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# taz.de -- Graphic Novel „Zwei weibliche Halbakte“: „Es ist wirklich ein…
> Die Geschichte der „entarteten Kunst“ bis in die Nachkriegszeit aus der
> Sicht eines Gemäldes: Zeichner Luz über sein Comic „Zwei weibliche
> Halbakte“.
Bild: Im neuen Comic von Luz schauen wir aus der Perspektive des Gemäldes von …
Der französische Autor und Zeichner Rénald „Luz“ Luzier präsentierte im
Kölner Museum Ludwig seinen neuen Comic „Zwei weibliche Halbakte“ über die
NS-Raubkunst: Die Geschichte wird aus der Sicht des dort ausgestellten
gleichnamigen Gemäldes des Künstlers Otto Mueller erzählt. Das
expressionistische Bild von 1919 begleitet die Leser:innen des Comics
durch die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die NS-Ausstellung
„Entartete Kunst“ und die Nachkriegszeit. Durch die subjektive Sicht aus
der Perspektive des Bilds wandert man durch die Wohnzimmer vieler Leute,
aber auch durch Museums- und Lagerhallen, Ateliers und mehrere Städte, bis
es wieder im Museum Ludwig landet.
Als Karikaturist war Luz lange Teil der Charlie-Hebdo-Redaktion und entging
dem islamistischen Anschlag von 2015 nur knapp. Mit seinem Buch „Wir waren
Charlie“ verarbeitete er die Erinnerungen an seine verstorbenen
Kolleg:innen. Inzwischen gilt der 53-Jährige als einer der
renommiertesten europäischen Comickünstler:innen. Im taz-Interview
spricht er über seine Inspiration zu dem neuen Comic und darüber, was
Künstler:innen gegen den Rechtsruck machen können.
taz: Herr Luzier, warum haben Sie sich gerade das Gemälde von Otto Mueller
ausgesucht und nicht ein anderes der [1][„entarteten Kunst“]?
Luz: Auf der einen Seite habe ich einen Künstler gesucht, der nicht zu
berühmt war, weder für mich noch die Leser:innen. Bei der Recherche habe
ich dann festgestellt, dass mich noch sehr viel mehr mit Otto Mueller
verbindet. Dann wollte ich ganz in dieses Universum eintauchen und habe
entdeckt, dass Mueller als Kupferstecher arbeitete und wir beide einen sehr
scharfen Strich für die Konturen haben. Als ich das Bild „Zwei weibliche
Halbakte“ in den Aufnahmen der „Entartete Kunst“-Ausstellung gesehen habe,
fragte ich mich, wie das wäre, wenn ein Kind dieses Bild sieht und sich
damit auseinandersetzt. Dadurch habe ich wiederum gemerkt, dass ich auch
durchaus Fiktion in diese reale Geschichte hineinbringen kann. Auch im
historischen Zusammenhang gibt es dunkle Winkel, in die ich hineingehen und
die ich mit meiner Fantasie ausfüllen kann. Je präziser meine Recherche für
dieses Buch war, desto mehr Freiheit konnte ich mir in diesen dunklen Ecken
nehmen.
taz: Wie entstanden die Dialoge in Ihrem neuen Werk, wenn Sie Fiktion und
Geschichte miteinander verbinden?
Luz: Es ist interessant, dass Sie das fragen, weil ich mich das nie frage.
Es ist so viel Arbeit, sich diese Gedanken vorher zu machen, gerade
zwischen Dokumentation und Recherche. Deswegen habe ich nur wenige
Möglichkeiten, diese feinen Spuren dessen zu finden, was sich die Leute
gesagt haben. In den Dialogen muss ich einerseits intuitiv sein,
andererseits verbinden sich die Informationen der Recherche und die
Fiktion. Es ist unglaublich, wie man in diesen kleinen Blasen so viele
Informationen aus der Politik und Gesellschaft unterbringen kann.
taz: Sie sprechen aus der ungewöhnlichen Perspektive des Bilds schwere
Themen wie Suizid, Propaganda und Extremismus an. Haben Sie durch diese
Erzählweise einen neuen Blickwinkel bekommen?
Luz: Ja, die neue Perspektive, die ich bekommen habe, war sehr schizophren.
Es war sehr viel Arbeit, die Charaktere und ihre Geschichten zu finden und
die Details auszumachen. Dazu ist es eine Geschichte, die bereits
existierte. Es war eine Herausforderung, sehr präzise und doch noch kreativ
zu sein. Normalerweise sagt man ja, dass du im Kreativen frei bist. Aber
nein, das führt zum direkten Gegenteil. Doch hierbei war ich befreit und
hatte die Idee des subjektiven Blicks. Das vor allem hat mich befreit, und
es war eine meiner bisher intensivsten, aber auch schnellsten Arbeiten. Ich
habe sie in weniger als einem Jahr fertiggestellt, was sehr schnell ist,
gerade mit der Recherche.
taz: Inwiefern unterscheidet sich „Zwei weibliche Halbakte“ von Ihren
anderen Werken?
