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# taz.de -- Heavy Metal in Nordischen Botschaften: Das innere Biest herauslassen
> Das Berliner Felleshus nimmt Heavy Metal ernst. Es zeigt, wie die Musik
> zu einem der größten Kulturexporte wurde – und welche Rolle Nazis
> spielen.
Bild: In der Ausstellung kann man in viele Alben reinhören
Das dürfte wohl auch eine Weltpremiere sein: Da betritt man ein
Botschaftsgebäude, und dann sieht man da lauter
[1][Heavy-Metal-Plattencover], Nietenarmbänder mit gewaltigen Nägeln,
apokalyptisch anmutende Zeichnungen und Malereien in Schwarz-Weiß-Ästhetik,
Totenköpfe – und über dem Aufgang thront das Banner eines Ziegenkopfes mit
böse funkelnden roten Augen.
Der Tierkopf ist dem Cover eines legendären Black-Metal-Albums entnommen,
dem selbst betitelten Debütalbum der schwedischen Band Bathory aus dem Jahr
1984. Die achtziger und neunziger Jahre waren die großen Jahre der
finsteren Subgenres des Metal, die berühmtesten Gruppen des Death, Black
und Viking Metal kamen aus den skandinavischen Ländern.
Höchste Zeit also, diese Jugendkulturen zu historisieren, befanden die
Nordischen Botschaften in Berlin, und widmen ihnen nun im Felleshus, dem
vielleicht schönsten Botschaftsgebäude der Hauptstadt, die Ausstellung „Der
harte Norden – Heavy Metal aus den nordischen Ländern“. Wundern sollte
einen diese Themensetzung eigentlich nicht, schließlich handelt es sich um
einen der größten skandinavischen Kulturexporte jüngerer Jahre.
Kuratiert wurde die Ausstellung von der schwedischen Journalistin Ika
Johannesson, die sich bereits in einer Buchveröffentlichung mit der
Metalkultur ihres Heimatlands befasst hat. („Blood, Fire, Death: The
Swedish Metal Story“). Entsprechend kenntnisreich ist die Schau geworden –
die meisten wichtigen Bands und Ereignisse kommen vor.
## Abgrenzung der Genres
Erst einmal ist erfreulich, dass Black und Death Metal hier als Musikkultur
ernst genommen werden. Man kann in Death-Metal-Musik der Bands Entombed,
Sororicide, Cadaver, Amorphis und Konkhra reinhören, auch die
Black-Metal-Bands Darkthrone, Bathory, Denial Of God, Archgoat und
Sólstafir kann man sich über Kopfhörer anhören und so vollständig in die
Metal-Welt abtauchen (es wird dabei jeweils eine Band pro skandinavischem
Land vorgestellt).
Zudem wird eine – gar nicht so leichte – Abgrenzung der Genres vorgenommen,
die Unterschiede werden erklärt. So ist der Black-Metal-Sound meist nicht
so „clean“ wie der des Death Metal, beim Gesang im Black Metal wird noch
mehr „gegrowlt“ (geknurrt und gebrummt) als im Death Metal. Auch ist der
Sound im Black Metal atmosphärischer, dunkelste Gefühle werden in Klang
übersetzt. Satanismus, Heidentum und Okkultismus sind in beiden Genres
verbreitet, insbesondere der norwegische Black Metal ist diesbezüglich
berühmt-berüchtigt.
Entsprechend werden die [2][Kirchenbrände und Todesfälle] in der
[3][norwegischen Black-Metal-Szene] der frühen Neunziger in der Schau
thematisiert. Der berühmteste Fall ist der des Mayhem-Sängers Øystein
„Euronymous“ Aarseth, der 1993 von Varg Vikernes, dem Gründer der
Ein-Mann-Band Burzum, erstochen wurde.
Vikernes ist einer der bekanntesten Rechtsextremen der nordischen
Metalszene. [4][Ein ganzer Zweig im Black Metal hat neonazistische Ideen
verfolgt] (oder tut dies noch), das Genre wird National Socialist Black
Metal (NSBM) genannt. In der Schau wird Vikernes zwar genannt, sein Projekt
Burzum aber ausgespart – durchaus eine sprechende politische Lücke.
