# taz.de -- Ulrike Herrmann über Kapitalismus: „Wir brauchen grünes Schrump… | |
> Im taz Salon erklärt taz-Redakteurin und Autorin Ulrike Herrmann, mit | |
> welchem Wirtschaftsmodell sich die Klimakatastrophe noch abwenden ließe. | |
Bild: Es kann nur ohne die Schlote weiter gehen: Traktor vor dem Braunkohlekraf… | |
taz: Was ist gut am Kapitalismus? | |
Ulrike Herrmann: Um jetzt nur einen von vielen Aspekten heraus zugreifen: | |
Die Lebenserwartung heute ist über 80 Jahre im Durchschnitt. Früher, vor | |
dem Kapitalismus, lag sie ungefähr bei 35. Das sind also 50 geschenkte | |
Jahre. | |
Warum behaupten Sie, dass er trotz dieser Segnungen verschwinden muss? | |
Der Kapitalismus braucht Wachstum, um stabil zu sein. Und deswegen gibt es | |
diese Idee des „[1][grünen Wachstums“]. Diese Option [2][ist aber eine | |
Illusion.] Ganz einfach, weil die Ökoenergie nicht reichen wird. Man muss | |
Strom speichern, um diesen Kapitalismus permanent befeuern zu können. Und | |
diese Speichertechnologien sind wahnsinnig aufwendig. Deswegen ist klar, | |
dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird und nicht reicht für grünes | |
Wachstum. Es läuft raus auf grünes Schrumpfen. | |
Was ist [3][„grünes Schrumpfen“]? | |
Man kann nur noch die Wirtschaftsleistung erzeugen, für die der Ökostrom | |
reicht. Im Augenblick haben wir sowieso fast gar keinen Ökostrom. Der Plan | |
ist zwar, noch viele Windräder aufzubauen. Trotzdem ist es realistisch | |
anzunehmen, dass man die Wirtschaftsleistungen halbieren muss. | |
Warum reicht es nicht, wenn die Emissionen einfach sehr teuer würden? | |
Da gibt es eigentlich zwei Probleme. Das eine ist: Die Klimaschäden sind so | |
enorm, dass die CO2-Preise so hoch sein müssten, um die Schäden abzubilden, | |
dass die Wirtschaft sofort kollabieren würde. Um die Unternehmen zu | |
schonen, sind die CO2-Preise viel zu niedrig. Die sind so angesetzt, dass | |
sie das Wachstum nicht behindern. Damit verhindern sie aber auch nicht die | |
Emission von CO2. Und das Zweite ist, dass diese CO2-Einnahmen ja nicht in | |
einen Brunnen fallen und verschwinden, sondern beim Staat landen, der das | |
Geld wieder ausgibt. Und das befeuert dann neues Wachstum. Vielen Leuten | |
wird, glaube ich, nicht klar: Wir müssen bei den Emissionen auf Netto-Null. | |
Es reicht nicht, dass man die Energieeffizienz ein bisschen steigert oder | |
dass man nicht mehr nach Bali fliegt, sondern Urlaub in der Uckermark | |
macht. Wir müssen 2045 bei Netto-Null sein, in 23 Jahren. Das ist bisher | |
nirgendwo zu sehen. | |
Wie sähe das Leben in dem System der „Überlebenswirtschaft“ aus? | |
Wenn man die Wirtschaftsleistung halbieren würde, würden wir auf dem Stand | |
von 1978 leben. Wir wären also nicht in der Steinzeit. Es war das Jahr, in | |
dem Argentinien Fußballweltmeister wurde und Star Wars Teil Eins in die | |
Kinos kam. Es wäre auch nicht einfach ein Rückschritt. Teile des | |
technischen Fortschritts, etwa in der Medizin, könnte man auch weiterhin | |
genießen. Auch das Smartphone könnte man weiterhin haben. Wofür es aber | |
nicht reichen wird, das sind Flugzeuge. Da wird einfach die Ökoenergie | |
nicht reichen. Auch nicht für E-Autos. Das ist aber nicht das Ende der | |
Mobilität. Man kann auch Bus fahren, aber private Autos wird es nicht mehr | |
geben. | |
Wie kann der Umbau funktionieren? | |
Meine Idee ist, dass man es so macht, wie die britische Kriegswirtschaft ab | |
1939. Innerhalb von Wochen mussten sie eine Friedenswirtschaft schrumpfen, | |
um Waffen zu produzieren. Die Briten haben dann eine neue Wirtschaftsform | |
erfunden, nämlich eine demokratische, private Planwirtschaft. Das könnte | |
ein Modell für die Zukunft sein. | |
Wie unterscheidet die sich von der sozialistischen? | |
In der Sowjetunion war alles verstaatlicht, bis in die letzte Fabrik, bis | |
zur letzten Schraube wurde alles vorgegeben. Das hat in Großbritannien | |
nicht stattgefunden. Die Firmen, Läden, Restaurants, das blieb alles | |
privat. Aber der Staat hat Vorgaben gemacht, was noch produziert wird. Wie | |
das genau umgesetzt wurde, da hat sich der Staat nicht eingemischt, aber er | |
hat die Güter, die noch möglich waren, gerecht verteilt. Er hat rationiert. | |
Alle bekamen genau das Gleiche. Was wichtig zu wissen ist: Es war zwar | |
alles knapp, die Briten haben aber nicht gehungert im Zweiten Weltkrieg. Es | |
hat die Gesellschaft unendlich entspannt, zu wissen, dass Arme und Reiche | |
gleich behandelt wurden. | |
24 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marco Fründt | |
Ulrike Herrmann | |
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