# taz.de -- Aktivistin Reemtsma über Klimaerwärmung: „Grünes Wachstum blei… | |
> Auch mit den Grünen in einer Ampelkoalition könnte das 1,5-Grad-Ziel | |
> verfehlt werden, sagt FFF-Klimaaktivistin Carla Reemtsma. | |
Bild: Carla Reemtsma sieht bei keiner Partei genug Ambitionen für echten Klima… | |
taz: Ist die Ampelkoalition das kleinste Übel, Carla Reemtsma? | |
Carla Reemtsma: Was wäre denn die Alternative gewesen? Eine Regierung mit | |
der CDU? | |
Wer ist gefährlicher, CDU oder FDP? | |
Die CDU zeigt absoluten Unwillen in Bezug auf den Klimaschutz. Da scheint | |
die FDP fortschrittlicher. Trotzdem gibt sie auf soziale Fragen krass | |
neoliberale Antworten. Die würden die soziale Ungerechtigkeit noch | |
verschlimmern. | |
Allerdings wird die FDP die Klimapolitik mitbestimmen. Wie kann ihr die | |
Macht genommen werden? | |
Entlarvung ist jetzt das Stichwort und auch das essenzielle Ziel unserer | |
kommenden Protestbewegung. Nur so können wir zeigen, dass diese [1][Idee | |
„eines grünen Wachstums“] nicht funktioniert. Das ist und bleibt eine | |
Illusion, die uns davon abhält, echten Klimaschutz zu betreiben. | |
Grünes Wachstum soll Wirtschaftswachstum mit Umweltschutz kombinieren. Ist | |
das nicht besser als gar kein Klimaschutz? | |
Es gibt kein Beispiel eines Staates, in dem es gelungen ist, | |
[2][Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch] und CO2-Ausstoß zu | |
entkoppeln. Wir könnten es vielleicht schaffen, in einem Staat wie | |
Deutschland unsere imperiale Lebensweise aufrecht zu erhalten und alle | |
Verbrenner durch E-Autos zu ersetzen. Wir beuten aber weiterhin Menschen | |
vor Ort in Ländern aus, wo beispielsweise die Rohstoffe für Batterien der | |
Autos hergestellt werden. Anstatt zu sagen, besser als gar nicht, muss man | |
sich fragen: Was sind Alternativen? | |
Strebt überhaupt irgendeine Partei echten Klimaschutz an? | |
Nein, und auch keines der ganzen Unternehmen, die jetzt gerade mit einem | |
grünen Image werben und sich zu unseren Verbündeten erklären. Nur [3][wer | |
das 1,5-Grad-Ziel] verfolgt, ist unser:e Verbündete:r. | |
Wäre es nicht einfacher für Fridays for Future mit der GroKo | |
weiterzumachen, dann hätte man immerhin weiter einen klaren Gegner? | |
Ich finde es total zynisch zu sagen, wir wünschen uns eine | |
klimafeindlichere Regierung, bloß weil wir dann [4][besser konfrontativen | |
Protest organisieren] können. Es ist unsere Aufgabe als Bewegung, die | |
regierenden Parteien zu kritisieren. Da wird es in einer Ampelkoalition | |
genug Arbeit für uns geben. Sei es die ganze Idee von „Wir lösen die | |
Klimakrise nur durch Innovation und Technik“. Oder das Ziel der Grünen von | |
grünem Wirtschaftswachstum. Das ist vielleicht nicht ganz so einfach wie | |
bei einem Armin Laschet, der den Kohleausstieg 2038 super findet und den | |
Hambi (den [5][Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen]; Anm. d. R.), räumen | |
lässt. | |
Gibt es in den FFF-Reihen Aktivist:innen, die mit FDP und Union | |
sympathisieren? | |
Es gibt Aktivisten bei uns, die in der Jungen Union oder bei den JuLis | |
sind. Aber nicht viele, weil das einfach ein inhärenter Widerspruch ist. | |
Könnten sie radikaleren zivilen Ungehorsam verhindern? | |
Dass es bisher noch keinen radikaleren zivilen Ungehorsam gab, lässt sich | |
nicht auf ein paar Aktivist:innen zurückführen, die bei der Jungen | |
Union aktiv sind. Das hat eher etwas mit der generellen Heterogenität der | |
Bewegung zu tun. | |
Wird an diesem Wochenende – abgesehen vom Streik am heutigen Freitag – von | |
Fridays for Future ziviler Ungehorsam ausgehen? | |
Wir machen erst mal den Klimastreik. Wir sind aber Teil eines Bündnisses, | |
in dessen Rahmen auf jeden Fall Aktionen stattfinden. | |
Wäre ziviler Ungehorsam nicht wirkungsvoller? | |
Es braucht auf jeden Fall vielfältige Aktionsformen, von der Petition, die | |
meine Oma unterschreiben kann, bis hin zu Leuten, die mit ihren Körpern | |
Bagger blockieren. Wenn wir wieder stärker über Dringlichkeit sprechen | |
wollen, braucht es eine Radikalisierung der Aktionsformen. Klima ist so | |
sehr im Mainstream angekommen, dass jede und jeder sagen kann, er oder sie | |
ist für Klimaschutz, aber gleichzeitig jede einzelne Klimaschutzmaßnahme | |
ablehnen kann. | |
Also eine Art Teilradikalisierung? | |
Nicht jede politische Entscheidung für oder gegen mehr Klimaschutz kann man | |
direkt durch „Wir blockieren Bagger oder die Rodungen“ aufhalten. Es ist | |
