# taz.de -- Bezahlkarte für Geflüchtete: Ein Instrument der Repression | |
> Hamburg zieht Alleingang mit der Bezahlkarte für Geflüchtete durch. Im | |
> Herbst könnte sie ohne Auswertung in die bundesweite Social Card | |
> übergehen. | |
Bild: Taugt nicht fürs Sozialkaufhaus: Bezahlkarte | |
HAMBURG taz | Seit knapp einem Monat zahlt die Stadt Hamburg mittlerweile | |
Asylbewerberleistungen über die sogenannte Social Card statt in bar aus. | |
Offiziell soll das Bürokratie abbauen: Asylbewerber*innen müssen keine | |
Zahlstellen mehr aufsuchen, die Behörden sparen Personal- und | |
Verwaltungskosten. Jetzt dürfen Betroffene allerdings nur 50 Euro pro Monat | |
in bar abheben, nicht online einkaufen oder Geld überweisen. Die | |
Linken-Abeordnete Carola Ensslen spricht von „Repression“. | |
Politisch gab es gegen die [1][Einführung der Social Card] keinen | |
Widerstand. Das lag daran, dass die Konzeption nur innerhalb der | |
SPD-geführten Behörden für Soziales und Inneres lag. Damit eine politische | |
Debatte entsteht, hätte in der Bürgerschaft ein Antrag auf eine Debatte | |
gestellt werden müssen – was nicht passierte. Die Grünen, die zwar | |
inhaltlich die Ausgestaltung kritisieren, wollten sich offenbar nicht gegen | |
die SPD stellen, um die Koalition nicht zu gefährden. | |
Die Linksfraktion verzichtete ebenfalls auf einen Antrag. „Aus der | |
Opposition heraus lässt sich ja unmittelbar mit parlamentarischen Anträgen | |
nichts erreichen“, erklärt ihre fluchtpolitische Sprecherin Carola Ensslen. | |
Sie stellte stattdessen mehrere Kleine Anfragen, damit werde sie auch | |
weitermachen, kündigt sie an: „Wir werden weiter nachbohren.“ | |
Außerdem haben die Behörden zunächst andere Dinge kommuniziert, als sie | |
jetzt umsetzen. Die Stimmung zur Social Card sei im vergangenen Jahr eine | |
ganz andere gewesen, sagt Ensslen. Auf eine Kleine Anfrage der Linken von | |
August 2023 hat der Senat geantwortet, die Hamburger Bürgerschaft sei im | |
Vorfeld nicht beteiligt worden, weil es sich lediglich um eine Testphase | |
handele. Online-Einkäufe sollten nach den damaligen Plänen mit der Karte | |
noch möglich sein. | |
## Auch mit eigenem Konto | |
Das ist nun in der Praxis nicht der Fall. Anja Segert von der Hamburger | |
Sozialbehörde begründet diese Entscheidung mit der im November getroffenen | |
Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler. Dort wurden | |
Mindestanforderungen für die bundesweite Bezahlkarte festgelegt. | |
Onlinekäufe und Überweisungen wurden darin ausgeschlossen. | |
Diese [2][Vereinbarung gilt für das Pilotprojekt aber noch gar nicht] – und | |
widerspricht der Hamburger Umsetzung auch an diversen anderen Stellen. | |
Beispielsweise müsste es laut Mindestanforderungen auch eine | |
24-Stunden-Hotline für Karteninhaber*innen geben, die Hamburg nicht | |
eingerichtet hat. | |
Kritik hat sich vergangene Woche auch daran entzündet, dass die Stadt | |
Leistungen auch dann weiter auf die Social Card auszahlen will, wenn | |
Empfänger*innen bereits ein Konto eröffnet haben. Komplett verschwiegen | |
hatte die Behörde diese Absicht im Vorfeld nicht. In der Ausschreibung vom | |
August ist bei der Zielgruppe zwar immer von „Leistungsberechtigten ohne | |
Girokonto“ die Rede. | |
In der Antwort auf die Linken-Anfrage im selben Monat schrieb der Senat | |
