| # taz.de -- Studie zu Kapitalismus und Umweltpolitik: Wachstum, ein Dilemma | |
| > Wieder scheitert eine Studie, die zeigen will, dass „grünes Wachstum“ | |
| > möglich ist. Es bleibt unklar, wie man ohne Crash auf Wachstum | |
| > verzichtet. | |
| Bild: Zu viel ist zu viel ist zu viel – am Auto lässt sich das Wachstums- un… | |
| Die Coronapandemie machte das Undenkbare denkbar: Plötzlich flogen keine | |
| Flugzeuge mehr, der Ausstoß an Treibhausgasen sank rapide und Öl wurde | |
| zeitweilig zur Ramschware. Die Globalisierung schien beendet, und es | |
| wirkte, als wäre ein Weg gefunden, der zu mehr Nachhaltigkeit führte. | |
| Doch dieser Schein trügt. Die Coronakrise zeigt nicht, wie man den | |
| Kapitalismus verlassen kann – sondern beweist im Gegenteil, dass [1][unser | |
| Wirtschaftssystem zum Wachstum verdammt ist]. Die Lockdowns dauerten bisher | |
| nur einige Wochen, dennoch sind die Coronaschäden schon jetzt immens. | |
| Längst wären viele Unternehmen pleite und fast alle Beschäftigten | |
| arbeitslos, wenn der Staat nicht permanent neue Hilfsprogramme auflegen | |
| würde, um die Wirtschaft zu stabilisieren. | |
| Momentan besteht der Trick darin, neues Geld zu „drucken“, indem der Staat | |
| Kredite aufnimmt. Im wahrsten Sinne des Wortes wird die Coronakrise mit | |
| Geld zugeschüttet. Allein in Deutschland dürften Schulden von weit mehr als | |
| 500 Milliarden Euro auflaufen. Es ist unmöglich, diese gigantischen Summen | |
| zu tilgen und zurückzuzahlen. Stattdessen setzt man auf Wachstum. Sobald | |
| die Wirtschaftsleistung steigt, verlieren die Schulden an Relevanz – bis | |
| sie irgendwann vergessen sind. | |
| Bleibt ein Problem: Die KlimaschützerInnen haben ja recht damit, dass man | |
| in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen kann. Die Europäer | |
| hinterlassen einen ökologischen Fußabdruck, als könnten sie drei Planeten | |
| verbrauchen, aber bekanntlich gibt es nur die eine Erde. | |
| Was also tun? Jedenfalls wäre es keine Lösung, jetzt einfach auf Wachstum | |
| zu verzichten – auf dass die Coronakrise ihren Lauf nähme. Millionen | |
| Deutsche wären dann arbeitslos, und aus historischer Erfahrung weiß man, | |
| dass Verzweifelte dazu neigen, rechtsradikal zu wählen. | |
| Wer aus dem Wachstum aussteigen will, braucht einen Plan. Doch dieses | |
| Konzept fehlt bisher. Stattdessen hoffen die Regierungen, [2][dass sie | |
| Wirtschaft und Umwelt langfristig versöhnen könnten]. Die Stichworte heißen | |
| Green New Deal oder Entkopplung von Wachstum und Energie. Auch in den | |
| jetzigen Pandemiezeiten wird intensiv diskutiert, wie „grünes Wachstum“ | |
| gelingen könnte. | |
| Angeblich wäre es sogar billig, die Welt zu retten. Die meisten Studien | |
| gehen davon aus, dass der Klimaschutz nur etwa 2 Prozent des | |
| Bruttoinlandsprodukts kosten würde. Fragt sich bloß, warum sich in der | |
| Umweltpolitik so wenig tut, wenn sie doch fast umsonst wäre. Irgendwo muss | |
| sich ein erhebliches Problem verbergen. | |
| Um diesem Problem auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, die neueste Studie | |
| zu betrachten, die grünes Wachstum propagiert. Sie heißt „Klimaneutrales | |
| Deutschland“; Auftraggeber ist die Stiftung Klimaneutralität, die von | |
| Rainer Baake geleitet wird. | |
