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# taz.de -- Die Metal-Szene der DDR: Mit Dezibel und Funkenflug
> Für Fans war es eine Flucht aus dem Alltag, düster war nicht nur die
> Musik. Das Museum in der Kulturbrauerei erinnert an „Heavy Metal in der
> DDR“.
Bild: Eine selbstgebaute Spielzeug-E-Gitarre der Bauform „Solid Guitar“ von…
Eine Gitarrendämmerung über einem Vulkangletscher, komplett mit Blitz und
Donner und einem Himmel in den Farben der Hölle, hat der Grafiker Thomas
Wilke für die Ostberliner Heavy-Metal-Band Formel 1 aufgehen lassen. Die
Szenerie bildet das Frontcover des Albums „Live im Stahlwerk“, das 1986
erschienen und jetzt eines der Exponate der Ausstellung „Heavy Metal in der
DDR“ im Museum in der Kulturbrauerei ist.
Der Natur der Sache gemäß hat Wilke keine schnöde Stromgitarre in das
Bildzentrum gerückt, sondern eine Gibson Flying V, eines der Insignien
[1][schwermetallischer Rockmusik]. Das Gitarrenmodell mit dem pfeilförmigen
Korpus wurde von [2][Jimi Hendrix] gespielt, bis zu dem sich Hard Rock und
der daraus hervorgegangene Heavy Metal zurückverfolgen lassen; vor Hendrix
spielten bereits die Bluesmusiker Lonnie Mack und Albert King das
Instrument. Blues, schlagen Sie nach bei Robert Johnson, ist Teufelsmusik.
Der alte Widersacher hat im Metal eine Ehrenloge. Mit Jugendkultur in der
DDR hat das einiges zu tun.
„Heavy Metal in der DDR“ ist eine sparsame, aber sehenswerte Ausstellung,
die für das eine oder andere Déjà-vu sorgt. Einige sind erfreulich, andere
nicht. Der Rundgang beginnt mit einer Wand, sie ist schwarz. Darauf wird
der Ausstellungstitel projiziert, das Lettering zitiert das Bandlogo der
frühen Metallica-Alben. Dann empfangen Biest, eine der bekanntesten Bands
des DDR-Metal, mit dem Video eines Konzerts. Auf einem Foto trägt ein
Besucher ein T-Shirt der zeitlos relevanten Punkband Dead Kennedys.
Hinter der Wand hängt ein Plakat des Jugendorganisation Freie Deutsche
Jugend (FDJ), darauf eine fröhliche Jugendliche im Blauhemd, über ihr der
Slogan „Meine Heimat – DDR“. Plakate wie dieses gehörten zum staatlichen
Bühnenbild. Es empfiehlt sich, begleitend die ebenfalls im Museum in der
Kulturbrauerei laufende Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ zu besuchen.
So unterschiedlich Erinnerungen auch notwendigerweise sind, gibt sie einen
Eindruck davon ab, wohinein Heavy Metal in der DDR mit Dezibel und
Funkenflug fuhr.
Videointerviews mit Zeitzeugen
Neben der Jugendfreundin ist ein Jugendzimmer nachgebaut, mit Regal,
beklebtem Kassettenrecorder, schwefelgelb-schwarzem Kassettenkarussell
„scona variant“ mit akribisch beschrifteten Tapes von Westbands und einem
„Compliment“-Plattenspieler samt der 1989 erschienenen Biest-EP „Crash
Trash“. An einer von mehreren Hörstationen erzählen Zeitzeugen in
Videointerviews von ihrem Weg zum Metal.
Bei einem war es ein Versehen: Ein Freund hatte die Oma – Rentner durften
in den Westen und wurden zu Schallplattenkurieren – um eine Platte der
Progrocker Yes gebeten. Die gab es nicht, stattdessen wurde der Dame das
[3][Motörhead]-Album „Another Perfect Day“ mitgegeben. Der Enkel war davon
nicht zu überzeugen und verkaufte die Platte für 100 Ostmark an seinen
Freund.
An einer nächsten Hörstation kann in Hard- und Heavy-Alben hineingehört
werden, die in den achtziger Jahren zum Kanon gezählt werden konnten:
AC/DC, „Back in Black“, Kreator, „Pleasure To Kill“, Judas Priest, „B…
Steel“, das einzige Studioalbum von Black Death, der ersten
afroamerikanische Heavy-Metal-Band, und Girlschool/Motörhead, „St.
Valentine’s Day Massacre“. Girlschool traten 1981 in der DDR-Jugendsendung
„rund“ auf.
Dann Iron Maiden mit „The Number Of The Beast“, daraus der Titel „Run To
The Hills“. Hier wird es interessant, geht es in dem Song doch um den Kampf
zwischen amerikanischen Ureinwohnern und europäischen Siedlern.
DDR-Jugendliche sind mit Geschichten von kämpfenden Unterdrückten
aufgewachsen, gleichzeitig wuchs in der nominalsozialistischen Müdigkeit
eine Leerstelle. Heavy Metal, zu dessen Ästhetik unbedingt Rebellion und
nicht selten Ursprünglichkeit gehört, konnte da anknüpfen.
