# taz.de -- Roman über Black Metal von Jenny Hval: Blut suppt aus Vollkornbrot | |
> Die norwegische Künstlerin Jenny Hval stammt aus der (Black-)Metal-Szene. | |
> Ihr Buch „Gott hassen“ handelt vom transgressiver Kunst und vom | |
> Underground. | |
Bild: Jenny Hval schildert die Black-Metal-Szene mit einem erzählerischen Flow | |
Für die Autorin Jenny Hval geht von der Musikrichtung des Black Metal eine | |
Anziehung, eine Faszination, ein Magnetismus aus. Ihr Alter Ego, die | |
Ich-Erzählerin ihres neuen Buchs, ist in einer scheinbar heilen Welt im | |
christlich geprägten Südnorwegen aufgewachsen; als verklemmt, verstockt, | |
wortkarg werden die Menschen dort beschrieben, die Gegend erscheint als | |
trügerische weiße Idylle. Den Gegenentwurf dazu findet sie in Teenagertagen | |
in der wüsten, brachialen Musik des Metal und in der Gefahr, die von diesem | |
Lifestyle ausgeht. | |
In ihrem Heimatland kam es Anfang der Neunziger zu den [1][berüchtigten | |
Kirchenbränden und zum Mord an Øystein „Euronymous“ Aarseth, Gitarrist der | |
maßgeblichen Band Mayhem]. „Black Metal kriecht unbemerkt durch die | |
Adoleszenz, auch durch meine, er gräbt sich nicht vollkommen hinein, aber | |
solange er da ist, lebt und kriecht er“, notiert Hval, als sie sich | |
dokumentarische Videos aus dieser Zeit ansieht. | |
„Gott hassen“ heißt das bemerkenswerte Buch von Jenny Hval, das der März | |
Verlag kürzlich auf Deutsch veröffentlicht hat. Ausgangspunkt der Erzählung | |
ist die biografische Prägung durch Black Metal, eigentlich beschäftigt sich | |
die norwegische Musikerin und Autorin aber weit darüber hinausgehend mit | |
Subkultur und Untergrund generell, mit dem Hass, dem Abgründigen und dem | |
Triebhaften – und damit, was an diesen Gefühlen und Eigenschaften produktiv | |
sein kann, was gar Hoffnung machen kann. | |
Hval, 1980 in Tvedestrand an der norwegischen Südküste geboren, hat sich in | |
den vergangenen Jahren als Avantgardekünstlerin und Solomusikerin einen | |
Namen gemacht, Alben wie „Blood Bitch“ (2016) oder zuletzt [2][„Classic | |
Objects“ (2022) wurden von der Kritik gefeiert, auch ein Roman von ihr ist | |
bereits auf Deutsch erschienen („Perlenbrauerei“, 2022)]. Ende der | |
Neunziger sang Jenny Hval in einer Goth-Metal-Band namens Shellyz Raven. | |
In „Gott hassen“ schaut die Ich-Erzählerin eine Dokumentation der Band | |
Darkthrone – eine weitere Szenelegende – und nähert sich so ihrer | |
Vergangenheit an: dem Hass, den sie in sich trug, dem Primitiven in der | |
Kultur des Black Metal, der Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurde. | |
Die Ich-Erzählerin deutet dabei an, einen Film drehen zu wollen, auf diesem | |
Weg baut Hval jede Menge Kunsttheorie ein. | |
## Das unterdrückte Körperliche und Sexuelle | |
Erwähnt werden zum Beispiel Sacher-Masochs „Venus im Pelz“ und George | |
Batailles Werk; beide Schriftsteller dürften für Hval wichtige | |
Impulsquellen gewesen sein. Um das unterdrückte Körperliche und Sexuelle | |
geht es auch ihr, so gibt es zum Beispiel einen kleinen Exkurs zur | |
Bildsprache der Softcore-Pornofilme und zeitgenössischer Hardcore-Pornos. | |
Das Transgressive interessiert Jenny Hval, das Hervorkehren des Unbewussten | |
in der Kunst. | |
Ihren Anfang nahm ihr künstlerischer Weg eben in der Black-Metal-Szene, | |
vielleicht eine der transgressivsten Musikszenen jüngerer Jahre. | |
Hval (beziehungsweise ihr Alter Ego) ist dabei eigentlich eine | |
Zuspätgekommene und -geborene, denn sie kommt erst Ende der Neunziger in | |
die Metalszene, als die most shocking Phase schon Geschichte ist: „1997 ist | |
es zu spät, und ich habe nicht das richtige Geschlecht, um Teil von Black | |
Metal zu sein, ich kann nur Ästhetik und Darstellung übernehmen: das | |
Make-up, die Bilder, die Comics, die Parties. Und ich darf bei der weißen | |
Party dabei sein – Der Süden, Norwegen, Skandinavien – weißer Haferschleim | |
aus Schweigsamkeit und Gewölben der Stille.“ | |
## Surreales Setting mit magischem Ei | |
Wie männlich-chauvinistisch der norwegische Black Metal ist, welche Rolle | |
Rassismus, Faschismus und Sexismus in der Szene spielen, auch das wird hier | |
erzählt. Gegen Ende nimmt „Gott hassen“ eine überraschende Wendung, von | |
Kapitel 2 an nehmen Szenen aus den Drehbüchern der Ich-Erzählerin viel Raum | |
ein; sie führen uns in ein surreales Setting mit einem magischen Ei in | |
einem finsteren norwegischen Wald, einer aufblasbaren Vagina und Blut, das | |
aus Vollkornbrot suppt. | |
Die Erzählerin adressiert dabei immer wieder ein unbestimmtes „du“ – wer | |
angesprochen wird, bleibt offen. Die autobiografischen Anteile des Buchs | |
sind natürlich hoch, durch die kunstgeschichtlichen und -theoretischen | |
Exkurse bekommt der Text einen essayistischen Anstrich. So wird etwa das | |
Motiv von Edvard Munchs Gemälde „Pubertät“ immer wieder aufgegriffen, die | |
Otto-Muehl-Kommune wird zur Kunst des Black Metal ins Verhältnis gesetzt. | |
Insgesamt ist aber vor allem die verknappte, pointierte Sprache sehr | |
gelungen (der Flow bleibt dank Übersetzerin Clara Sondermann im Deutschen | |
erhalten), und das vom ersten Wort an. Die ersten Sätze des Buchs lauten: | |
„Ich hasse Gott. Es klingt primitiv und erbärmlich, das zu sagen, aber ich | |
bin eine primitive und erbärmliche Person.“ Will man da nicht mehr wissen? | |
30 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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