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# taz.de -- „Roadburn“ in Niederlanden: Das etwas andere Metal-Festival
> Viele verbinden Metal mit grölenden Männergruppen. Das „Roadburn
> Festival“ im holländischen Tilburg zeigt, dass es auch anders geht.
Bild: Zukunftsbewusste Metaller: Auf dem Roadburn gibt es auch Panel-Diskussion…
Der erste und dann auch bleibende Eindruck, wenn man auf dem Gelände des
Roadburn-Festivals im niederländischen Tilburg eintrudelt: Artsyness und
Konzeptualität sind in den letzten Jahren tiefer in den Heavy Metal
eingegangen. Das Genre spaltet sich zunehmend in einen wertkonservativen
Kern und ein freidrehendes Treiben in den Randregionen: Auf dem
Wacken-Festival singen Familienväter ein Wochenende lang selig im Chor zu
Running Wild und Manowar. Auf dem Roadburn gibt es dagegen Artists in
Residence, Auftragskompositionen und Paneldiskussionen mit Titeln wie
„Heavy Music Through An Experimental Lense“.
Das Festival startete 1995 in kleinem Rahmen. Seit seiner Expansion in den
Nullerjahren lässt sich in Tilburg alljährlich der aktuelle Stand der Dinge
im musikalisch extremistisch gestimmten Metal mitschneiden. Das mit rund
4.000 verkauften Tickets nach wir vor überschaubare Festival schert aus dem
Hauptstrom des Genres aus: Vier Tage und Nächte schwerster Lärm, meist
gitarrendominiert, aber von den Rändern her angesteuert.
Es herrscht also große programmatische Offenheit, die zum Beispiel auch
HipHop und Ambient inkludiert, solange sich eine Verbindung zum
Metal-Mutterschiff ziehen lässt. In diesem Jahr verbanden gleich mehrere
Acts auf der Bühne Noise mit HipHop. Angry Blackmen spielten eine
politisierte Auf-die-Fresse-Musik in der Tradition von Public Enemy; live
auf dem Roadburn dann mit latent entnervter Verwunderung darüber, dass
mindestens 95 Prozent des Publikums weiß sind.
[1][Das US-Trio clipping.] – Rapper Daveed Diggs und zwei Nerds am Laptop –
wiederum hat in seine Tracks fies übersteuerten Noise und ohrenzerstörende
Krachminiaturen eingebaut. Die kanadische Rapperin Backxwash trat als
Überraschungsgast auf und zerlegte die größte Konzerthalle des Festivals im
Alleingang und mit Black-Sabbath-Samples.
## Alles scheint erlaubt, solange es laut ist
Wer einen gemeinsamen Nenner für das musikalisch sehr vielfältige Programm
sucht, kommt schnell auf die Idee, dass beim Roadburn-Festival
genreübergreifend alles erlaubt ist, solange es nur durch Lautstärke
Intensität erzeugt und intensiv ballert. Verkopft-avantgardistisch wirkte
auch in diesem Jahr jedenfalls nichts. Eine verdrogt klingende
Riot-Grrrrrl-Sludge-Band wie Couch Slut aus New York war bei ihrem zweiten
Festivalauftritt in zwei Tagen dann auch unübersehbar hackedicht.
Die Death-Metal-Band Blood Incantation aus Denver spielte ebenfalls
zweimal: einmal verpilzten Siebziger-Jahre-Ambient, der nach Tangerine
Dream im Vollrausch roch, und dann Samstagnacht ein beeindruckend komplexes
und niederwalzendes linientreues Metalset mit Gedonner und grimmigem
Geröhre.
Auch für eine kinky Electroband wie Health, die am Merch-Stand Buttplugs,
Analplugs, für 40 Euro feilbot, ist Platz im Programm. Dass Lautstärke
allein regiert, scheint aber kein notwendiges Auswahlkriterium zu sein.
Sonst hätte schließlich der britische Folksänger Richard Dawson gar nicht
auftreten dürfen, um, unter anderem, drei abstrakt-spröde und zugleich sehr
ergreifende Akustikgitarrensoli zu spielen.
Das Publikum feierte auch seine Musik gröhlend ab, zur sichtbaren
Erleichterung Dawsons, der sich eine Träne der Erleichterung aus dem Auge
wischte. Das sei überhaupt das Schöne an Roadburn, hatte Daveed Diggs tags
zuvor im Gespräch erzählt: Bei den meisten Festivals gehen die Leute zu
Bands, die sie schon kennen, beim Roadburn gehen sie gerade zu denen, die
sie noch nicht kennen.
## Die heilende Kraft der Musik
Kurz danach trat [2][die US-Allstar-Doomband Khanate] auf und wuchtete
zerquälten und in seiner Unzugänglichkeit und Kälte wirklich fordernden
Doommetal von der Bühne in den Saal. Ein in seiner ohrenbetäubenden
Negativität beeindruckender Auftritt. Der musikalische Extremismus im Heavy
Metal klingt interessanter, seit er nicht mehr von rechten norwegischen
Kirchenanzündern – wie von der Band Burzum in den 90ern – propagiert wird,
sondern von angenehm sonderbaren, freundlichen Menschen in Schwarz, die
über – so ein weiterer Titel eines Roadburn-Panels – „The Healing Power …
Heavy Music“ diskutieren.
[3][Dass Musik eine heilende Kraft sei, hatte schon US-Free-Jazz-Saxofonist
Albert Ayler] behauptet, der sich in Tilburg womöglich wertgeschätzt
gefühlt hätte. Schließlich ging es auch in Aylers Spiel um so etwas wie
einen Schrei, der von ganz unten nach oben raus will. Man konnte ihn auf
dem diesjährigen Festival etwa während des Auftritts von Ragana hören. Das
US-Duo, Gitarristin und Schlagzeugerin, brüllte abwechselnd ins Mikrofon
und löste damit starke Gefühle im Publikum aus.
Überhaupt kann das Post-Rock-Black-Metal-Duo von der Westküste
stellvertretend für eine Tendenz der letzten Jahre stehen: Eine der letzten
zwangsheterosexuellen Männerbastionen, der Heavy Metal, wird graduell von
seiner Pimmelknechtschaft erlöst. Ragana nennt den brüchigen Song
„Unbecoming“ eine „queer anthem“ und die eigene Musik „esoteric senti…
doom“. Bei ihrem Konzert entfaltete das Duo eine Intensität, die die Idee,
dass auch Metal eine „healing force of the universe“ sei, sehr plausibel
wirken ließ.
2 May 2024
## LINKS
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[3] /Free-Jazz-Ikone-Albert-Ayler/!5865200
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Festival
Musik
Metal
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Metal
Heavy Metal
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