Dafür fand Anfang Juli in den Nordischen Botschaften eine
Diskussionsveranstaltung zum Thema Rassismus und Faschismus im Metal statt
(„Neopaganismus und Ideologie in Black und Death Metal“), in der über
völkische und nazistische Ideen innerhalb des Genres informiert und
diskutiert wurde.
Dabei ging es erfreulicherweise nicht nur um ideologische gefestigte Nazis
im Metal (das Phänomen ist bereits breit bekannt und erforscht), sondern
auch um verwandte Strömungen wie Nordic Ritual Folk und Pagan Folk/Metal,
die in Teilen esoterisch-antimodernistisch und reaktionär erscheinen.
Der Skandinavist Lukas Rösli sprach davon, dass in einigen dieser
Subkulturen eine Vergangenheit beschworen werde, die es nie gegeben habe.
„Extrem gefährlich wird es natürlich, wenn dies mit faschistischem und
rassistischem Gedankengut einhergeht.“ Im Zusammenhang mit den populären
Ritual-Folk-Bands Heilung (deutsch-dänisch-norwegisch) und Wardruna
(Norwegen) stellte er fest, dass sie rückwärtsgewandt seien, nach einem
Ursprung, nach vermeintlicher Echtheit in der Vergangenheit suchten – dies
sei zumindest das Gegenteil von linker Politik.
Stefanie von Schnurbein, Literaturwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten
Skandinavien und neugermanisches Heidentum, betrachtete den Runenkult in
diesen Szenen äußerst skeptisch, es gebe etwa verbreitet den Glauben, dass
die „Runen“ zu den Künstlern „sprechen“ würden.
Sie wies darauf hin, dass diese sich dabei nicht mal zwingend bei den Nazis
bedienen würden – schließlich habe es auch zuvor schon esoterische und
okkulte Alternativkulturen gegeben, die völkisch waren. Doch genauso wie
man es dem Punk und dem HipHop nicht anlasten sollte, wenn er von weit
rechts vereinnahmt wird, sollte man dies auch dem Metal nicht pauschal zum
Vorwurf machen.
Von Natur aus abweisend
Die Faszination, die vom Metal ausgeht, begreift, wer sich die
dokumentarischen Videos der Schau anschaut. Black und Death Metal sind seit
jeher Antipoden von Mainstream und Massenkultur, sie kommen oft
nihilistisch daher. Tómas Ísdal von der isländischen Band Misþyrming sagt
in einem Clip: „Black Metal ist von Natur aus abweisend. Black Metal
berücksichtigt dich nicht als Individuum. De facto ist Black Metal gegen
dich, Punkt. Er ist gegen die Gesellschaft, gegen die Kirche, gegen den
Staat.“
Das Lebensgefühl von Metal bringt dagegen Aðalbjörn Tryggvason von der Band
Sólstafir gut auf den Punkt. Erklären könne man dieses kaum, denn „es ist,
wie jemandem zu erklären, was ein Orgasmus ist. Man muss es selbst erleben.
Wer Heavy Metal nicht versteht, dem werde ich nicht versuchen, es zu
erklären.“
Man lernt in der Ausstellung Black und Death Metal als Kultur „von unten“,
als D.I.Y.-Phänomen im Skandinavien der Achtziger und Neunziger kennen – es
gründeten sich verbreitet Bands, es gab Fanzines, die über die Szene
berichteten, es gab entsprechende bildende Kunst, die in den Zines und auf
den Plattencovern zu sehen war.
Frauen waren in der Szene damals insgesamt unterrepräsentiert, hier kommen
aber einige von ihnen zu Wort, etwa die Dänin Amalie Bruun (Myrkur) und die
Finnin Noora Louhimo von der Band Battle Beast. Etwas mehr Musikbeispiele
hätten der Schau gutgetan, ansonsten aber gibt sie insgesamt einen guten
Einblick in die Szene. Metal wird hier als Sound dargestellt, der die
dunkle Seite des Menschen abbildet, durch den „das innere Biest
herausgelassen“ wird, wie Noora Louhimo es formuliert.
20 Jul 2023
## LINKS
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[4] /Black-Metal-Festival-von-Neonazis/!5586270
## AUTOREN
Jens Uthoff
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