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# taz.de -- Neue Metal-Alben: Drastik, Gebolze, so viel Gefühl
> Schwarze Messe and all that Jazz: Dave Lombardo und Queens of the Stone
> Age zeigen, wie filigran und visionär harte Rockmusik klingen kann.
Bild: Der Hexer im Kreise seiner Lieben: Dave Lombardo
Metal und Avantgarde-Traditionen finden seit längerem zu immer wieder neuen
und interessanten Verbindungen zusammen. Das US-Duo Sunn 0))) bringt
[1][seit den späten Neunzigern Black Metal, Drone- und Geräuschmusik in
Super-Slowmotion zum Dröhnen]. Und „Dear Desolation“, ein Werk der exzessiv
rabiaten australischen Death-Metaller Thy Art Is Murder wird vom Magazin
The Wire, dem britischen Fachblatt für abseitige Musik, zum Album des
Jahres 2022 gewählt: In der Kategorie Avant Rock.
Einer der Pioniere, die vom Metal Richtung Avantgarde gewandert sind, ist
Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo. Lombardo gründete 1998 mit [2][Musikern
von den Melvins] und dem [3][Stimmakrobaten Mike Patton (Faith No More],
Mr. Bungle) die Band Fantômas. Patton betreibt auch das Label Ipecac, auf
dem Metal mit Avantgarde-Schlagseite veröffentlicht wird und jetzt auch
Dave Lombardos Debütsoloalbum „Rites of Percussion“ erscheint.
Der Fantômas-Cut-Up-Sound klingt maximal stressend, aber eben auch
unglaublich seltsam und hyper-energetisch. Das ultraschnelle Getrommel
Lombardos fügte sich ohne Weiteres in die in alle Richtungen schießende
Musik ein. Dass hier einer mit einer strahlenden musikalischen Intelligenz
zu Werke geht und zugleich maximal unprätentiös wirkt, kann man seit den
frühen Alben von Slayer verfolgen.
## Trommeln wie ein Dirigent
Lombardo trommelt wie ein Dirigent, dirigiert und ballert wie kaum ein
anderer Schlagzeuger sonst: unglaublich präzise, straight und auf schwer zu
greifende Weise melodiös. Es folgten, neben vielem anderen eigentlich
Unwahrscheinlichen, zahlreiche Kollaborationen mit [4][dem New Yorker
Freejazz-Saxofonisten John Zorn] und mit [5][„Vivaldi – The Meeting“ eine
Vivaldi-Einspielung mit Double-Bass-Inferno]. Lombardos Bearbeitung klingt
erstaunlicherweise nicht gewollt extrem, sondern ist ein tolles
Klassikalbum geworden.
Weil es eben nicht den offensichtlichen Gegensatz – klassische Musik, Metal
– lustig forciert, sondern tatsächlich zeigt, wie beides trotz aller
Unwahrscheinlichkeit ineinandergreifen kann. Sehr eindrucksvoll auch das
Trio, das der bildende US-Künstler Matthew Barney in seinem Film
[6][„Cremaster 2“] dokumentiert: Lombardo taucht da an der Seite von
Morbid-Angel-Sänger Steve Tucker und einem Schwarm Bienen auf, der noch um
einiges bedrohlicher klingt als Tuckers Geröhre. Ein düstere, befremdliche
und auch komische Musik.
Sein Geld verdient Lombardo als Tourdrummer durchaus legendärer US-Bands
wie the Misfits und Suicidal Tendencies. Es hat also gedauert, bis nun
endlich das Debüt-Soloalbum des 1965 auf Kuba geborenen Schlagzeugers
erschienen ist. „Rites of Percussion“ wurde von Dave Lombardo allein im
Heimstudio eingespielt, während des Lockdowns.
## Sehr schnelle Breaks
Die Stücke muten, der Titel deutet es an, ritualistisch an.
Double-Bass-Geboller und sehr, sehr schnelle Breaks gehen mit Perkussivem
zusammen und ergeben eine Musik, die auf einem Jazz-Festival genauso
angebracht wäre wie zur Untermalung einer schwarzen Messe. „Inner Sanctum“
und „Journey of the Host“ grooven und stampfen vordergründig wie Sau, aus
dem Hintergrund aber schält sich immer wieder Grusel-Electronica.
„Warpath“ wiederum klingt so, dass man gleich in eine Bananenrepublik
einmarschieren würde, zugleich hört man aber auch, dass Dave Lombardo sich
viel mit der Musik von Tito Puente beschäftigt hat. Das ist vielleicht das
Schönste an der Musik dieses Albums: Wie hier Brachialität und filigranes
Hochgeschwindigkeitsgetrommel eine Mesalliance eingehen und sich sozusagen
in ihm auflösen.
