# taz.de -- Verschärfte Flüchtlingspolitik: Kostenexplosion durch Bezahlkarte | |
> Berlin will die Bezahlkarte für Asylbewerber angeblich nur zum | |
> Bürokratieabbau. Doch dafür ist sie etwas sehr teuer, wie eine | |
> Grünen-Anfrage ergibt. | |
Bild: So könnte es einfacher und billiger gehen: die Socialcard für Asylbwerb… | |
BERLIN taz | Die Bezahlkarte für Asylbewerber könnte Berlin ein Vielfaches | |
dessen kosten, was das Land bisher für die entsprechende Auszahlung von | |
Bargeld ausgibt. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage des | |
Grünen-Abgeordneten Jian Omar hervor, die der taz exklusiv vorliegt. Omar | |
kommentierte die Antwort am Montag deutlich: „Angesichts der Tatsache, dass | |
die Bezahlkarte das Land Berlin nach Schätzung einer bundesweiten | |
Arbeitsgruppe voraussichtlich 10 Millionen Euro jährlich kosten wird, sind | |
die in der Antwort dargestellten Zahlen zu den Kosten des jetzigen Systems | |
alarmierend.“ | |
Aktuell bekommen den Antworten von Integrationsstaatssekretär Aziz Bozkurt | |
(SPD) zufolge rund 23.000 Asylbewerber in Berlin „Leistungen für den | |
notwendigen persönlichen Bedarf“. Das ist das „Taschengeld“, das zusätz… | |
zum „notwendigen Bedarf“, also Miete, Heizung, Essen, Kleidung, gezahlt | |
wird – in Berlin [1][wie in den meisten Ländern] und Kommunen noch als | |
Bargeld oder Überweisung auf ein Konto. | |
Die im November von den Ministerpräsidenten vereinbarte Bezahlkarte war | |
zuerst als Entlastung der Kommunen ins Spiel gebracht worden. Einige | |
Bundesländer wie Bayern machten daraus dann ein angeblich probates Mittel, | |
Migration zu begrenzen, indem Deutschland „unattraktiver“ gemacht wird. | |
Dafür soll mit der Bezahlkarte der Bargeldanteil für Asylbewerber gesenkt | |
werden, einen Teil ihres „Taschengelds“ sollen sie nur als Sachleistung | |
erhalten. Zudem soll die Bezahlkarte verhindern, dass Asylbewerber Geld in | |
ihre Heimat überweisen. | |
## Kommunen dürfen selber entscheiden | |
Vergangene Woche [2][entschied die Ministerpräsidentenkonferenz, dafür das | |
Asylbewerberleistungsgesetz zu ändern]. Die Änderung solle klarstellen, so | |
Jian Omar, dass Kommunen selbst entscheiden können, ob sie eine Bezahlkarte | |
mit Einschränkungen, eine ohne Einschränkungen oder weiter Bargeldzahlung | |
wollen. | |
[3][Der Senat hat wiederholt erklärt], dass er keine Beschränkung der Karte | |
will, mit ihr auch keine Migrationssteuerung bezwecke, was laut Experten | |
ohnehin unmöglich ist. „Wir wollen vereinfachen, wir wollen dadurch auch | |
Bürokratie herunterfahren. Das ist das Ziel der Bezahlkarte“, erklärte | |
CDU-Senatschef Kai Wegner Ende Februar. | |
Wenn es aber nur darum gehe, sagt Omar, sei es unverständlich, „warum der | |
Regierende Bürgermeister eine Gesetzesänderung des | |
Asylbewerberleistungsgesetzes und eine einheitliche Bezahlkarte mit anderen | |
Bundesländern fordert“. Eine nicht diskriminierende Bezahlkarte, die wie | |
eine EC-Karte funktioniert, sei schon jetzt möglich, betonte Omar – die | |
Stadt Hannover mache es vor. Wenn es dem Senat darum gehe, solle Berlin | |
diesem Beispiel folgen, das „voraussichtlich kostengünstiger sein und die | |
Verwaltung entlasten wird“. | |
Dagegen wird mit der Bezahlkarte das angebliche Ziel „Bürokratieabbau“ | |
offenkundig teuer erkauft. So bekommen 16.200 Menschen in Berlin ihr | |
„Taschengeld“ – zwischen 132 Euro für Kinder bis zu 204 Euro für | |
alleinstehende Erwachsene – als Bargeldauszahlung, 7.000 Menschen auf ein | |
Konto. Die Zahlstelle des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten für die | |
Bargeldauszahlungen kostet das Land inklusive Personalausgaben jährlich | |
366.000 Euro. | |
## 10 Millionen Euro jährlich | |
Zu den prognostizierten Kosten der Bezahlkarte für Berlin steht in den | |
Antworten des Senats keine konkrete Zahl. Sie würden „maßgeblich von der | |
Beschaffenheit des im Rahmen des bundesweiten Vergabeverfahrens | |
ausgewählten Angebots abhängen“. Allerdings geistert seit Monaten die Zahl | |
von 10 Millionen Euro jährlich durch den politischen Raum. Eine Summe, die, | |
so Omar, von einer Bundesarbeitsgruppe stamme, Integrationssenatorin Cansel | |
Kiziltepe (SPD) habe sie im entsprechenden Fachausschuss bestätigt. | |
Auch der Flüchtlingsrat kritisiert die Karte weiterhin. Kostengünstiger und | |
unbürokratischer wäre es, allen Geflüchteten die Einrichtung eines | |
Basiskontos zu ermöglichen, sagt Sina Stach vom Flüchtlingsrat. „In puncto | |
Verwaltungseffizienz macht ein Basiskonto auch insofern mehr Sinn, als es | |
die Inhaber*innen auch nach dem Wechsel der Leistungsstelle, etwa zum | |
Jobcenter, weiter nutzen können.“ | |
P.S. In der ursprünglichen Version hatte gestanden, dass die Kosten der | |
Bezahlkarte mit 10 Millionen Euro pro Jahr sogar höher wären, als | |
Asylbewerbern in Berlin tatsächlich ausgezahlt würde. Das ist falsch: Bei | |
16.300 Bargeldauszahlungen von 132 bis 204 Euro bekommen alle Berliner | |
Asylbewerber im Monat maximal 3,3 Millionen Euro – das wären pro Jahr knapp | |
40 Millionen Euro. Richtig ist, dass die Bezahlkarte weit teurer wäre als | |
das bisherige System. | |
11 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete-in-Hamburg/!5989217 | |
[2] /Debatte-um-Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!5994527 | |
[3] /Bezahlkarte-fuer-Asylbewerber/!5985775 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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