# taz.de -- Chilenisches Theater in Weimar: Es ist nicht notwendig, zu träumen | |
> Das Theaterstück „Vaca“ von Guillermo Calderón feiert seine Premiere auf | |
> dem Kunstfest Weimar. Es entwirft das dystopische Bild moderner | |
> Sklaverei. | |
Bild: Wer die Welt verändern will, braucht keine Utopie, meint Regisseur Calde… | |
In der Redoute, einer Spielstätte, die zu DDR-Zeiten das Kulturhaus der | |
sowjetischen Offiziere beherbergte, zeigte das Kunstfest Weimar etwas | |
abseits von seinem historischen Stadtzentrum „Vaca“ (Kuh), eine | |
Inszenierung des chilenischen Theaterautors und -regisseurs Guillermo | |
Calderón. Es handelt sich um eine der jüngsten Produktionen [1][des | |
chilenischen Theaterfestivals Teatro a Mil], deren Leiterin Carmen Romero | |
am 28. August in Weimar mit der [2][Goethe Medaille] ausgezeichnet wird. | |
Im Theaterfoyer der Redoute erinnert nur noch das überlebensgroße | |
Glasmosaikporträt von Wladimir I. Lenin an die frühere Nutzung des Gebäudes | |
aus den 1970er Jahren. | |
In dem modernen Theatersaal ist das Bühnenbild für „Vaca“ mit wenigen | |
Elementen hergestellt: Drei Sessel, ein paar Mikrofone, Bodenscheinwerfer. | |
In der Mitte liegt ein großer unförmiger Körper versteckt unter einer | |
Plane. | |
Im Hintergrund projizierte Zwischentitel umreißen zum Auftakt knapp die | |
Ausgangssituation der Inszenierung. Darin wird Fresia von Aurora überredet, | |
in ihrem Innenhof ein paar Tage lang eine Kuh zu verstecken. Doch dann | |
taucht die Bekannte wochenlang nicht mehr auf. Schon bald ist die junge | |
Frau mit dem Tier überfordert. Die Kuh wird auf drastische Weise krank. | |
Patty und Osvaldo, Mopedkuriere wie sie selbst, kommen Fresia zu Hilfe. | |
Gemeinsam suchen die drei nach einer Lösung für das sieche Tier und ihre | |
prekäre finanzielle Situation. Doch mit jeder Aktion und jeder neuen | |
Komplizenschaft geraten sie tiefer in einen absurden Strudel von | |
Abhängigkeit und Gewalt. Hatten sie jemals eine Perspektive? | |
## Eine urbane Parabel | |
In einem Gespräch im Anschluss an die Weimarer Premiere ergänzt Guillermo | |
Calderón zu den Protagonisten seines Stücks: „Ich arbeite viel mit jungen | |
Menschen, gebe Kurse an der Universität. Sie sind nicht an der Zukunft | |
interessiert, weil sie sich die nicht vorstellen können. Die Zukunft ist | |
nur eine Wiederholung des Hier und Jetzt. Es gibt keine Möglichkeit der | |
Veränderung. Es geht also darum, die Idee zu etablieren, dass es nicht | |
notwendig ist, zu träumen oder Hoffnung zu haben, um weiter an | |
Veränderungen zu arbeiten.“ | |
Auf der Bühne schlüpfen die Schauspieler*Innen Camila Brito, Francisca | |
Lewin und Luis Cerda mit wenigen Handgriffen in weitere Rollen – die einer | |
Veterinärin, eines Metzgers, eines Kardiologen oder einer Forensikerin. Das | |
Mikrofon in der Hand entwickeln sie ihr Spiel im Gespräch oder Monolog, aus | |
dem Hinterhof der Mopedkuriere oder als Nachrichtensprecher in einem | |
Fernsehsender. In seiner Inszenierung verdichtet der Regisseur Calderón die | |
verschiedenen Ebenen seiner urbanen Parabel mit Texteinblendungen und Sound | |
zu einem dystopischen Gesellschaftsporträt. | |
Guillermo Calderón, 1971 in Santiago de Chile geboren, arbeitet als | |
