | |
| überlebten das nahe Weimar gelegene KZ Buchenwald. | |
| Neben den Fotografien säumen aktuell auch Wahlplakate den öffentlichen Raum | |
| der Stadt: Hier konkurrieren die Grünen, Linken, SPD, FDP CDU und die | |
| freien Wähler um Aufmerksamkeit für die Landtagswahl am 1. September. Auch | |
| das BSW wirbt um Wähler*innenschaft. Die AfD ist im Zentrum | |
| glücklicherweise nicht sichtbar. | |
| Das mag auch am kulturellen Engagement liegen: Als „Enklave“ bezeichnet | |
| Rolf C. Hemke die Stadt. Der [1][künstlerische Leiter des Kunstfestes | |
| Weimars], das aktuell und bis zum 8. September verschiedene Orte der Stadt | |
| bespielt, sieht nach wie vor positiv in die Zukunft, auch wenn eine | |
| Regierungsbeteiligung der rechtsextremen AfD seine Arbeit maßgeblich | |
| erschweren könnte. | |
| Doch sowohl die Landes- als auch die Stadtverwaltung haben ihm schon fürs | |
| kommende Jahr finanzielle Unterstützung zugesichert. Hemke und sein Team | |
| setzen in diesem Jahr ganz gezielt auf Vergangenheitsbewältigung und die | |
| Repräsentation demokratischer Werte. | |
| ## Ausstellung zur Aufarbeitung des Stalinismus | |
| Unter dem Motto „Wofür wir kämpfen“ setzt man sich hier auch gegen | |
| Geschichtsrevision und Fake News ein. Etwa mit der Wanderausstellung „Das | |
| andere Russland“, mit der die Menschenrechtsorganisation Memorial ein | |
| Zeichen gegen Putins Propagandamaschinerie setzen will. 1989 noch in der | |
| Sowjetunion gegründet, hat sich Memorial der Aufarbeitung des Stalinismus | |
| verschrieben, was 2022 nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zur | |
| erzwungenen Auflösung der Organisation auf russischem Terrain führte. | |
| Im Bauhaus Museum erzählen Fotos und Archivmaterial von der Repression und | |
| Verfolgung, der man damals im sowjetischen Russland und heute wieder unter | |
| Putin ausgesetzt ist. Ein wichtiges Zeichen, besonders hier in der | |
| ehemaligen DDR, wo AfD und neuerdings auch [2][das BSW mit ihrer | |
| Russlandsympathie] Wähler*innenstimmen generieren. | |
| Dass Weimar eine der ersten Städte Deutschlands war, in der ein | |
| nationalsozialistischer Landespolitiker bereits 1930 [3][sogenannte | |
| „entartete Kunst“] abhängen ließ – darunter die der [4][Bauhaus-Meister | |
| Lyonel Feininger], Paul Klee und Wassily Kandinsky –, erfährt man zwei | |
| Stockwerke darüber. | |
| Einen interessanten Beitrag zum Kunstfest leistet in diesem Jahr der | |
| Theatermacher und [5][Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun]. Sein | |
| musikalisch-partizipatives Dialog-Format „Bevor wir kippen“ ist – wie nic… | |
| anders zu erwarten – im besten Sinne schräg. Am ersten Abend scheint dem | |
| Ex-Punk und seinen Gästen selbst noch nicht ganz klar zu sein, wohin die | |
| Reise geht. Ein Gendersternchen wird getanzt, während Kamerun mit | |
| harlekinartiger Maske vom Balkon des Nationaltheaters seinen eigens fürs | |
| Kunstfest komponierten Song „Bubbles“ performt. | |
| Ab Tag zwei nimmt das Format dann aber Fahrt auf, was auch dem | |
| interessierten Weimarer Publikum zu verdanken ist. Kameruns Gast Yaneq, | |
| Musiker aus Berlin-Kreuzberg, heizt mit antifaschistischen Raps dem recht | |
| jungen Publikum ein. Tags darauf stellt eine Performance von | |
| Student*innen der Bauhaus-Universität das Frauenbild der AfD in Frage. | |
| Noch bis vier Tage nach der Landtagswahl wird Kamerun den Theaterplatz mit | |
| wechselnden Gästen bespielen. | |
| ## Theater-Marathon durch Taiwan | |
| Höhepunkt des diesjährigen Kunstfests ist der Länderschwerpunkt Taiwan, für | |
| dessen Auswahl Hemke einen Theater-Marathon durch den Inselstaat | |
| absolvierte, wie er im Gespräch sagt. Die international renommierte | |
| Tanz-Kompanie Cloud Dance Theatre of Taiwan feiert mit ihrer Mischung aus | |
| klassischem Ballett und Kampfkunsteinlage „Sounding Light“ eine | |
| beeindruckende Premiere. | |
| Die menschlichen Körper in hell-durchsichtigen Outfits und farbiger | |
| Rückenbemalung schweben nur so über die Bühne und werden anschließend mit | |
| minutenlangem Klatschen honoriert. | |
| Noch beeindruckender vielleicht der Auftritt des Tjimur Dance Theatre, das | |
| indigene Tanztradition mit zeitgenössischem Tanz verbindet und die | |
| Körperbewegungen mit Gesang untermalt. Die Mitglieder sind Angehörige der | |
| Paiwan, einer der größten indigenen Völker Taiwans, mit eigener Sprache und | |
| eigenen Traditionen. | |
| Tjimur-Dance-Theatre-Gründerin Ljuzem Madijin setzt diese auch für ihre | |
| Einzelperformance „Ljuzems’s Walk“ ein: Im traditionellen Gewand einer | |
| Schamanin wandelt sie durch die Altstadt Weimars, auf den Spuren Goethes. | |
| Auf dem Höhepunkt folgen ihr knapp 200 Zusehende bis ins Haus des deutschen | |
| Vorzeigedichters. Dort verneigt sich Madijin zum Gedenken an den 275. | |
| Geburtstag Goethes. | |
| Erinnern an das, was war, ist elementarer Bestandteil unseres friedlichen | |
| Zusammenlebens. Auch deshalb gilt der Ausspruch „kein Vergessen“, wenn es | |
| um die Gewalttaten rechter Ideolog*innen geht. Damit dieses Mantra nicht | |
| zur Phrase verkommt, müsse man auch hinsehen, wer heute verfolgt, | |
| vertrieben, gefoltert und ermordet werde, zitiert der [6][Journalist Andrej | |
| Ivanji] seinen Vater Ivan an einem dieser Abende. | |
| [7][Ivan Ivanji hätte hier auf dem Kunstfest] aus seinem neuesten Roman | |
| gelesen. Stattdessen wurde seiner, der das KZ Buchenwald überlebte und im | |
| Mai [8][dieses Jahres 95-jährig starb], gedacht. Als Mensch, Autor und | |
| Zeitzeuge, der er nie sein wollte und doch ein Leben lang blieb. | |
| 30 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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