# taz.de -- Urteil des OVG Münster: AfD wird den Verdacht nicht los | |
> Der Verfassungsschutz darf die AfD nach einem Gerichtsurteil weiter als | |
> rechtsextremen Verdachtsfall einstufen. Nun folgt der nächste Schritt. | |
Bild: Roman Reusch, Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, und Peter Boehringer, … | |
MÜNSTER taz | Richter Gerald Buck brachte es am Ende auf ein praktisches | |
Bild: „Die Polizei darf eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder | |
vernehmbar Alarm gibt, man also einen Brand vermuten muss, und niemand | |
öffnet“, sagte er. Stelle sich dann heraus, dass es sich nur um einen | |
Fehlalarm handele, ändere das am Verdachtsmoment nichts – „die Polizei hat | |
dann aber die Wohnung wieder zu verlassen“, so Buck, Vorsitzender Richter | |
des 5. Senats am Oberverwaltungsgericht Münster | |
[1][In dem riesigen Verfahren mit Tausenden Aktenseiten und Hunderten | |
Schriftsätzen] ging es darum, ob der tatsächliche Verdacht besteht, dass | |
die AfD die Demokratie anzünden will. Und dafür sieht das | |
Oberverwaltungsgericht wie bereits schon das Verwaltungsgericht Köln 2022 | |
ausreichende Anhaltspunkte: Der Senat hat am Montag die Klage der AfD gegen | |
ihre Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) | |
zurückgewiesen. | |
Heißt: Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall | |
beobachten und die Öffentlichkeit darüber informieren. Das Gleiche gilt für | |
die Junge Alternative und den sogar als [2][gesichert rechtsextrem | |
eingestuften], mittlerweile aufgelösten „Flügel“ der Partei. Eine Revision | |
hat der Senat nicht zugelassen, die AfD will dagegen Beschwerde beim | |
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. Das Urteil ist noch nicht | |
rechtskräftig. | |
Das Verfahren ist für die AfD gewissermaßen existenziell: Nach dem Urteil | |
könnte nun bald der nächste Schritt folgen: Die Hochstufung zu einer | |
gesichert rechtsextremistischen Bestrebung, in dessen Folge ein | |
Verbotsverfahren oder restriktive Maßnahmen wie die Streichung der | |
staatlichen Parteienfinanzierung folgen. Die AfD will entsprechend gegen | |
das Urteil vorgehen. | |
## Inhaltliche Prüfung des Urteils nicht mehr möglich | |
Das Oberverwaltungsgericht in Münster war dabei die letzte | |
Tatsacheninstanz, bei der die Streitparteien neue Beweismittel ins | |
Verfahren einbringen konnten. Bei einer möglichen Revision am | |
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kann die AfD das Urteil nur auf | |
Rechtsfehler prüfen lassen – wenn sie denn dort mit einer | |
Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich wäre. | |
Zur [3][Begründung führte das Gericht aus]: „Nach Überzeugung des Senats | |
liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD | |
Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter | |
Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.“ Es | |
bestehe der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen | |
jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen | |
Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich | |
abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stelle eine nach dem Grundgesetz | |
unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, im Widerspruch mit | |
der Menschenwürdegarantie. | |
Richter Buck führte aus, dass Parteien in der Demokratie zwar besondere | |
Privilegien genießen, aber „Parteienfreiheit darf nicht missbraucht werden | |
zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. | |
Verfassungsfeinde dürften nicht den Schutz der freiheitlichen Demokratie | |
nutzen, um diese zu zerstören. | |
Der Schutz erschöpfe sich nicht darin, ein Parteienverbot oder den | |
Ausschluss der Finanzierung vorzunehmen – auch die Beobachtung sei Teil | |