Dramatiker, Drehbuchautor und Regisseur. Das Trauma der Diktatur und die | |
staatliche Repression der Postdiktatur gehören zu den zentralen Themen | |
seiner zahlreichen Theaterstücke. Mit „Villa“, einem Stück über das | |
berüchtigte Folterzentrum Villa Grimaldi, wurde Calderón erstmals 2012 auf | |
die Wiener Festwochen eingeladen. 2016 zeigte das Berliner HAU seine | |
Inszenierung von „Mateluna“ über Jorge Mateluna, ein ehemaliges Mitglied | |
der chilenischen Guerilla Frente Patriótico Manuel Rodriguez. Im | |
vergangenen Jahr inszenierte Calderón „Bavaria“ am Residenztheater in | |
München. International bekannt wurde der Theatermann nicht zuletzt durch | |
seine Drehbücher für die Spielfime „El Club“ (2015), „Neruda“ (2017) … | |
„El Conde“ (2023) des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain. | |
Es erscheint naheliegend, dass die wiederkehrende Erfahrung eines nicht | |
grundlegenden politischen Wandels in Chile und besonders [3][die herbe | |
Enttäuschung über die Ablehnung des progressiven Verfassungsentwurfs im | |
September 2022] die Entstehung von „Vaca“ beeinflusst haben, einem Drama, | |
das keine Hoffnung verbreiten möchte. | |
„Denn wenn wir auf Hoffnung, Optimismus oder irgendeine Art von Inspiration | |
warten, wird sie nie kommen. Die einzige Möglichkeit, mit dem Problem | |
umzugehen, ist also, es ohne Hoffnung anzugehen“, begründet Calderon auf | |
Nachfrage seine Perspektive. | |
Trotzdem versteht es der chilenische Regisseur, der sein Theater als ein | |
politisches versteht, die Inszenierung durch eigenwillige Metaphern und | |
weitreichende Bezüge vor einer allzu naheliegenden Abbildung der | |
Verhältnisse zu bewahren. Er verleiht ihr dadurch eine allgemeingültigere | |
Bedeutung weit über die Grenzen Lateinamerikas hinaus. | |
28 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Theater-und-Aktivismus-in-Chile/!5984616 | |
[2] /Kultur-und-Strassenprotest-in-Chile/!6029510 | |
[3] /Referendum-in-Chile/!5980646 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
## TAGS | |
Chile | |
Theater | |
Weimar | |
Social-Auswahl | |
Literatur | |
Theater | |
wochentaz | |
Südamerika | |
Verfassungsreferendum | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erzählungen von Mauricio Rosencof: Erinnerungen eines Guerilleros | |
„Das Schweigen meines Vaters“ ist bewegend. Der Ex-Widerstandskämpfer | |
Mauricio Rosencof rekonstruiert das Leben seiner Familie. | |
Kunstfest Weimar: Kunst und Wahlplakate | |
Das Kunstfest Weimar setzt zur Landtagswahl in Thüringen ein Zeichen gegen | |
Geschichtsrevisionismus. Doch es hat auch noch andere Höhepunkte. | |
Kultur und Straßenprotest in Chile: „Wir müssen Gemeinschaft aufbauen“ | |
Carmen Romero ist Gründerin des wohl wichtigsten Theaterfestivals | |
Lateinamerikas „Teatro a Mil“. Am Mittwoch wird ihr die Goethe-Medaille | |
verliehen. | |
Lateinamerikasolidarische Medien: Hoch die internationale Solidarität | |
Die „Lateinamerika Nachrichten“ und das Magazin „ila“ berichten aus ein… | |
linken Perspektive über die Region. Nun kämpfen sie ums Überleben. | |
Linke Kulturszene in Chile: Woher Hoffnung nehmen? | |
Chile stimmt erneut über eine neue Verfassung ab. Viele Linke wollen diese | |
ablehnen, selbst wenn damit die diktatorischen Pinochet-Gesetze gültig | |
bleiben. |