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# taz.de -- Berliner Festival Tanz im August: Wie Wind und Wasser
> Beim Tanz im August verschiebt die taube Choreografin Rita Mazza mit „The
> Voice“ die Grenzen der Wahrnehmung. Spartanisch und mutig.
Bild: Bewegungen im Fluss der Energie: „Mycelium“ vom Ballet de l’Opera d…
Mit ihrem Solo „The Voice“ feierte die Choreografin Rita Mazza in der
letzten Woche des diesjährigen Festivals Tanz im August Premiere in den
Sopiensælen. Mazza, die fließend die italienische, deutsche, französische
und internationale Gebärdensprache beherrscht, ist eine Taube Performerin.
An [1][den Sophiensælen hat sie an dem Programm „Making a difference“]
teilgenommen, das Künstler:innen mit Behinderungen in Leitungspositionen
unterstützte. Auf die Bühne im Hochzeitssaal der Sophiensæle kommt sie mit
einer Dolmetscherin in Gebärdensprache, die im Hintergrund eingeblendete
Texte übersetzt. Sie erzählen in kurzen Sätze über die Erfahrung einer
Sprach- und Stimmtherapie.
Ihre Stimme zu benutzen, ist für Rita Mazza ein Wagnis, behaftet mit der
Angst, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben. In ihrer Performance
sucht sie einen Weg, dem, was als Mangel von anderen wahrgenommen wird,
eine andere Erfahrung entgegenzuhalten, in der sie die Konturen ihrer
Stimme mit unterschiedlichen Mitteln umschreibt.
Das beginnt mit der Atemluft, die unsere Laute trägt: Durch einen Strohhalm
bläst Mazza Luft in ein Wasserglas und lässt das Blubbern verschiedene
Längen und Intensitäten annehmen. Mit einer spiegelnden Folie, auf die sie
haucht, erzeugt sie Wellen von Lichtspiegelungen. Mit der Spannung in Torso
und Armen misst sie das Volumen der Stimme, zeichnet das Aussenden von
Worten in den Raum gestisch nach und kommt irgendwann zum Summen.
Rita Mazzas Performance ist spartanisch und etwas spröde. Aber sie schafft
es, einen mitzunehmen auf eine Reise, in der mit wenigen Mitteln die
Grenzen der Wahrnehmung verschoben werden. Und man nimmt Anteil an ihrem
Mut, sich diesem Weg auszusetzen.
Choreograph Christos Papadopoulos
Ein Höhepunkt in der letzten Woche des Festivals Tanz im August war der
Auftritt des [2][Ballet de l’opera de Lyon] im Haus der Berliner Festspiel
mit „Mycelium“ von Christos Papadopoulos. Im Januar 2023 hatte der
Choreograph mit dem [3][Berliner Dance On Ensemble im Radialsystem
„Mellowing“] herausgebracht: Beide Stücke ähneln sich. Aus der Arbeit mit
einem minimalen Bewegungsvokabular, einem Rutschen der Füße in parallelen
Bewegungen, Schlenkern der Arme und lässigem Folgen des Rumpfes entwickeln
sich nach und nach große Panoramen und Bewegungslandschaften, die an Wasser
und Wind, Berge und Wellen und Vogelschwärme erinnern. Aber auch an ein
Auspowern der Energie, einen Stresstest des Durchhaltevermögens.
Die Musik zu „Mycelium“, das seine Anlehnung an Organisationskräfte der
Natur schon im Namen trägt, kommt von [4][Coti K., einem in Athen
stationierten Komponisten elektronischer Musik], der sich ebenso wie der
Choreograf mit Naturphänomen auseinandersetzt.
Der Sound hat oft etwas Grollendes und Hartes, Industrial und Techno lassen
grüßen. Das erzeugt einen spannenden Gegensatz zu den Bewegungsbildern, in
denen der Fluss der Energie so mühelos wirkt und doch auf einzelne
akustische Signale reagiert mit einem Umschwenken in der Richtung, einer
Wendung der Schulter, einem Nicken des Kopfes. Die Impulse und Signale der
Musik scheinen die große Gruppe der Tanzenden zu steuern, sie enthalten die
Informationen, die ihre Gemeinsamkeit erzeugt.
Strukturen partieller Gemeinschaften
Die Bewegungen ändern sich über lange Strecken nur langsam und doch
verändert sich, was sich an Assoziationen an die Bilder heften lässt. Ein
weiter Bogen lässt sich da aufschlagen zwischen dem, was von den Elementen
berührt wird, wie Gräser im Wind oder Pflanzen im Wasser, über
Energiefelder, in denen die Gruppen der Tanzenden wie von Magneten
gesteuert werden, bis zum Blick auf menschlichen Gesellschaften, die in
höchst komplexen Strukturen partielle Gemeinschaften eingehen und sich
wieder lösen.
Die Fantasie arbeitet mit, Erinnerungen fließen ein, während man dem Sog
dieses Stückes folgt, einem vielleicht auch Trance-ähnlichen Erleben. Dafür
sorgt nicht zuletzt, das der Sound und die Bewegungsbilder eine Stunde lang
nicht abreißen.
Viele Muster, visuell und akustisch, sind repetitiv, Phasen verschieben
sich, etwas Neues entsteht. Das erinnert an die Hochzeit des Minimalismus
in der Musik und in Choreografien. Auch wenn man ihn zu kennen glaubt, im
Tanz ist er nicht ausbuchstabiert, das hat auch dieses Festival wieder
gezeigt.
2 Sep 2024
## LINKS
[1] /Inklusives-Netzwerk/!5986107
[2] /30-Jahre-Tanz-im-August-in-Berlin/!5524638
[3] /16-Tanzplattform-Freiburg/!5994340
[4] /Projekt-zum-Wettermachen/!5845149
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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