davon. Die Öffentlichkeit müsse in die Lage versetzt werden, Art und Ausmaß | |
der Gefahr zu erkennen und entgegenzuwirken. Und auch hier metapherte Buck: | |
„Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger“, sagte er, sie sei | |
aufmerksamkeits- und durchsetzungsstark – aber er verwies auch auf die | |
Hürden bei weiteren Schritten: Der Tiger beiße „nur im nötigsten Fall zu | |
und lässt sich nicht zu schnell provozieren“. | |
## Gesetz sieht keine politischen Motive bei Beobachtung | |
Mit dem Urteil widerlegt nun auch das zweite Gericht die AfD-Erzählung vom | |
instrumentalisierten Verfassungsschutz: Richter Buck führte aus, dass das | |
Bundesamt seinem Auftrag nachkomme im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes. | |
Politische oder sachwidrige Motive des Geheimdienstes lägen nicht vor. | |
Die AfD hatte während des Prozesses immer wieder behauptet, dass es sich | |
bei den vom Verfassungsschutz gesammelten Aussagen nur um Einzelfälle und | |
einzelne Entgleisungen handele, [4][AfD-Bundesvorstand Reusch] verharmloste | |
die über tausend Seiten umfassende Zitatesammlung namhafter Funktionäre als | |
„Blech“ von Einzelpersonen. Buck sagte: „Wenn aber Personen, die solche | |
Äußerungen tätigen, in herausgehobene Funktionen gewählt werden, wird ihnen | |
parteiintern erkennbar Zustimmung gezeigt.“ Europawahl-Spitzenkandidat | |
Maximilian Krah, zuletzt auch im Fokus wegen [5][Korruptions- und | |
Spionageverdachts], taucht etwa aufgrund einer Vielzahl rassistischer | |
Äußerungen in den Gutachten des Verfassungsschutzes auf. | |
Auch gebe es laut Senat Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen | |
– wenn auch nicht in der Weite und Dichte wie vom Verfassungsschutz | |
angenommen, sagte der Richter. Tatsächlich hatte das Gericht in der | |
Verhandlung angedeutet, dass nicht jeder polemische Diktaturvergleich | |
gleich außerhalb des Verfassungsbogens liegen müsse. Der Geheimdienst hatte | |
etwa AfD-Äußerungen zur vermeintlichen „Corona-Diktatur“ angeführt, um | |
antidemokratische Bestrebungen zu attestieren. | |
Standhalten hingegen dürften aus Sicht des Gerichts wohl Aussagen wie die | |
des Brandenburger Abgeordneten Lars Hünich, der unumwunden die „Abschaffung | |
der Parteienstaates“ forderte oder Aufrufe zum Bürgerkrieg, wie man sie aus | |
AfD-Chat-Gruppen kennt. Näheres will das Gericht auch in den schriftlichen | |
Urteilsgründen ausführen. | |
## Hausaufgaben für Verfassungsschutz | |
Denn das Gericht betonte ausdrücklich, dass es lediglich über die | |
Einstufung als Verdachtsfall entschieden habe. Daraus leite sich keine | |
Automatismus ab für eine Einordnung als „erwiesen extremistische | |
Bestrebung“ ab – dafür bedürfe es mehr, Näheres wolle man im schriftlich… | |
Urteil darlegen. | |
Richter Buck gab dem Bundesamt aber gewissermaßen Hausaufgaben mit auf den | |
Weg: Das Bundesamt müsse nun weiter prüfen. Um im Bild zu bleiben, sagte | |
er: „Der Rauchmelder des Verfassungsschutzes schrillt, ist das ein Brand | |
oder nur Rauch um nichts? Das zu erhellen, ist Aufgabe des | |
Verfassungsschutzes.“ | |
Die AfD hat sich offenbar entschlossen, den schrillen Alarm der Rauchmelder | |
auch weiterhin zu ignorieren. AfD-Bundesvorstand Roman Reusch, selbst | |
ehemaliger Staatsanwalt, sowie Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordneter | |
[6][Peter Boehringer] zeigten nach der deutlichen Schlappe auf allen Ebenen | |
nicht den Hauch von Demut oder Selbstkritik. Was es stattdessen gab: | |
weitere Opferinszenierung. „Diese Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen | |
und nur durchgekommen, weil sich das Gericht einer Beweisaufnahme | |
verweigert hat“, sagte Reusch. | |
