# taz.de -- Klimaziele und Wirtschaftswachstum: Und das Wachstum? | |
> Das Wuppertal Institut hat eine Studie für Fridays for Future erstellt. | |
> Das wichtigste Thema kommt nicht vor. | |
Fridays for Future haben absolut recht: Die Bundesregierung und auch die | |
Grünen besitzen keinerlei Plan, wie sie die Erderwärmung bei 1,5 Grad | |
Celsius stoppen wollen. Fragt sich nur, warum die Politik so schnarchig | |
ist. | |
Die Antwort findet sich ausgerechnet in der Studie, die Fridays for Future | |
beim [1][Wuppertal Institut] in Auftrag gegeben haben und die von der | |
GLS-Bank mit 30.000 Euro finanziert wurde. Die ForscherInnen sollten | |
darstellen, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. | |
Das Ergebnis ist eine lange Liste von technischen Maßnahmen, die von der | |
Gebäudedämmung bis zum grünen Wasserstoff reichen. Das ist verdienstvoll, | |
denn ohne Innovationen wird der Klimaschutz garantiert nicht funktionieren. | |
Trotzdem bleibt ein Unbehagen zurück: Nirgendwo wird die Rechnung | |
aufgemacht, was diese technischen Vorschläge konkret für die Wirtschaft | |
bedeuten würden. Also zum Beispiel für die Arbeitsplätze, die Sparguthaben, | |
die Wirtschaftsleistung oder die individuellen Einkommen. Es fehlt die | |
ökonomische Rückkopplung, die für die Politik aber alles entscheidend ist. | |
Diese seltsame Lücke ist nicht nur beim Wuppertal Institut zu beobachten. | |
Vergleichbare Studien der Fraunhofer-Gesellschaft, des Forschungszentrums | |
Jülich oder des Umweltbundesamts drücken sich ebenfalls um vernünftige | |
ökonomische Analysen. Denn die Wahrheit ist unbequem: [2][Klimaschutz] gibt | |
es nicht umsonst. „Grünes Wachstum“ ist eine Fiktion, stattdessen würde d… | |
Ausstoß an Waren und Dienstleistungen sinken. Wir würden nicht hungern und | |
nicht frieren. Wir könnten gut leben. Aber ein gewisser Verzicht wäre | |
nötig, um das Klima zu retten. Dieser Verzicht wird allerdings in keiner | |
Studie konkret ausbuchstabiert. | |
Der Ausgangspunkt ist plausibel: Deutschland darf insgesamt nur noch 4.200 | |
Millionen Tonnen CO2 emittieren, wenn es seinen fairen Beitrag zum | |
1,5-Grad-Ziel leisten will. Momentan stoßen wir etwa 800 Millionen Tonnen | |
pro Jahr aus, womit wir also schon 2026 unser gesamtes Kontingent | |
aufgebraucht hätten, wenn wir weiter wirtschaften wie bisher. Eine | |
zusätzliche Übergangszeit können wir uns nur erarbeiten, wenn wir unsere | |
Emissionen ab sofort radikal reduzieren. Aber selbst in diesem Szenario | |
müssten wir ab 2035 völlig klimaneutral sein. | |
## Infrastruktur ist nicht klimaneutral | |
Schon die erste Hürde taucht in der Wuppertal-Studie gar nicht auf: Es ist | |
keinesfalls klimaneutral, jene Infrastruktur zu errichten, mit der man | |
hinterher klimaneutral sein will. Die Herstellung von Windrädern, E-Autos, | |
Solarpaneelen, Wärmedämmung oder „grünen“ Stahlwerken emittiert sehr viel | |
CO2. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber eine Pi-mal-Daumen-Kalkulation macht | |
zumindest die Dimension des Problems deutlich. | |
Das Wuppertal Institut rechnet damit, dass es 100 Milliarden Euro pro Jahr | |
zusätzlich kosten dürfte, Deutschland klimaneutral umzurüsten. Dies | |
entspricht etwa 3 Prozent der jetzigen Wirtschaftsleistung, wären also auch | |
mindestens 3 Prozent unserer derzeitigen CO2-Emissionen. Bis 2035 | |
hochgerechnet bedeutet dies: 360 Millionen Tonnen CO2 müssen wir für die | |
klimaneutrale Infrastruktur reservieren. Dies sind 8,6 Prozent von jenen | |
