| # taz.de -- Kriminologe über Polizeischüsse: „Fehlerhaftes polizeiliches Ha… | |
| > Der von Polizisten erschossene Lamin Touray war in einer psychischen | |
| > Krise. Warum greift die Polizei bei psychisch Kranken so schnell zur | |
| > Waffe? | |
| Bild: In Nienburg starb Lamin Touray durch Schüsse der Polizei. Acht Projektil… | |
| taz: Herr Feltes, nach allem, was wir wissen, befand sich Lamin Touray in | |
| einem psychischen Krisenzustand, als Polizist*innen ihn [1][am | |
| Osterwochenende in Nienburg erschossen]. Das trifft auf die meisten in | |
| Deutschland von der Polizei getöteten zu. Warum? | |
| Thomas Feltes: Leider haben wir keine genauen Zahlen. Viele Bundesländer | |
| erheben nicht mal, [2][wie viele Menschen durch ihre Landespolizei wie und | |
| warum getötet werden]. Ich schätze, dass zwei Drittel der Polizeitoten in | |
| einer psychischen Krise waren, als sie getötet wurden. Eigentlich ist es | |
| bei all diesen Fällen immer der gleiche Ablauf. | |
| Wie ist der Ablauf? | |
| Die Fehler bei diesen Einsätzen werden am Anfang gemacht. Zum Beispiel, | |
| indem Polizei und Rettungssanitäter sich nicht absprechen. Hinterher ist es | |
| oft so, dass tatsächlich eine Notwehrlage besteht, dass die Person etwa mit | |
| einem Messer auf die Beamten losgeht oder anderweitig Widerstand leistet. | |
| Das ist fast immer ein Ergebnis fehlerhaften polizeilichen Handelns. | |
| Welche Fehler meinen Sie? | |
| Wenn Rettungssanitäter oder Notärzte zuerst bei dem Betroffenen sind, | |
| eskalieren die Einsätze deutlich seltener. Wenn sich aber Polizisten in | |
| Uniform nähern, fühlen sich die Menschen bedroht. Wird Pfefferspray | |
| eingesetzt, eskaliert es schnell. Der Betroffene versteht nicht, was | |
| passiert. Er merkt nur, dass er angegriffen wird. | |
| Warum kann die Polizei so schlecht auf psychisch Kranke reagieren? | |
| Für die meisten Beamten liegt die Ausbildung lange zurück. Da wurde das | |
| Thema nur kurz in Psychologie und eher am Rande behandelt. Das hat sich | |
| zwar mittlerweile verändert, aber es fehlt an praktischen Übungen, auch im | |
| Rahmen der Fortbildung. Ein anderer Grund ist, dass die Situationen oft | |
| dynamisch sind und die Beamten überfordern. Polizisten wollen ein Problem | |
| möglichst schnell und umfassend erledigen. Das ist ein Grundproblem | |
| Wie sollte die Polizei stattdessen vorgehen? | |
| Man braucht zwei Faktoren: Zeit und Distanz. Als Polizist muss ich Abstand | |
| zu der Person halten und Zeit gewinnen, um selbst oder über andere mit dem | |
| Menschen Kontakt aufzunehmen. In der Literatur nennt man das „talk down“, | |
| also jemanden „herunterreden“, mit dem Ziel, dass er die akute psychische | |
| Verfasstheit überwindet. Aber das, was die Polizei macht, ist das genaue | |
| Gegenteil: Sie geht auf ihn zu. | |
| Wie sinnvoll ist in so einer Situation der Einsatz von Pfefferspray oder | |
| Tasern – als milderes Mittel im Vergleich zur Schusswaffe? | |
| Absolut dysfunktional. Die Menschen im psychischen Ausnahmezustand sind zum | |
| Teil wie hinter einem Schleier, sie nehmen nicht wahr, dass Pfefferspray | |
| angedroht wird. Sie spüren entweder einen starken Schmerz durch den | |
| Tasereinsatz oder Atemnot durch den Pfefferspray-Einsatz und reagieren | |
| unkalkulierbar. | |
| Dann wird es gefährlich. | |
| Der Einsatz des Taser ist ohnehin gefährlich, weil die Menschen andere | |
| Krankheiten oder Leiden haben können und ohnehin schon so aufgeregt sind, | |
| dass es leicht zum Herzstillstand kommen kann. Beim Taser besteht außerdem | |
| das Problem, dass zwei Haken treffen müssen. Das ist gar nicht so leicht, | |
| wenn jemand in Bewegung ist. Wenn nur ein Haken trifft, verursacht das zwar | |
| starke Schmerzen, aber es bringt die Person nicht zu Fall. | |
| In Nienburg setzte die Polizei einen Hund ein. | |
| Polizeihunde machen oft einen aggressiven Eindruck und sind darauf | |
| ausgerichtet, Menschen zu attackieren. Das führt zur weiteren Eskalation. | |
| Aber ich möchte noch mal betonen: Die Fehler werden am Anfang gemacht. Die | |
| Polizei weigert sich fast immer, psychologische oder psychiatrische Hilfe | |
| oder Unterstützung durch besonders geschulte Beamte abzuwarten. Die | |
| Begründung lautet oft, es sei keine Zeit dafür – was Blödsinn ist. Es ist | |
| ja meist die Polizei selbst, die aus einer statischen Lage eine dynamische | |
| und damit nicht mehr beherrschbare Situation macht. | |
| In Nienburg waren 14 Polizist*innen beteiligt. Warum schaffen es so | |
| viele Menschen nicht, [3][einen Mann zu überwältigen, ohne zu schießen?] | |
| Grundsätzlich braucht man sechs bis acht Personen, um einen Menschen im | |
| psychischen Ausnahmezustand zu überwältigen. Mit der Angst und dem | |
| Adrenalin entwickeln die Betroffenen unglaubliche Kräfte. Wenn ein Messer | |
| im Spiel ist, gilt für Polizeibeamte der Grundsatz: sieben Meter Abstand. | |
| Oft unterschreiten Polizisten in der Hektik des Geschehens die Distanz. Es | |
| wäre besser, die Person in einer Ecke zu isolieren, sofern dies möglich | |
| ist, damit sie keine Gefahr für andere darstellt, bis das SEK mit | |
| Schutzschilden kommt oder ein Psychiater. | |
| In Nienburg hatte wohl die Frau des Betroffenen versucht, die Ambulanz zu | |
| rufen, aber stattdessen kam die Polizei. | |
| Rettungskräfte sind angewiesen, auf die Polizei zu warten, wenn eine Gefahr | |
| besteht. Diesen Grundsatz sollte man überdenken. Klar: Bei einer | |
| Messerstecherei können die Rettungskräfte nicht einfach dazwischengehen. Da | |
| muss man warten, bis die Polizei die Situation geklärt hat. Aber eine | |
| psychisch beeinträchtigte Person muss man zuerst als medizinischen Notfall | |
| betrachten und Hilfe leisten. | |
| Wenn dann doch geschossen wird – warum nicht auf die Beine? | |
| Die Beine zu treffen, wenn jemand in Bewegung ist, ist fast unmöglich. Ziel | |
| und rechtliche Voraussetzung des Schusswaffeneinsatzes ist es, eine akute | |
| Lebensgefahr abzuwenden. Mit anderen Worten: Wenn geschossen wird, muss ein | |
| wirksamer Treffer erfolgen, der den Angriff tatsächlich beenden kann. Es | |
| ergibt keinen Sinn, die Schusswaffe als nicht tödliche Waffe einzusetzen. | |
| Dafür ist sie untauglich. | |
| 9 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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