Luz: Normalerweise sind meine Bücher sehr intensiv gezeichnet. Dieses
spielt jetzt aber viel mit leeren Flächen, und ich habe noch nie mit so
viel Raum gearbeitet. Dadurch, dass ich viele Quadrate verwende, ist das
Buch näher an den klassischen Comics dran, aber es ist auch viel offener
als meine Graphic Novels davor.
taz: Der Erfolg des Rechtsextremismus ist überall auf der Welt zu sehen,
nicht nur in Deutschland und Frankreich. Wie können Künstler:innen wie
Sie Widerstand leisten?
Luz: Es ist schwierig, Kunst nur gegen etwas zu machen. Meistens ist das
nicht genug. Kunst kann auch unpolitisch sein wie das Bild von Otto
Mueller. Wir müssen bedenken, dass wir uns als Künstler:innen nicht
immer auf eine politische Art und Weise zeigen müssen. Wenn du zum Beispiel
ein Kind hast, entdeckst du etwas. Warum zeichnet es? Um die Welt zu
verstehen oder sie einfach nachzumalen? Nein, es zeichnet, um sich von der
Welt abzulenken. Für das Kind ist das etwas Ernsthaftes. In dieser
Die-Welt-ist-mir-egal-Attitüde liegt etwas Politisches, denn das Kind
kreiert sich seine eigene sichere Welt. Und eine sichere Welt für die
Menschen zu erschaffen, ist natürlich politisch. Du kannst dich an diesem
Ort wohlfühlen oder auch seltsam und befremdlich wirken, wie zum Beispiel
in den Werken von Junji Itō. Dann weißt du, was du an der Gesellschaft
selbst ändern möchtest. Es ist ein wenig wie tanzen. Du tanzt nicht, um die
extreme Rechte zu bekämpfen. Du tanzt, um dich selbst auszudrücken und aus
dir herauszugehen. Und danach erholst du dich, um die Welt zu ändern und
die Revolution auszurufen.
taz: Auch der Autor Junji Itō zählt zu Ihren Inspirationen. Warum gerade
dieser Horrormangaka?
Luz: Weil ich nicht alles in Mangas verstehe. Es ist wichtig für mich,
immer wieder Neues zu entdecken und überrascht zu werden. Ich lerne mehr
aus Mangas als aus klassischen Graphic Novels, denn ich will meine
Leser:innen auch überraschen. In der Geschichte „Glyceride“ von Itō geht
es um eine Familie, die mit Öl arbeitet. Ein Mann ist vollgesaugt damit und
presst es aus sich heraus. Das ist verstörend, aber als ich dieses Bild
entdeckte, habe ich es ausgedruckt. Es regt mich zum Arbeiten an, denn Itō
brauchte so lange, um all diese Linien zu zeichnen. Also muss ich mir
selbst in den Hintern treten, um mit der Arbeit zu beginnen.
taz: „Zwei weibliche Halbakte“ gedenkt auch der NS-Verbrechen. Aber
Parteien wie die AfD greifen diese Gedenktradition seit Langem an. Brauchen
wir also mehr Künstler:innen im Widerstand und Projekte wie Ihres?
Luz: Ich weiß nicht genug über Deutschland, um das zu sagen. Selbst über
Frankreich kann ich das nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber das Erinnern
kommt in erster Linie von den Menschen, die diese Zeit noch miterlebt
haben. Ich denke, dass wir als Künstler:innen verstehen müssen, dass
Fiktion der letzte Weg ist, um uns Erinnerungen zu schaffen. Wir sind eine
Generation, die diese Verbrechen im 20. Jahrhundert nicht miterlebt hat.
Aber wir müssen immer wieder über dieses beschissene 20. Jahrhundert
sprechen. Es ist wirklich ein beschissenes 20. Jahrhundert, nicht nur
wegen der Nazis und des Rechtsextremismus, sondern auch wegen der
Ungleichheit der Geschlechter, des Sexismus und so weiter. Wir müssen aber
weiterhin neue Ideen entwickeln und Probleme aufzeigen, gerade die nicht
sichtbaren. In Frankreich gibt es die Idee, dass wir Künstler:innen diese
Art Bücher nicht länger machen sollten. Das ist Bullshit. Wir müssen also
eine neue Art der Freiheit für uns selbst finden.
4 May 2025
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## AUTOREN
Martin Seng
## TAGS
Graphic Novel
Charlie Hebdo
Entartete Kunst
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
NS-Raubkunst
Expressionismus
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