auch eine Form von Radikalisierung, uns mit den Menschen zu organisieren, | |
gegen die wir konsequent ausgespielt werden. Klimagerechtigkeit braucht | |
eine grundlegende gesellschaftliche Transformation. Die können wir mit 0,5 | |
Prozent Klimaaktivisten in der Gesellschaft nicht umsetzen. Wir brauchen | |
eine breitere Verankerung. Zum Beispiel bei Arbeiter:innen in den | |
Industriewerken, die immer als Grund für weniger Klimaschutz angegeben | |
werden. | |
Führt ziviler Ungehorsam nicht zu einer Abwendung vieler Bürger:innen | |
von der Bewegung? | |
Der Klimastreik selbst war so erfolgreich, weil er polarisiert hat. Jetzt | |
bekennen sich alle zu Klimaschutz, aber faktisch sehen wir keine | |
Fortschritte. Die Aktivist:innen sind total sauer und möchten diese Wut | |
sichtbar machen für die Öffentlichkeit. | |
Richtet sich die Wut nicht möglicherweise gegen die Falschen, wenn eine | |
Straße blockiert wird? | |
Eine essenzielle Frage ist immer: Was und wen blockiert man? Ganz viele | |
Proteste der Klimabewegung richten sich deshalb sehr konkret vor Ort gegen | |
klimazerstörerische [6][Projekte wie die Tagebaue im Rheinland], | |
Pipeline-Ausbauprojekte oder die Rodung von Wäldern für neue Autobahnen. | |
Doch was ist mit klimapolitischen Entscheidungen ohne konkreten Ort? Gibt | |
es Alternativen zu Straßenblockaden? Da muss die Klimabewegung noch | |
kreativ werden. | |
Ist jede Art von Aufmerksamkeit, sei es negative oder positive, besser als | |
gar keine? | |
Das würde ich nicht sagen. Gewalt zum Beispiel geht auf gar keinen Fall. | |
Grundbedingung für zivilen Ungehorsam ist natürlich, dass er friedlich ist. | |
Die SPD steht offiziell für soziale Politik. Ist Olaf Scholz als Kanzler | |
der Richtige, um die Frage nach mehr Klimagerechtigkeit zu lösen? | |
Das wäre natürlich schön. Was wir aber gerade sehen, sind drei | |
unzureichende Wahlprogramme, die ein unzureichendes Potpourri ergeben. Die | |
Klimakrise ist eine soziale Gerechtigkeitskrise. Die Menschen mit geringen | |
Einkommen, prekärer Wohn- und Beschäftigungssituation sind am stärksten von | |
den Folgen der Klimakrise auch hier in Deutschland betroffen. Aber mit am | |
wenigsten dafür verantwortlich. Die Koalitionsverhandlungen werden da | |
vermutlich kein grundlegendes Neudenken bringen. Ich sehe nicht, dass das | |
die perfekte Verbindung von Klima und sozialer Frage ist. | |
Wir sind vom 1,5-Grad-Ziel der Begrenzung der Klimaerwärmung weit entfernt. | |
Wann sollte man dieses Ziel aufgeben und Schadensbegrenzung betreiben? | |
Das Ziel werden wir als Klimabewegung nicht aufgeben. Wissenschaftlich | |
gesehen können wir die Emissionen noch so reduzieren, dass wir im Einklang | |
mit der 1,5-Grad-Grenze bleiben. Daran festzuhalten und weiter um jedes | |
Zehntel zu kämpfen, ist fundamental wichtig. Die Grenze ist politisch nicht | |
willkürlich gewählt. Es ist die Grenze, ab der Kipppunkte erreicht werden, | |
die die Klimakrise drastisch verschlimmern würden. Jetzt sind wir bei 1,2 | |
Grad und die Lebensgrundlagen in vielen Regionen sind jetzt schon | |
existenziell bedroht. | |
Wenn aber eine Koalition zustande kommt, von der man schon ahnen kann, dass | |
auch mit ihr das Ziel nicht erreicht wird, müsste man es doch aufgeben. | |
Auch in der vergangenen Koalition war klar, dass die Einhaltung der | |
1,5-Grad-Grenze nicht machbar war. Wir haben so viele Proteste organisiert, | |
dass es plötzlich ein Klimapaket gab. Auch wenn es komplett unzureichend | |
ist. Das zeigt, ist der gesellschaftliche Druck hoch, werden Dinge auch | |
außerhalb eines Koalitionsvertrages umgesetzt. | |
Sollte man sich jetzt schon mehr Gedanken über die Schadensbegrenzung | |
machen? | |
Wir müssen überlegen, wie Städte und Gesellschaften resilienter aufgebaut | |
werden können? Auch über die internationale Anpassung an die Folgen der | |
Klimakrise müssen wir reden. In den Staaten, die am wenigsten für die Krise | |
verantwortlich sind, hat diese jetzt schon lebensbedrohliche und teilweise | |
tödliche Folgen. Die Industriestaaten des globalen Nordens können das gar | |
nicht mehr ausgleichen. Egal wie viel Klimaschutz sie noch betreiben. Sie | |
müssen auf jeden Fall finanzielle Unterstützung leisten. Das ist eine der | |
zwei Säulen des Pariser Klimaabkommens, die häufig vergessen wird. Und da | |
scheitern die Industriestaaten gerade genauso wie in ihrer Verantwortung, | |
Emissionen zu senken. | |
22 Oct 2021 | |
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