# taz.de -- Expressionistische Kunst in Hamburg zu Gast: Das Berlin des Westens | |
> Das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zeigt Arbeiten aus der Sammlung Osthaus | |
> im westfälischen Hagen. Deren Geschichte bleibt ein wenig unterbelichtet, | |
> aber die Bilder lohnen den Besuch | |
Bild: Weit entfernt von allem Postkartenhaftem: Karl Schmidt-Rottlufs „Boote … | |
HAMBURG taz | Ein Museum im Park mit Skulpturen von Ernst Barlach und | |
Bildern der Expressionisten: Heute ist das Ernst-Barlach-Haus in | |
Hamburg-Othmarschen ein gefälliges Ausflugsziel. Aber das war nicht immer | |
so. Denn hinter diesen Plastiken und Gemälden, dem vielleicht deutschesten | |
aller Beiträge zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, stehen große | |
Utopien und harte Kämpfe. | |
Die Bilder, die derzeit im Jenisch-Park zu Gast sind, stammen von | |
Hauptvertretern des deutschen Expressionismus: Ernst Ludwig Kirchner, Otto | |
Mueller und Karl Schmidt-Rottluff, Mitgliedern der Künstlergruppe „Brücke�… | |
Vertretern der „Neuen Künstlervereinigung München“, des „Blauen Reiters… | |
Sie sind schon für sich ausdrucksstarke und farbkräftige Bildmomente, geben | |
insbesondere den schwierigen 1920er-Jahren prismatischen Ausdruck. | |
## Bankiers-Spross will Kunststadt schaffen | |
Alle nun in Hamburg gezeigten Leihgaben kommen aus der Sammlung des | |
Osthaus-Museums im westfälischen Hagen. Und sie haben – direkt und indirekt | |
– eine besondere Geschichte: Zu Zeiten, als diese Kunst noch längst nicht | |
so museal war, wollte Karl Ernst Osthaus (1874–1921) Berlin Paroli bieten | |
und die Industriestadt Hagen zur Kunsthauptstadt des Westens machen. Der | |
vielseitig gebildete Spross einer Bankiers- und Industrieellenfamilie war | |
geradezu besessen vom „Folkwang-Gedanken“: Für die Zeit durchaus typisch | |
nach einem Götterpalast der nordischen Mythen benannt, ging es praktisch um | |
das den Lebensreform-Bewegungen nahe Konzept, mit der Kunst das Leben zu | |
verbessern – ganz konkret. | |
Osthaus nun ging mit ungewöhnlichem Aufwand und Engagement an seine | |
Mission. Kultureller Mittelpunkt wurde die Malschule und das 1902 | |
gegründete Museum, das wohl weltweit erste Museum für zeitgenössische | |
Kunst, die inzwischen als klassische Moderne gilt. In Zusammenarbeit mit | |
dem Deutschen Werkbund gründete er 1909 gleich noch ein weiteres Museum, | |
diesmal für Kunst in der Arbeitswelt – heute würde man sagen: für Design �… | |
das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe. | |
Die Innengestaltung des Hagener Hauses übernahm der Jugendstil-Künstler | |
Henry van de Felde, von dem sich Osthaus auch eine neue Siedlung bauen | |
ließ; der Mäzen förderte die Gartenstadt-Idee, suchte mit einer „Hagener | |
Impuls“ genannten Bewegung die allgemeine Situation der Arbeiter zu | |
verbessern. Dazu stand er in Kontakt mit den revolutionärsten Architekten | |
seiner Zeit, neben van de Velde waren das Bruno Taut, Peter Behrens, J. L. | |
M. Lauweriks, Adolf Loos, August Endell und Walter Gropius. | |
Hagen sollte auch eine wichtige Künstlerkolonie werden, als erster erhielt | |
1901 Christian Rohlfs ein Dauerwohnrecht im Museumsgebäude. Osthaus stand | |
in Kontakt mit vielen jungen deutschen und auch französischen Künstlern und | |
kaufte manche ihrer Arbeiten. 1907 gab es in Hagen dann eine der ersten | |
