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# taz.de -- Kommunalwahl in Thüringen: Verfassungsfeinde auf Wahlzetteln
> In Thüringen tritt Neonazi Tommy Frenck bei der Landratswahl in
> Hildburghausen an, offiziell zugelassen. Wie wehrhaft ist die Demokratie
> im Kommunalen?
Bild: Ist trotz Verfassungsfeindlichkeit bei der Kommunalwahl wählbar: Neonazi…
Hildburghausen/Berlin taz | Neulich gab es in Hildburghausen mal wieder
Grund zum Feiern. Gemeinsam hatten Bürgerinnen und Bürger einen Spielplatz
aus dem Boden ihrer Kreisstadt gestampft und so bei einem
Verschönerungswettbewerb des MDR gewonnen. [1][Der Sender spendierte zur
Belohnung eine Schlagerparty auf dem Marktplatz]: Semino Rossi, Karat oder
Olaf von den Flippers, sie alle kamen in den Süden Thüringens. Und das
Zentrum Hildburghausens war proppevoll.
Allerdings hatte die Feierszenerie einen Schönheitsfehler, jedenfalls wenn
man ihn sehen wollte: Von den Lichtmasten aus allen Ecken des Marktplatzes
strahlte das Gesicht von [2][Tommy Frenck], einem bundesweit bekannten
Neonazi, mit dem Schlagerpublikum um die Wette. Auch im Fernsehen waren
seine Wahlplakate gut zu erkennen.
Am Sonntag finden in Thüringen Kommunalwahlen statt. In Städten, Gemeinde
und Landkreisen werden an diesem Tag die lokalen Parlamente neu besetzt,
auch die meisten Oberbürgermeister und Landräte stehen zur Wahl. In
Hildburghausen ist dabei vor allem einer präsent: Die Plakate mit dem
grinsenden Gesicht von Tommy Frenck oder die seiner rechtsextremen
Wählergemeinschaft „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) sind im
Kleinstadtbild an vielen Ecken auf beklemmende Weise dominant. [3][Während
die Wahl des ersten AfD-Landrates im benachbarten Landkreis Sonneberg im
vergangenen Jahr eine Schockwelle in Deutschland auslöste], diskutiert man
in Hildburghausen nun sogar ernsthaft, ob es dort ein Neonazi zumindest in
die Stichwahl schaffen könnte. Andere dagegen fragen sich, warum man
Frencks Kandidatur nicht bereits im Vorfeld unterbunden hat.
Auch wenn es auf kommunaler Ebene für gewöhnlich keine Wahlumfragen gibt,
ist das mit der Stichwahl-Prognose nicht weit hergeholt. [4][Bei der
vergangenen Landratswahl im Jahr 2018 holte Frenck bereits aus dem Nichts
knapp 17 Prozent]. Der amtierende CDU-Landrat, der die Wahl damals im
ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewann, darf dieses Jahr
altersbedingt nicht erneut antreten, die Karten werden also neu gemischt.
Umso mehr, als die AfD, die bei der vergangenen Bundestagswahl mit knapp 29
Prozent die meisten Stimmen im Landkreis errang, gar nicht erst ins Rennen
mit einsteigt. Man habe keinen Kandidaten finden können, [5][sagte die
Partei der lokalen Presse].
## Schnitzel für 8,88 Euro
Dass [6][Frenck es tatsächlich in die Stichwahl] schafft, hält auch Thomas
Jakob für „realistisch“, der SPD-Kreisvorsitzende und Sprecher vom Bündnis
für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra. Der Verein gründete sich
2015 als zivilgesellschaftlicher Gegenpol, kurz nachdem Frenck einen
Gasthof im Dorf Kloster Veßra gekauft hatte. Bis heute betreibt er diesen
unter den Namen „Goldener Löwe“ als Gastwirt. Es ist ein Pilgerort für die
rechte Szene Deutschlands.
Vor der Wahlzulassung von Frenck hatte das Bündnis von Thomas Jakob
[7][zusammen mit dem Kampagnennetzwerk Campact erfolgreich eine Petition
initiiert], die den bisherigen Landrat aufforderte, dem Kreiswahlausschuss
Verfassungsschutzinformationen auszuhändigen, um eine „sachgerechte“
Entscheidung über die Kandidatur des 37-Jährigen zu ermöglichen. Mehr als
8.000 Unterschriften kamen zusammen.
Tatsächlich erhielt der Wahlausschuss am Ende ein siebenseitiges Dossier,
es wurde den Mitgliedern allerdings erst kurz vor der Abstimmung in der
öffentlichen Sitzung überreicht. Am Ende setzte sich der Ausschuss mit drei
zu zwei Stimmen über die Bedenken hinweg. „Erschrocken“ über das Ergebnis
sei er gewesen, sagt Bernd Ahnicke. Der 77-jährige Rentner sitzt im
Hildburghäuser Kreisvorstand der Linken und stimmte im Wahlausschuss gegen
Frenck. Das grüne Licht für die Kandidatur durch zwei CDU-Leute plus den
Kreiswahlleiter kann sich Ahnicke nur damit erklären, dass diese immer noch
„nicht gewusst haben, wen sie vor sich haben“.
