| # taz.de -- Politologe über „entartete Kunst“: „Das Thema ist hochaktuel… | |
| > Vor 88 Jahren eröffnete die Nazi-Wanderausstellung „Entartete Kunst“. | |
| > Heute gibt es ähnliche Impulse, sagt der Politikwissenschaftler Heiko | |
| > Langanke. | |
| Bild: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1938 in der Ausstellung „Entartet… | |
| taz: Herr Langanke, was verstand [1][das NS-Regime unter „entarteter“ | |
| Kunst]? | |
| Heiko Langanke: Eigentlich könnte man die Gegenfrage stellen, also: Was ist | |
| artige Kunst? Eine artige Kunst im Sinne des Nationalsozialismus hat sich | |
| am Germanentum orientiert. Das zieht sich durch die Kunst, findet sich aber | |
| genauso in der Musik und Literatur. Die Kunst war sehr darstellend, | |
| schlichtweg keine Interpretation, nichts was man deuten sollte oder musste. | |
| Adolf Hitler war ja ursprünglich selbst Maler. Einige Werke findet man hier | |
| und da im Internet. Sie sind schlicht darstellend – mit einem Hang für | |
| pompöse Bauten. Das war dann wohl prototypisch. | |
| taz: Warum hat man die „entarteten“ Bilder ausgestellt und nicht einfach | |
| vernichtet? | |
| Langanke: Parallel zu der Ausstellung gab es eine Ausstellung, die | |
| völkische Kunst, wie sich der Nationalsozialismus das vorgestellt hat, | |
| gezeigt hat. So wollte man Stimmung gegen „entartete“ Kunst machen. Es war | |
| also definitiv diffamierend, sollte ausschließen, die Kunst sollte krank | |
| wirken und wurde auch so bezeichnet. Durch die Gegenüberstellung sollte das | |
| eigentliche Bild der deutschen, klaren Kunst erhellt werden. Wahrscheinlich | |
| hätten sie auch das Problem gehabt, nicht wirklich erklären zu können, was | |
| artige Kunst ist. | |
| taz: Welche Künstler*innen waren betroffen und welche Folgen hatte das | |
| für sie? | |
| Langanke: „Entartete“ Kunst bezog sich auf [2][Expressionismus, die neue | |
| Sachlichkeit, Kubismus, Dadaismus und Surrealismus]. Da haben wir Ernst | |
| Ludwig Kirchner oder auch Emil Nolde, Otto Dix oder George Grosz, | |
| Kandinsky, Picasso, Dali, im Grunde viele, die wir heute kennen. Insgesamt | |
| waren es 125 Künstler und 20.000 beschlagnahmte Werke, die teilweise bei | |
| Goebbels oder Hilter im Privatarchiv gelandet sind. Den Künstlern und | |
| Künstlerinnen wurde die Existenzgrundlage entzogen worden, Kunstförderungen | |
| wurden gestrichen. Wer politisch aktiv war, wurde verhaftet. Viele sind | |
| ausgewandert. | |
| taz: Welche Auswirkungen hatte das auf die Kunstwelt? | |
| Langanke: Es hatte einen langen Nachhall. Also einmal, dass natürlich viele | |
| Werke zerstört wurden, die wir heute einfach so nicht mehr kennen. Aber es | |
| hallte auch lange nach, was anständige Kunst ist und was nicht. Also dieser | |
| Freigeist der 20er, 30er der hat einen regelrechten Schlag gekriegt. Es hat | |
| lange gebraucht, bis man wirklich wieder Künstler und Künstlerinnen | |
| gefunden hat, die sehr mutig in Deutschland auch abstrakte und freie Kunst | |
| gemacht haben. | |
| taz: Der Zweck der Ausstellung, Kunst umzudeuten, hat sich also erfüllt? | |
| Langanke: Das hat in der Zeit hervorragend funktioniert. Weil die | |
| Ausstellung jetzt 88 Jahre her ist, hatten wir die Idee, das mal zu | |
| thematisieren. Und selbst im Harburger Kulturausschuss [3][sitzt eine AfD], | |
| die mittlerweile nichts unversucht lässt, um eine Deutungshoheit über Kunst | |
| und Kultur zu kriegen. Da wird versucht, ein Bild zu reproduzieren, was dem | |
| sehr nahe liegt. So nach dem Motto: Alles andere ist Quatsch, warum sollte | |
| man dafür öffentliche Gelder ausgeben. Eine Argumentation von damals, die | |
| wir heute wiederfinden. [4][Unser neuer Bundeskulturbeauftragter Weimer] | |
| steht auch nicht gerade für eine fortschrittliche Kunst- und | |
| Kulturauffassung. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Langarke: Wenn da jetzt schon zusammengekürzt wird, zum Beispiel beim | |
| Kulturpass, dann steckt da schon auch ein Weltbild hinter, wo man aufpassen | |
| muss, ob wir diesen ganzen Rechtsruck, den wir ja eh gesellschaftlich | |
| haben, nicht auch wieder in diese Kunst- und Kulturgeschichten reinkriegen. | |
| Dass uns gesagt wird, wie Kunst und Kultur zu verstehen ist. Also insofern | |
| halten wir es für hochaktuell. Dürfte anderen Kolleg*innen nicht anders | |
| gehen. | |
| 17 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Franziska Vetter | |
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