# taz.de -- Ökonom Achim Truger über Wachstumszwang: „Das hat noch niemand … | |
> Wegen der grünen Transformation müsse sich Deutschland vom Wachstumszwang | |
> lösen, rät Achim Truger. Es braucht auch einen neuen Begriff von | |
> Wohlstand. | |
Bild: Wohlstandplatz: Ein teures Auto vor der Garage gilt immer noch als wertvo… | |
taz: Nachdem die Wirtschaft vergangenes Jahr um 0,3 Prozent leicht | |
geschrumpft ist, wird sie ihren Schätzungen zufolge dieses Jahr um 0,2 | |
Prozent leicht wachsen. [1][Ist die Lage tatsächlich so schlimm], wie | |
zuletzt behauptet? | |
Achim Truger: Wenn die Wirtschaft schrumpft oder stagniert, dann haben die | |
Menschen weniger in der Tasche. Und es gab in Deutschland seit fünf Jahren | |
de facto kein Reallohnwachstum mehr. Das heißt, dass sich die Menschen | |
weniger leisten können als noch vor der Coronakrise. Gleichzeitig spart der | |
Staat wegen schlechterer Finanzlage statt in die Zukunft zu investieren. | |
Diese beiden Probleme hätten wir nicht, wenn es ein kräftiges Wachstum | |
gäbe. | |
Deutschland ist ein reiches Land. [2][Zuletzt hat die Ungleichheit aber | |
noch weiter zugenommen]. Sowohl den schwachen Konsum als auch die schlechte | |
öffentliche Haushaltslage könnte man auch mit Umverteilung via höherer | |
Löhne sowie Steuern angehen. Warum braucht es deswegen ein starkes | |
Wirtschaftswachstum? | |
Weil es nicht so einfach ist, wie Sie sagen. Wenn es weniger zu verteilen | |
gibt, verschärfen sich gerade in Abschwungphasen die Verteilungskonflikte. | |
Statt mehr Verteilungsgerechtigkeit wird deswegen ein Abbau des | |
Sozialstaates diskutiert. Die FDP-Spitze zum Beispiel stellt derzeit das | |
Bürgergeld und die Rente mit 63 in Frage. | |
Es braucht also Wirtschaftswachstum für den Erhalt des sozialen Friedens? | |
Kurzfristig ist ein stärkeres Wirtschaftswachstum wichtig, um | |
Verteilungskonflikte zu vermeiden. Langfristig sollte sich die Gesellschaft | |
aber vom Wachstumsparadigma lösen und diskutieren, was Wohlstand für sie | |
ist und wie dieser gerecht verteilt werden kann. | |
Müssen wir nicht eh im Zuge der ökologischen Transformation weg vom | |
Imperativ des Wachstums? | |
Es hat in der Vergangenheit durchaus Fortschritte und eine gewisse | |
Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch gegeben. Aber | |
ob wir es in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, zur Klimaneutralität | |
schaffen, wenn die Wirtschaft weiter wächst, steht in den Sternen. Denn | |
dafür gibt es keine Blaupause. Das hat noch niemand versucht. | |
Sie sind also weniger optimistisch. | |
Selbst wenn wir wüssten, dass wir für das Erreichen der Klimaneutralität | |
schrumpfen müssen, wissen wir nicht, wie das geht. Was die Gesellschaft | |
bisher lediglich kann, ist krisenhaft zu schrumpfen. Das geht aber mit | |
einer massiven Arbeitslosigkeit und anderen gefährlichen sozialen | |
Konflikten einher. Deswegen sollte die Gesellschaft auch nicht darüber | |
streiten, ob wir uns noch Wachstum erlauben können oder nicht, sondern über | |
die richtigen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität diskutieren. | |
Wenn wir dieses Ziel sozial gerecht erreichen können, ist es nebensächlich, | |
ob es dann noch ein Wachstum gibt. | |
Was wären die richtigen Maßnahmen? | |
Als erstes muss massiv in die Klimaneutralität investiert werden. Dafür ist | |
eine Reform der Schuldenbremse notwendig. Auch die Länder und Kommunen | |
müssen in der Lage sein, den Investitionsstau zu beheben. Auch die Menschen | |