Selbst von außen betrachtet ist das kaum zu glauben. Immer wieder sorgte
Frenck auch überregional für Schlagzeilen, sei es als Veranstalter des
größten Rechtsrock-Festivals in Deutschland oder weil er im „Goldenen
Löwen“ am Geburtstag von Adolf Hitler seine [8][Schnitzel für 8,88 Euro
verkaufte –] die 88 ist ein Szenecode für „Heil Hitler“, bezogen auf den
achten Buchstaben des Alphabets. Aus seinem rassistischen Weltbild macht
Frenck keinen Hehl, an seinem Hals prangt in Großbuchstaben ein
„Aryan“-Tattoo. In seinem Versandhandel, den er zusätzlich betreibt, bietet
er neben szenetypischer Kleidung und Stichwaffen auch
Ku-Klux-Klan-Kuscheltiere an. Mitunter wirkt es wie eine schlechte
Nazi-Persiflage, um Aufmerksamkeit zu generieren.
„Ich habe die Sorge, dass längst eine Gewöhnung im Landkreis eingetreten
ist“, sagt Thomas Jakob. Frenck sitzt seit den vergangenen Kommunalwahlen
bereits im Kreistag, ohne dort groß in Szene getreten zu sein. Der
Thüringer Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht 2022 zu Frenck, dass
dieser sich „überwiegend als Regionalpolitiker, Unternehmer, Gastwirt und
Wohltäter“ präsentiert. Jakobs Eindruck ist: „Viele hier denken: Na ja, so
ist er halt, der Tommy.“ Für ihn hätte Frenck nicht zur Wahl zugelassen
werden dürfen. Jakob verweist auf einen Passus im Thüringer
Kommunalwahlgesetz, der es Kandidaten verbietet, Landrat zu werden, wenn
sie nicht für die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung
eintreten. „Es geht halt nicht.“
## Ist der Wahlausschuss das richtige Gremium?
Sven Gregor von den Freien Wählern, der in Hildburghausen als Mitfavorit
für den neuen Landratsposten gilt, betont einen anderen Punkt: Er halte es
für verkehrt, so eine Entscheidung einem ehrenamtlichen Gremium auf
kommunaler Ebene aufzubürden. „Hier sitzen die Leute in einer öffentlichen
Sitzung und stehen hinterher mit ihren Namen in der Zeitung.“
Dass die Präsenz von Frenck während der Sitzung des Wahlausschusses manchen
der Beisitzer nervös gemacht haben könnte, mag auch der Linke Bernd Ahnicke
nicht ausschließen. Oder die Befürchtung, dass Frenck gegen die
Entscheidung klagen würde und die Wahl später wiederholt werden müsste.
Doch wie sollte eine Demokratie mit offensichtlichen Verfassungsfeinden
umgehen? Fragt man das Michael Brenner, Professor für Verfassungs- und
Verwaltungsrecht an der Universität Jena, hat er eine klare Antwort: „Sie
sollte Extremisten die [9][zulässigen und verfassungsmäßigen Zähne
zeigen.]“ Dazu gehörten auch Nichtzulassungen bei Wahlen, so Brenner.
„Beschränkungen des Wahlrechts sind durchaus zulässig, wenn sie durch
hinreichende Gründe des öffentlichen Wohls gefordert sind.“ Dabei genüge es
aber nicht, dass sich jemand kritisch zur Gesellschaftsordnung äußert oder
zu einer rechtsextremen Partei gehört. „Da muss sehr viel hinzukommen.“
Brenner plädiert für genaue Prüfungen der Wahlzulassungen. Der
Wahlausschuss könne das unter den aktuellen Umständen tatsächlich nur
oberflächlich leisten. Bei einer schnellen Prüfung während der Sitzung
durch die Beigeordneten könnten diese nur bei „belegten und ganz massiven
Vorwürfen der Verfassungswidrigkeit eingreifen“, sagt Brenner. Wehren sich
ausgeschlossene Kandatat:innen juristisch, sei der Zeitdruck hoch –
etwa um die Fristen für das Drucken der Wahlzettel einzuhalten. Und woran
die Verfassungsfeindlichkeit konkret festgemacht werden soll, formuliert
das Gesetz nicht.