4.200 Millionen Tonnen, die wir überhaupt noch ausstoßen dürfen. | |
8,6 Prozent klingen vielleicht harmlos. Sie sind es aber nicht. Es wäre | |
schmerzhaft, weitere 360 Millionen Tonnen CO2 irgendwie einzusparen, damit | |
die klimaneutrale Infrastruktur nicht die Klimabilanz ruiniert. Um die | |
Größenordnung zu verdeutlichen: Eine Stunde Streamen im WLAN produziert 2 | |
Gramm CO2. Es würde also nicht viel bringen, wenn sich die Deutschen | |
plötzlich eine Internetdiät auferlegen würden, damit die Windparks | |
klimaneutral errichtet werden können. | |
Dies ist kein Argument gegen die Klimawende. Wir müssen unbedingt | |
Windparks, Solarpaneele und grüne Stahlwerke bauen. Aber das 1,5-Grad-Ziel | |
werden wir nicht mehr erreichen – auch weil die grüne Infrastruktur nicht | |
ohne zusätzliche CO2-Emissionen zu haben ist. | |
## Irgendwann werden die Windstandorte knapp | |
Gänzlich ungeklärt ist zudem die Frage, inwieweit die Ökoenergie reichen | |
wird, um die bisherige Wirtschaftsstruktur zu befeuern. Denn Windräder und | |
Solarpaneele lassen sich in Deutschland nicht beliebig vermehren; | |
irgendwann werden die geeigneten Standorte knapp. Theoretisch wäre es | |
natürlich denkbar, dass man zusätzlich noch klimaneutralen Wasserstoff | |
importiert, der in Gegenden produziert wurde, wo mehr Wind weht oder die | |
Sonne stärker strahlt. Also aus Marokko, Norwegen, Island oder Chile. | |
Aber auch dieser Ansatz hat seine Grenzen, denn der grüne Wasserstoff wäre | |
ja nicht gratis zu haben. Das Wuppertal Institut nimmt in seinen Szenarien | |
an, dass wir künftig für den importierten Wasserstoff genauso viel bezahlen | |
werden wie bisher für Öl, Gas und Kohle. Allerdings wären die Energiemengen | |
geringer. | |
Das Wuppertal Institut geht daher davon aus, dass der Endenergiebedarf in | |
Deutschland bis 2050 um 36 bis 58 Prozent sinken muss. Das ist sportlich, | |
aber machbar, wie die vergangenen 30 Jahre zeigen. Von 1990 bis 2017 ist | |
die Energieeffizienz der deutschen Wirtschaft um 54 Prozent gestiegen. | |
Allerdings lauert da eine Tücke: Obwohl die Energieeffizienz seit 1990 | |
enorm zugelegt hat, ist der Endenergieverbrauch in Deutschland nur um ganze | |
1,5 Prozent gesunken. Denn in der gleichen Zeit ist die Wirtschaft rasant | |
gewachsen – um knapp 50 Prozent. Dieses Phänomen nennt sich „Rebound | |
Effekt“. Wenn weniger Rohstoffe pro Wareneinheit benötigt werden, dann wird | |
diese Ersparnis gern genutzt, um mehr Güter zu konsumieren. Die Autos | |
werden schwerer, die Flugreisen zahlreicher, die Wohnungen größer. | |
## Grünes Schrumpfen statt grünes Wachstum | |
Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die verbrauchte Endenergie sinkt bis 2050 | |
nur, wenn die Wirtschaftsleistung ab sofort stagniert – und zwar für immer. | |
Für „Grünes Wachstum“ reicht die Ökoenergie nicht. Punkt. | |
In Wahrheit benötigen wir sogar ein „grünes Schrumpfen“: Die konsumierten | |
Mengen müssen sinken, sonst wird es nichts mit der Klimaneutralität. | |
Zwischen den Zeilen ist dies auch beim Wuppertal Institut zu erkennen. So | |
sollen unter anderem die Zahl der privaten Autos in Deutschland halbiert | |
werden, die Inlandsflüge ganz entfallen und nur noch jeder vierte | |
internationale Flug abheben. Diese Maßnahmen sind zweifellos zwingend, | |
würden aber die Wirtschaftsleistung reduzieren. | |
Einen stagnierenden oder gar schrumpfenden Kapitalismus gab es noch nie. Es | |
kam immer wieder zu Krisen, das ja. Aber jede noch so schwere Rezession | |