und Unternehmen müssen fit gemacht werden für die [3][klimaneutrale | |
Zukunft]. | |
Einige Ökonom*innen setzen vor allem auf den CO2-Preis, um Emissionen | |
teurer zu machen… | |
Der CO2-Preis alleine wird uns nicht in die klimaneutrale Zukunft führen. | |
Stattdessen könnte es sogar sinnvoll sein, im Zuge der Transformation für | |
bestimmte Güter Preisbremsen einzuführen. | |
Warum? | |
Ein steigender CO2-Preis kann die Inflation antreiben und zu sozialen | |
Spannungen führen. Arme Haushalte werden sich nämlich keinen neuen, | |
sparsameren Kühlschrank leisten können, um die steigenden Stromkosten durch | |
einen geringeren Verbrauch zu kompensieren. | |
Die gestiegenen Strompreise waren in den vergangenen Monaten auch Thema in | |
der Debatte um den Industriestrompreis. Kann man nicht in Kauf nehmen, dass | |
gewisse, energieintensive Teile der Industrie aus Deutschland abwandern, | |
statt diese langfristig zu subventionieren? | |
Klimapolitisch ist nichts gewonnen, wenn energieintensive Unternehmen | |
abwandern und im Ausland weiterhin CO2-intensiv produzieren. Gleichzeitig | |
hat die Debatte um Subventionen eine zweite Dimension: Es geht auch um | |
Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Und die Wirtschaft | |
wird auch in Zukunft einen gewissen Umfang an Stahlproduktion und | |
chemischer Industrie brauchen. Hinsichtlich der gestiegenen geopolitischen | |
Spannungen wäre es heikel, diese Branchen wegen zu hoher Energiepreise | |
komplett ziehen zu lassen. | |
Aber das wird doch bestimmte Güter wieder teurer machen. | |
Deswegen muss klar gesagt werden, welche Industrien man in Zukunft im | |
Inland braucht. Dann müssen diese Teile auch hier bleiben und hier | |
dekarbonisiert werden. | |
Heißt das letztlich auch, dass sich viele Menschen in Zukunft weniger | |
leisten werden können als früher? | |
Wenn dadurch die Wirtschaft etwas schrumpft, heißt es nicht, dass die | |
Gesellschaft automatisch an Wohlstand verliert und es den Menschen wirklich | |
schlechter geht. | |
Warum? | |
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein schlechter Indikator für | |
Wohlbefinden. Wenn es steigt, geht es den Menschen auch nicht automatisch | |
besser. Deswegen sollte es einen umfassenderen Begriff von Wohlstand geben. | |
So dient ein großer Teil der Produktion auch der Produktion von | |
Statussymbolen. Folglich wäre viel an Ressourcen gespart und Wohlstand | |
geschaffen, wenn in einen guten und verlässlichen öffentlichen Nah- und | |
Fernverkehr investiert wird, statt SUV mit 300 Sachen über Autobahnen | |
brettern zu lassen. | |
Derzeit wird im Rahmen der Diskussion um die [4][Viertagewoche] viel über | |
die Verkürzung von Arbeitszeit debattiert. Kann mehr Freizeit nicht auch | |
mehr Wohlstand bedeuten? | |
Gerade Liberale sollten sich fragen, welche Präferenzen die Menschen haben. | |
Wenn sie lieber weniger Arbeit statt höhere Löhne haben wollen, dann ist | |
das ein legitimes Bedürfnis. Gleichzeitig gilt: Weniger bezahlte Arbeit ist | |
nicht automatisch weniger Arbeit. Viele gesellschaftlich notwendige | |
Aufgaben wie Ehrenämter, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen | |
werden außerhalb der bezahlten Arbeitszeit erledigt. Diese Arbeiten | |
spiegeln sich nicht im BIP wider. Sie sind aber extrem wichtig für den | |
gesellschaftlichen Wohlstand. | |
15 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simon Poelchau | |
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