## Diskussion auch um Zulassung von Thüringer AfD-Chef
Das führt auch bei anderen Thüringer Kandidaten zu Diskussionen. So etwa in
Erfurt. Dort tritt der [10][AfD-Politiker Stefan Möller] für den
Oberbürgermeisterposten an. Wie in Hildburghausen gab es im Wahlausschuss
drei Stimmen für und zwei gegen ihn. Möller ist neben Björn Höcke der
zweite Landesvorsitzende der AfD Thüringen, sitzt ebenfalls im Landtag und
ist Vorsitzender der Erfurter AfD-Stadtratsfraktion. Und wie Frenck taucht
auch Möller [11][im aktuellen Verfassungsschutzbericht] auf.
Das dürfte dem Erfurter Wahlausschuss bekannt gewesen sein. Dem hatte der
Thüringer Verfassungsschutz 36 Seiten seiner Erkenntnisse zu Möller
geliefert. Die grüne Innenpolitikerin Madeleine Henfling kritisiert auch
deshalb die Zulassung Möllers: „Wenn der Verfassungsschutz 36 Seiten
liefert, steht da nicht drin, dass Herr Möller nichts gemacht hat.“
Am Ende war im Erfurter Wahlausschuss entscheidend, dass auch der
Beigeordnete der SPD für Möller stimmte. Linke und CDU stimmten dagegen.
Auf Instagram verteidigt der SPD-Stadtverband die Entscheidung: Ein
möglicher Rechtsstreit hätte zugunsten der AfD ausgehen können. So habe die
SPD verhindert, dass die AfD „sich selbst als vermeintliches Opfer
staatlicher Willkür“ darstellen konnte. Unter dem Post sammelte sich
Kritik, selbst aus der eigenen Partei.
Mittlerweile hat die SPD Erfurt den Beitrag gelöscht. In einem neuen
argumentiert sie, dass allein die Zugehörigkeit zu einer rechtsextremen
Partei nicht genüge. Dem hält [12][Stephan Kramer, Präsident des
Verfassungsschutzes in Thüringen] und selbst SPD-Mitglied, von seinem
privaten Account entgegen: „Der Kandidat wird schon im
Verfassungsschutzbericht 2021 namentlich im Kapitel Rechtsextremismus
erwähnt. Wenn das nicht für den Nachweis der ‚individuellen
Verfassungsfeindlichkeit‘ reicht, was dann?“
Könnte Möller nun Oberbürgermeister der Landeshauptstadt werden? Zwar
bekam der 49-Jährige als AfD-Kandidat bei der vergangenen Wahl in Erfurt
nur 14 Prozent. Aber in diesem Jahr, in dem die AfD bei rund 30 Prozent in
Umfragen für die Landtagswahl liegt, könnte es besser für ihn ausgehen.
Doch selbst wenn Extremist:innen gewählt würden, könne sich der
Rechtsstaat noch gegen sie verteidigen, beruhigt Verwaltungsrechtler
Brenner. „Unsere Gesellschaft ist durchaus abwehrbereit gegenüber
Verfassungsfeinden.“ Als gewählte politische Beamte sind
Bürgermeister:innen und Landräte ebenfalls an die Verfassung gebunden.
Nach ihrer Wahl kann die Verwaltung sie einem „Demokratie-Check“
unterziehen. Fallen sie durch, muss neu gewählt werden. Im Zweifel sei das
der rechtssichere Weg, sagt Brenner. Anders als beim Wahlausschuss stünde
das weniger unter Zeitdruck und ermögliche mehr Ressourcen.
Zu einer Normalisierung trage der Weg trotzdem bei, warnt die Grüne
Madeleine Henfling. Die Verfassungsfeinde könnten so schon im Wahlkampf
ihre Propaganda und Ideologie verbreiten – wie derzeit Tommy Frenck mit
seinen Plakaten in Hildburghausen.
24 May 2024
## LINKS
[1] https://www.mdr.de/unternehmen/mittendrin/mittendrin-hildburghausen-fruehli…
[2] /Tommy-Frenck-bei-Buergermeisterwahl/!5860503
[3] /AfD-stellt-erstmals-Landrat/!5942885
[4] https://wahlen.thueringen.de/datenbank/wahl1/wahl.asp?wahlart=LR&wJahr=…
[5] https://www.insuedthueringen.de/inhalt.wahlen-im-kreis-hildburghausen-afd-s…
[6] /Tommy-Frenck-bei-Buergermeisterwahl/!5860503
[7] https://weact.campact.de/petitions/tommy-frenck-stoppen-ein-rechtsextremist…
[8] /Linker-Verein-gegen-Naziklamotten/!5965888
[9] https://verfassungsblog.de/scharfes-schwert-oder-bloses-gesetzeslametta/
[10] /Neurechter-Jubel-ueber-Thueringen/!5662239
[11] https://verfassungsschutz.thueringen.de/fileadmin/Verfassungsschutz/VSB_20…
[12] /Thueringer-Untersuchungsausschuss/!5965503
## AUTOREN
Marvin Kalwa
David Muschenich
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