Nicht fehlen dürfen an der Hörstation Metallica, „Master Of Puppets“. Das
Cover ihres 1983er Debütalbums „Kill ’Em All“ mit der Abbildung eines
Hammers in einer roten Lache sollte drei Jahre später im DDR-Metal eine
Entsprechung finden; bei Formel 1 nämlich. Auf „Live im Stahlwerk“ hatte
Thomas Wilke neben der Gibson-Gitarre auch einen Hammer platziert, nur
hatte der offenbar gerade dazu gedient, das Eismassiv aufzubrechen. „Live
im Stahlwerk“, herausgebracht vom staatlichen Plattenlabel Amiga, ist
übrigens tatsächlich im Kulturhaus der Stahl- und Walzwerker „Wilhelm
Florin“ in Hennigsdorf bei Berlin aufgenommen worden.
Beherzter Eskapismus
War der DDR-Heavy-Metal eine proletarische Angelegenheit? Der beherzte
Eskapismus der Szene spricht dafür. Auf jeden Fall lässt sich über Formel 1
ein Strang an den Anfang der DDR-Rockmusik verfolgen. Formel 1 war 1981 von
Mitgliedern der Band Joco Dev gegründet worden, die Ende der Sechziger-,
Anfang der siebziger Jahre populär war und deren Song „Stapellauf“ als
Feier oder Utopie befreiter Arbeit verstanden werden kann. Der Eindruck von
Heavy Metal in der DDR als Szene hart arbeitender, ansonsten ordentlicher
junger Menschen, deren Feierabend und Wochenende in Nieten und Leder ging,
drängt sich auf.
Zu der Geschichte gehört genauso die der 1985 gegründeten Erfurter Band
Macbeth, die es zu DDR-Zeiten nicht zu einer LP bringen konnte. Die
Ausstellung erzählt, wie Macbeth ohne Spielerlaubnis begannen und Verbote
wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ kassierten.
Alles richtig gemacht, möchte man meinen, nur wurde es für Macbeth bald
sehr ernst. Im September 1986 gab die Band ein tumultartig verlaufendes
Konzert im Erfurter Stadtgarten, die Behörden leiteten Maßnahmen ein zur –
im O-Ton – „Disziplinierung bzw. Liquidierung“. Am Ende standen ein
Schuldenberg, ein Gerichtsverfahren und die Haft des Sängers Detlev
Wittenburg. Im Dezember 1989 hat er sich erhängt. Dem waren mehrere
Versuche vorausgegangen.
Zu der Geschichte gehört eine Düsternis und Härte, die nicht musikalische
Imagination, sondern politisch-soziale Realität war. Die DDR der achtziger
Jahre war eine späte Gesellschaft; zu den Indikatoren zählte eine
keinesfalls nur latente Gewalt. Eine Band wie Biest hat das offen
angesprochen.
Die Ausstellung zeigt das Faksimile eines Polizeiberichts an die
Staatssicherheit über rassistische Übergriffe im Umfeld von Konzerten.
Darin findet sich eine Aussage zur Rolle der FDJ-Ordnungsgruppen, eines
auch auf Konzerten und Veranstaltungen tätigen Sicherheitsdienstes: „Es
entsteht in letzter Zeit im I-Werk der Eindruck, dass die Ordnungsgruppe
bei Auseinandersetzungen die Täter schützt, die Geschädigten aus dem Saal
schafft und selbst noch verprügelt“. Die Angegriffenen waren Kubaner. So
viel zu „Meine Heimat – DDR“.
Ost-Metal nach der Wende
Die Ausstellung verschweigt nicht, dass es dem Ost-Metal nach dem Mauerfall
nicht gut ging. Schon das legendäre Konzert von Kreator, Tankard, Coroner
und Sabbat in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle im März 1990 mutet
jetzt wie ein Aufbäumen an. Der Auftritt [4][der Norweger Mayhem] im
Leipziger Eiskeller vom November 1990 erscheint als Vorbote einer noch
weitergehenden Finsternis, die aus der Geschichte der befreiten neunziger
Jahre nicht weggedacht werden kann.
„Freiheit, Wohlstand, Einheit. SPD“ verkündet auf einem Foto das einzige
Wahlplakat an einer ramponierten Litfaßsäule irgendwo im Osten, vor der
Disco Karussell. Sie ist zugesperrt. Mittlerweile hat sich, auch um das in
der Ausstellung vertretene Fanzine Eisenblatt, eine wieder aktive Szene
gebildet. Eine informative Website und ein Label für
Wiederveröffentlichungen und Archivfunde gehören dazu. Das muss nicht
nostalgisch sein. Gegen wieder schlechte Zeiten braucht es schon mal böse
Musik.
25 Mar 2024
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[3] /Nachruf-auf-Motoerhead-Saenger/!5264350
[4] /Norwegische-Black-Metal-Szene-der-90er/!5566279
## AUTOREN
Robert Mießner
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