wurde überwunden, indem man auf Wachstum setzte. Wie der Kapitalismus | |
stabil bleiben soll, wenn Wachstum ausgeschlossen ist – das weiß keiner und | |
hat auch noch niemand genau berechnet. Dies wäre eine Aufgabe für die | |
[3][Volkswirte, die das Thema Klimakrise aber hartnäckig ignorieren]. | |
Ein weiteres tückisches Thema ist das Geld. Momentan verfügen die Deutschen | |
über ein Finanzvermögen von etwa 6,55 Billionen Euro. Hinzu kommen | |
Sachwerte von etwa 20,8 Billionen. Das meiste sind Wohnbauten (9,8 | |
Billionen) und Gewerbeimmobilien (7 Billionen). | |
## Vermögen schmilzt wie das Polareis | |
Der Wert von Aktien oder Häusern hängt von der Rendite ab. Wenn nun aber | |
die Wirtschaft stagniert oder gar schrumpft, dann fallen auch die Gewinne, | |
und viele Firmen gehen gänzlich pleite. Klimaschutz bedeutet also, dass die | |
Vermögenswerte dahinschmelzen wie heute das Polareis. Es würde jeden | |
treffen, nicht nur Millionäre. Auch die stinknormale Lebensversicherung | |
könnte nicht mehr zurückzahlen, was einst an Prämien eingezahlt wurde. | |
Klimaschutz ist dringend und niemand würde hungern. Aber es wäre ein | |
anderes Leben. Es würden nicht nur Windräder aufgestellt und Wärmedämmungen | |
eingebaut – es wäre eine völlig neue Wirtschaftsordnung, für die bisher | |
niemand ein praktikables Modell hat. | |
Das Wuppertal Institut kennt die Grenzen der eigenen Studie, benennt sie | |
aber nirgends deutlich. Stattdessen heißt es verschwiemelt, man wolle | |
„Denkanstöße“ liefern. Diese methodischen Hinweise sind jedoch so verstec… | |
untergebracht, dass sie – verständlicherweise – von Fridays for Future | |
übersehen wurden. Die SchülerInnen glauben daher, sie hielten jetzt eine | |
„Machbarkeitsstudie“ in ihren Händen, wie es auf ihrer Homepage heißt. | |
Doch „machbar“ ist bisher gar nichts, weil das Wuppertal Institut ja nur | |
technische Vorschläge geliefert hat. Sie sind zudem unvollständig, da glatt | |
übersehen wurde, dass der Bau der neuen klimaneutralen Infrastruktur selbst | |
erhebliches CO2 emittiert. | |
## Wer trägt die Lasten? | |
Aber das Hauptproblem aller Studien ist, dass genau jene Fragen nirgendwo | |
auftauchen, die für die Politik zentral sind: Was wird aus Arbeitsplätzen, | |
was aus Einkommen und Vermögen, wenn die Wirtschaft stagniert oder | |
schrumpft? Wer trägt welche Lasten? | |
Es ist nicht harmlos, dass das Wuppertal Institut Fridays for Future in die | |
Irre führt. Da die SchülerInnen glauben, sie hätten eine | |
„Machbarkeitsstudie“ erhalten, werden sie nun erst recht nicht verstehen, | |
warum die Politik nicht genug macht. Eine ganze Generation von SchülerInnen | |
wird so in die Politikverdrossenheit getrieben. | |
Dabei sind die SchülerInnen eigentlich schon auf der richtigen Fährte. Sie | |
arbeiten mit den Gewerkschaften zusammen oder entwickeln Konzepte, wie man | |
Energiesteuern gerecht erheben könnte. Aber bisher fehlt die | |
makroökonomische Analyse. Wie schön wäre es daher, wenn die GLS-Bank noch | |
einmal 30.000 Euro spendieren würde – für eine Studie, die die Ergebnisse | |
aus Wuppertal mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbindet. | |
17 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-zu-deutschen-CO2-Emissionen/!5719605 | |
[2] /Eckpunktepapier-von-Fridays-for-Future/!5717522 | |
[3] /Wirtschaftswissenschaften-und-Oekologie/!5717218 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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