| Baake ist einer der wichtigsten Umweltpolitiker Deutschlands. Um nur zwei | |
| seiner Stationen zu nennen: Von 1998 bis 2005 war er Staatssekretär des | |
| grünen Umweltministers Trittin und wesentlich am | |
| Erneuerbare-Energien-Gesetz beteiligt. Von 2014 bis 2018 war Baake dann | |
| Staatssekretär bei SPD-Wirtschaftsminister Gabriel – eine einzigartige | |
| Karriere für einen Grünen. | |
| Mit seiner Studie will Baake die Grünen aus einem Dilemma befreien: Die | |
| Partei bekennt sich klar zum Klimaschutz, aber das grüne Programm reicht | |
| nicht aus, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Also | |
| will Baake zeigen, wie eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 machbar wäre | |
| – ohne dass man das Wachstum reduzieren müsste. Denn Baake weiß natürlich | |
| auch, dass „Verzicht“ bei Wählern enorm unpopulär ist. | |
| Die Studie malt daher ein rosarotes Bild. In der Einleitung heißt es: | |
| Klimaschutz sei „vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er | |
| Jahren“. Diese Aussage ist so unsinnig, dass es schmerzt. Im | |
| „Wirtschaftswunder“ lagen die jährlichen Wachstumsraten bei 5 Prozent pro | |
| Kopf. Damals vervierfachte sich die westdeutsche Wirtschaftsleistung in nur | |
| 25 Jahren. Das ist heute weder möglich noch wünschenswert. Man stelle sich | |
| einmal vor, Deutschland würde anteilig acht bis zwölf Planeten verbrauchen | |
| – statt wie derzeit drei. | |
| Nun sollte man Einleitungen nicht überbewerten. Aber ähnlich salopp ist die | |
| gesamte Studie, wenn es um das Thema Wachstum geht. Mal wird unterstellt, | |
| dass die deutsche Wirtschaft bis 2050 jährlich um 1,3 Prozent zulegt (Seite | |
| 12), später soll es nur 1 Prozent sein (Seite 42). Diese Differenz klingt | |
| unerheblich, würde aber 2050 einen Unterschied von etwa zehn Prozentpunkten | |
| bedeuten. | |
| Schlimmer: In Wahrheit kann die Studie nichts über künftige Wachstumsraten | |
| sagen. Auf Seite 15 findet sich der verräterische Satz: „Die ökonomischen | |
| Effekte der Klimaschutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht.“ | |
| Stattdessen wird auf eine Untersuchung vom Bundesverband der Deutschen | |
| Industrie (BDI) verwiesen, die 2018 erschienen ist und Wachstum angeblich | |
| näher untersucht. Nach Lektüre dieser weiteren Studie fühlt man sich an die | |
| berühmten russischen Puppen erinnert: Wer eine Matroschka öffnet, ist so | |
| schlau wie vorher, weil sich dort die gleiche Puppe findet, nur kleiner. | |
| Der Irrwitz zeigt sich gut beim Thema Auto: Die Pkw-Zahl in Deutschland | |
| muss von rund 47 auf 30 Millionen zurückgehen, wenn der Klimaschutz | |
| gelingen soll. Trotzdem nimmt die BDI-Studie an, dass die deutsche | |
| Autoindustrie um jährlich 1,2 Prozent wächst. Wie soll das denn gehen? | |
| [3][Wachstum] ist ein Dilemma. Am Wachstum hängen Arbeitsplätze, | |
| Investitionen, Gewinne, Renten, Schulden und Vermögen. Also alles. | |
| Gleichzeitig kann man in einer endlichen Welt aber nicht unendlich wachsen. | |
| Doch bisher hat niemand gezeigt, wie man aus dem Wachstum aussteigen kann, | |
| ohne dass es zum Crash käme. So bleibt zu hoffen, dass Baake bald eine neue | |
| Studie in Auftrag gibt, die diese offenen Fragen ernsthaft angeht. | |
| 8 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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