Museumsausstellungen der jungen Künstlergemeinschaft „Brücke“ überhaupt.… | |
selben Jahr erwarb man aber auch zwei Bilder von Paul Cézanne, dazu eine | |
Arbeit von Henri Matisse – als weltweit erste öffentliche Sammlung | |
überhaupt. 1909 stellte man in Hagen Alexej von Jawlensky und Wassily | |
Kandinsky aus und knüpfte Kontakt zu Wilhelm Lehmbruck. | |
Diese Pioniertaten haben nicht direkt mit den in Hamburg ausgestellten | |
Bildern zu tun: Nach dem frühen Tod Karl Ernst Osthaus’ verkauften dessen | |
Erben die Sammlung und den Namen des Museums im Jahr 1922 nach Essen. Die | |
aktuell wieder so wichtige Sammlung des heutigen Osthaus-Museums, also in | |
Hagen, wurde erst nach 1945 in jahrzehntelangem Bemühen im Sinne des | |
Namenspatrons neu aufgebaut, am alten, nach fremder Nutzung nun renovierten | |
Ort – insofern wirkte der alte „Impuls“ dann doch wieder nach. | |
Zu sehen sind im Ernst-Barlach-Haus nun knapp 50 Arbeiten, wesentliche | |
Positionen der Expressionisten: Nervöse, in subtiler Grobheit ausgeführte | |
Porträts sind darunter, wie das des in teerig bis gallig gelben Farben | |
gemalten, rauchenden und blasiert schauenden Jockeys. Oder Momente aus dem | |
Leben der modischen Oberschicht, wie die hell leuchtenden, im | |
zeichnerischen Gerüst von der Umgebung teils durchdrungenen „Frauen vor dem | |
Hutladen“. Immer wieder auch Schiffe und Badende – die waren keine | |
Postkartenmotive, sondern standen für den Wunsch nach Freiheit und nach | |
einem natürlichen Leben. | |
## Wolken in Brombeerfarbe | |
In späteren Jahren der Bewegung zeigen sich dann die eher düsteren Seiten | |
expressionistischer Farbgewalt: Landschaften unter bedrohlich | |
brombeerfarbenen Wolken oder die wie von Granaten zerrissenen Linien der | |
Felder Flanderns. Sogar die kristallinen Wirkungslinien der Architekturen | |
Lyonel Feiningers können etwas blitzend Bedrängendes ausstrahlen. | |
Schön ist es, hier die Begegnung von Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner | |
zu erleben: Sie demonstriert sehr direkt die zwei verschiedenen Seiten des | |
Expressionismus. Kräftig voranschreitend zeigt Kirchner seinen Freund und | |
datiert das 1910 gemalte, später noch überarbeitete Bild auch noch zurück | |
aufs Jahr 1908, um aus der Bewegung des Gehens ein Zeichen der Avantgarde | |
zu machen. Umgekehrt stellt Heckel seinen Freund 1917 wie eine | |
zerbrechliche Puppe unter zerrissenem Himmel dar – körperliche und geistige | |
Folgen des einst auch von manchen Expressionisten als Reinigung | |
herbeigesehnten Weltkriegs. | |
Vielleicht hätte die Ausstellung den komplexen kulturpolitischen | |
Hintergründen mehr als ein paar Worte im Handzettel widmen sollen. Es gäbe | |
etwa die Verbindung, dass Osthaus damals auch Ernst Barlach nach Hagen | |
locken wollte, was sich aber zerschlug. Dann wird ja auch das Barlach-Haus | |
wesentlich von einer Industriellenfamilie getragen. Aber vielleicht wäre | |
auch das ein ganz anderes Thema. So bleibt immerhin eine eher kulinarisch | |
gehängte, auf Bildbegegnungen ausgerichtete Sommerausstellung im Park, | |
deren Besucherinnen begrüßt werden mit einem spätimpressionistischen | |
Blumengarten von Emil Nolde. | |
12 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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