Die AfD fuhr während des Prozesses eine maximale Verzögerungstaktik, | |
stellte teils hanebüchene gleichlautende Beweisanträge, die sie immer | |
wieder wörtlich diktierte – bis das Gericht die AfD-Anwälte anhielt, diese | |
schriftlich einzureichen. Das Gericht lehnte über 470 Beweisanträge der AfD | |
ab – teils als „unerheblich“, teils als „Ausforschungsanträge“ gegen… | |
Verfassungsschutz. Ähnlich lief es bei der Zurückweisung vielfacher | |
Befangenheitsanträge als [7][„rechtsmissbräuchlich]“. | |
## Sonnige Laune bei Verfassungsschutzpräsident | |
Auch Bundesvorstand Peter Boehringer, selbst bekannt für problematische | |
Äußerungen, hörte keinen Rauchmelder. Er beklagte trotz des zähen | |
Prozesses, der langen Leine des Vorsitzenden Richters und der vielfachen | |
Gelegenheit zur rechtlichen Stellungnahme: „Es wurde zu kurzer Prozess | |
gemacht, wir hatten keine Chance auf faire Darstellung der Gegenargumente.“ | |
Die Argumentationstaktik der AfD vor Gericht war eher stammtischerprobt als | |
juristisch stichhaltig: Sie lässt sich eindampfen auf: das bisschen | |
Rassismus. Und überhaupt: Ich kann ja kein Rassist sein, ich habe selbst | |
Freunde mit Migrationshintergrund. Die Partei hatte im Prozess | |
AfD-Mitglieder mit Migrationshintergrund mitgebracht, die darüber berichten | |
sollten, wie wenig rassistisch die Partei sei. Mehrere dieser Zeug*innen | |
hörte das Gericht an, nicht zur Sprache kam dabei, wie wenig Zulauf | |
Feigenblatt-Organisationen wie „Juden in der AfD“ oder „mit | |
Migrationshintergrund für Deutschland“ haben. Am Ende fand das Gericht die | |
Vielzahl rassistischer Äußerungen mächtiger und hochrangiger | |
AfD-Funktionäre für glaubhafter. | |
Der Verfassungsschutz dürfte unterdessen am Montag zahlreiche weitere | |
Belege gefunden haben für Bestrebungen gegen den Rechtsstaat: Denn auf den | |
Social-Media-Kanälen der AfD wurde ordentlich gezündelt – demütige Töne g… | |
es nicht, dafür aber jede Menge Angriffe auf den Rechtsstaat: Beatrix von | |
Storch sprach von einem „Unrechtsurteil“, der Landesvorsitzende | |
Sachsen-Anhalt Martin Reichardt von „hörigen Richtern“, ebenso gab es | |
DDR-Vergleiche und die Rede von einer „Verhandlungssimulation“. Der | |
Bundestagsabgeordnete René Springer sagte: „Wir werden keinen Millimeter | |
weichen!“ | |
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zeigte sich am Montag gut | |
gelaunt, als er am Mittag unter freiem Himmel vor dem Sitz des Bundesamts | |
für Verfassungsschutz in Köln ein Statement abgab: „Die Sonne lacht über | |
Köln, die Sonne lacht über Münster, die Sonne lacht für unsere | |
freiheitlich-demokratische Grundordnung“, sagte er. | |
Man habe auf ganzer Linie obsiegt, das Gericht habe sich Zeit genommen, um | |
alle Argumente zu hören und abzuwägen, anderthalb Jahre habe man seine | |
Haltung konsequent dargelegt, Tausende Seiten und Schriftsätze vorgelegt, | |
an sieben Verhandlungstagen intensiv gestritten. Nun werde man wie üblich | |
in einem ergebnisoffenen Prüfprozess, in den auch die schriftlichen | |
Urteilsgründe des OVG einfließen werden, zu gegebener Zeit zu einer | |
weiteren Bewertung der AfD kommen. | |
13 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-Prozess-in-Muenster/!6006209 | |
[2] /AfD-Fluegel-ist-rechtsextrem/!5667641 | |
[3] https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/23_240513/index.p… | |
[4] /Justizpersonal-in-Berlin/!5297885 | |
[5] /Nach-Spionagevorwuerfen-gegen-Mitarbeiter/!6009311 | |
[6] /Peter-Boehringer-poebelt-gegen-Merkel/!5481298 | |
[7] /Vertagter-AfD-Prozess/!5998358 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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Götz Kubitschek | |
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