allerdings, die Karte solle nur noch „in erster Linie“ für Menschen ohne | |
eigenes Konto angeboten werden. | |
Der taz schrieb die Sozialbehörde im Februar, die Karte würde erst auf | |
andere Leistungsempfänger ausgeweitet, wenn die Erfahrungen zeigen, dass | |
sie „den tatsächlichen Bedarf der Leistungsberechtigten abdeckt“. Das | |
stimmt nicht mehr: Die Evaluation des Pilotprojekts steht noch aus. | |
Dass dennoch auch Asylbewerber*innen mit eigenem Konto ihr Geld auf | |
die Social Card bekommen sollen, macht Linke und Grüne wütend. „Es ist | |
schon nicht die feine Art, gegen den entschiedenen Dissens des | |
Koalitionspartners einen solchen Behördenvorgang durchzuziehen“, sagt | |
Mareike Engels, Sprecherin für Soziales der Grünen-Fraktion Hamburg der | |
taz. „Die Einführung der Social Card ist schließlich keine Kleinigkeit.“ | |
Ensslen spricht von einer „völlig undemokratischen“ Entscheidung „im | |
stillen Kämmerlein“. | |
Nicht nur mit dieser Entscheidung haben die Behörden die angekündigte | |
Auswertung übersprungen. „Nach Evaluation dieser Pilotierung ist geplant, | |
Senat und Bürgerschaft zu informieren und eine Entscheidung darüber | |
herbeizuführen, ob diese Bezahlart in der FHH angeboten werden soll“, | |
schrieb der Senat vergangenen August noch auf die Frage, wie die | |
Bürgerschaft beteiligt werden wird. | |
Trotzdem beteiligt sich Hamburg jetzt schon als eines von 14 Bundesländern | |
am Vergabeverfahren für die [3][bundesweite Social Card]. Die Entscheidung | |
soll im Herbst fallen, also ebenfalls vor der Auswertung des Hamburger | |
Pilotprojekts. „Ich habe Zweifel, dass es überhaupt eine Evaluation geben | |
wird“, sagt Ensslen. | |
Die Daten, die evaluiert werden, sind vornehmlich technisch-administrativ: | |
Beschwerden würden in „einer Tabelle mit einer Kurzbewertung ausgewertet“, | |
schreibt Segert von der Sozialbehörde. Es sei ein Beschwerdepostfach | |
eingerichtet worden, wo „Anregungen zur Social Card“ gesammelt würden. | |
## Initiativen wollen klagen | |
Davon, dass die Auswertung zu einer Abschaffung der Social Card führen | |
könnte, ist keine Rede mehr. Die Ergebnisse sollten lediglich in das | |
bundesweite Verfahren eingebracht werden, schreibt die Sozialbehörde. | |
Inzwischen planten Initiativen mithilfe von Pro Asyl Klagen gegen die | |
Bargeldbeschränkung, sagt Ensslen. Unabhängig davon, ob die Beschränkung | |
als solche rechtswidrig ist, wirkt auch die Berechnung des Bedarfs | |
willkürlich: Die Sozialbehörde erklärt, sie habe sich an der Berechnung des | |
Bargeldbedarfs von Menschen in stationären Einrichtungen orientiert. Dieser | |
beträgt etwa 150 Euro, was 27 Prozent des Regelbedarfs entspricht. | |
Statt die 150 Euro als Bargeldbedarf auch für Asylbewerber*innen | |
anzunehmen, hat die Verwaltung die 27 Prozent genommen und auf die Leistung | |
für Asylbewerber*innen von 185 Euro im Monat übertragen. Heraus kommt | |
ein angeblicher Bedarf von knapp 50 Euro. Abgesehen von dieser Berechnung | |
hat die Behörde nach eigener Aussage nichts unternommen, um den | |
tatsächlichen Bedarf an Bargeld zu ermitteln. | |
28 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kaum-mehr-Bargeld-fuer-Gefluechtete/!5997725 | |
[2] /Kommunen-vor-dem-Fluechtlingsgipfel/!5968243 | |
[3] https://www.socialcard.de/ | |
## AUTOREN | |
Theresa Moosmann | |
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