Die zweite Hälfte von „Rites of Percussion“ ist ruhiger ausgefallen. Im
Finale, „Animismo“, spielt Lombardo vergleichsweise frei, dass man meint,
der Geist von Free-Jazz-Drummer Milford Graves sei in den Thrashmetal
gefahren und würde nun eine Menge Spaß haben mit den Geräuschen, die er an
den Trommeln fabriziert. In der Verbindung von Heavy-Metal-Techniken und
den Perspektiven freierer Musiktraditionen entsteht hier etwas Neues (am
direktesten zu hören in den beiden Stücken „Interfearium“ und „Blood Le…
[7][Oder, wie der Slayer-Produzent Rick Rubin kürzlich über Dave Lombardo
gesagt hat]: „Ein unglaublicher Bolzen, aber so viel Gefühl.“
## Mit dem Hammer verfeinern
Der letzte Satz passt auch zum musikalischen Schaffen von Josh Homme, dem
einzigen konstanten [8][Mitglied der US-Band Queens of the Stone Age], die
eigentlich mit dem Hammer operiert, ihre Technik aber zugleich mehr und
mehr verfeinert hat. Das nun veröffentlichte achte Album „In Times New
Roman“ läuft zwar nicht in Richtung Avantgarde, sondern hin zu einer
Rockmusik, die sowohl emotional eins zu eins funktioniert wie auch als
Sounddesign.
Und auch in ihrer Musik finden sich unter der rohen Oberfläche akribisch
gebaute Arrangements. Es fällt beim ersten Hören nicht gleich auf, weil die
Musik von „In Times New Roman“ unbehauener wirkt als noch beim Vorgänger
„Villains“ (2017). Und weil die Geschichte, die beim neuen Album
mitschwingt, eher auf Gefühlsausbruch hindeutet: Vier Jahre lang war Josh
Homme verstummt, belastet vom Scheidungskrieg mit seiner Ex-Frau, einer
Krebsdiagnose und -behandlung und dem Tod mehrerer Musikerfreunde.
Die zehn Stücke sind denn auch bluesiger und düsterer geraten als das
meiste, was die kalifornische Band bis dahin fabriziert hat. Die erste
Single, „Emotion Sickness“, legt gut vor und stampft drauflos, während im
Text das Leid der letzten Jahre beschworen wird: „Use once and
destroy/Single servings of pain / A dose of emotion sickness/I just can't
shake/Then my fever broke“. Wenn man dann genau hinhört, passiert
musikalisch aber unheimlich viel.
## Musikalischer Überschuss
Die Gitarrenhooks und überhaupt die Melodien verhalten sich untypisch zum
Gesang, trotzdem ist „Emotion Sickness“ ein super eingängiges Rockstück
geworden. Ähnliches auch bei „Carnavoyeur“, das von einem Keyboard bestimmt
wird, welches einen Kontrapunkt zur Dominanz der Gitarren setzt. Die Musik
ist anders gebaut, als man das im Stoner Rock ansonsten so kennt,
filigraner auch, und dieser musikalische Überschuss zieht sich durch die
Musik des ganzen Albums.
Beide, [9][Lombardo] und Queens of the Stone Age, kommen aus musikalischen
Gegenden, die vom Eindruck der Brachialität leben. „Rites of Percussion“
kehrt sich tatsächlich von seinem Herkunftsgenre und ist kein Thrash-Metal
mehr. „In Times New Roman“ hingegen bleibt immer noch bluesiger Stoner
Rock. Beide unterlaufen die Brachialität, bei aller Freude am Krach,
zugunsten von Details und einer durchgearbeiteten Mehrschichtigkeit.
Auch daher ist ihre Musik das Gegenmodell zum Metalmainstream nicht zuletzt
zum deutschen Erfolgsmodell Rammstein, dem von der Kritik immer wieder
Ironie und Komplexität untergejubelt wurde, vor allem über die Songtexte,
und bei dem sich inzwischen aber der Eindruck aufdrängt, dass das alles so
ungebrochen schlimm und gewalttätig gemeint war, wie es auch klingt.
Wozu man eben auch nur den in jedem Sinne platten Sound hätte ernst nehmen
müssen. Es gilt nicht immer, aber in der [10][Causa Rammstein] allemal: Wo
maximal eine halbe musikalische Idee pro Stück zu finden ist, ist auch
sonst nicht viel zu holen.
29 Jun 2023
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Sunn-o/!5830762
[2] /Neues-Album-von-Melvins-Gitarrist-Buzzo/!5709589
[3] /Rockband-Faith-no-More-in-Berlin/!5161282
[4] /Konzerte-von-John-Zorn-in-Hamburg/!5841952
[5] https://www.youtube.com/watch?v=cehlbQEE17A
[6] https://www.youtube.com/watch?v=QU3IcaltbCw
[7] /Rock-Produzent-Rick-Rubin-ueber-sein-Werk/!5933832
[8] /Rock/!5199470
[9] /Slayer-Konzert-in-Berlin/!5553178
[10] /Rammstein-Punk-und-Maennlichkeitswahn/!5935903
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Neues Album
Heavy Metal
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Musik
Heavy Metal
wochentaz
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