# taz.de -- Kaum mehr Bargeld für Geflüchtete: So lebt es sich mit der Bezahl… | |
> Seit einem Monat gibt es die Bezahlkarte für Geflüchtete in Hamburg. Auf | |
> dem Flohmarkt oder im Halal-Geschäft nützt ihnen die nichts | |
Bild: Mit der Bezahlkarte lässt sich hier nichts kaufen: Flohmarkt | |
HAMBURG taz | Als Djamila Nadir im Dezember aus Somalia nach Deutschland | |
geflohen ist, kam sie in eine Ersteinrichtung in Hamburg. Während die | |
Behörden ihren Fall prüften, musste sie sich für Dinge des tägliches | |
Gebrauchs wie Kleidung und Schuhe in den ersten Wochen Geld bei anderen | |
leihen. Doch als die Behörden ihr im Februar erstmals finanzielle Hilfe | |
gewährten, bekam sie die sogenannte [1][Social Card statt Bargeld]. | |
„Ich kann das Geld, das ich geliehen habe, jetzt nur langsam zurückzahlen“, | |
sagt Nadir. Denn sie hat zwar Anspruch auf knapp 180 Euro im Monat. | |
Überweisungen darf sie allerdings keine tätigen, und bar abheben darf sie | |
monatlich nur 50 Euro. | |
Nadir heißt eigentlich anders, aber sie möchte anonym bleiben. Seit einem | |
Monat gibt es in Hamburg die [2][Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen, | |
auch Sozialkarte genannt]. Sie wird an Menschen ausgegeben, die eine | |
Duldung haben oder über deren Asylgesuch noch nicht entschieden wurde. | |
Klingt nach Übergang – viele befinden sich allerdings monate- oder sogar | |
jahrelang in diesem Status. | |
Hamburg war das erste Bundesland, das die Barauszahlung der Sozialleistung | |
durch eine Bezahlkarte ersetzt hat. Laut Sozialbehörde wurden bisher 357 | |
Karten ausgegeben. Das Modellprojekt sei gut angelaufen, aktuell gebe es | |
keine Pläne, den Abhebebetrag von 50 Euro zu erhöhen. „Wir stellen eine | |
gute Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern fest“, sagt Wolfgang | |
Arnhold, Sprecher der Sozialbehörde. Die Leute seien erleichtert, dass sie | |
gleich „etwas in der Hand haben“. | |
## Starke Einschränkungen | |
Wenn man mit Betroffenen und Initiativen spricht, klingt das anders. | |
Mithilfe der Karte steuern Behörden die Ausgaben von | |
Asylbewerber*innen stark. Zum Beispiel dürfen sie damit nur noch in | |
Deutschland Geld abheben. Technisch möglich wäre auch, die Nutzung auf | |
bestimmte Postleitzahlengebiete zu beschränken. Außerdem zählt zu den | |
bundesweit geltenden [3][Mindestanforderungen an die Karte,] dass sie durch | |
die Behörden jederzeit gesperrt werden kann, im Falle von Missbrauch. | |
Gerade bei den Themen [4][Datenschutz und finanzielle Autonomie] gibt es | |
viel Kritik an der Karte. Welcher Zugriff auf die Daten möglich ist und wie | |
die Behörden die Daten über Ein- und Ausgaben der Menschen wirklich nutzen, | |
wird im Moment von der Linken in einer Kleinen Anfrage an den Senat | |
abgefragt, die bislang unbeantwortet ist. | |
Karteninhaber*innen können kein Geld überweisen, weder ins In- noch | |
ins Ausland. Das heißt, dass sie nichts Gebrauchtes mehr auf Ebay kaufen | |
können und auch auf Flohmärkten und in vielen Sozialkaufhäusern können | |
Asylbewerber*innnen nicht mehr einkaufen. | |
Bäcker verlangen oft noch einen Mindestumsatz bei einer Kartenzahlung, und | |
wenn in der Klasse des Kindes Geld für den Schulausflug eingesammelt wird | |
oder für das Geburtstagsgeschenk für die Lehrerin, ist auch Bargeld | |
gefragt. Durch die Überweisungssperre können Betroffene keine | |
Rechtsanwält*innen bezahlen, Handyverträge können sie ebenfalls nicht | |
abschließen. | |
Manches funktioniert nicht, wie Nadir vom Amt gesagt wurde, zum Beispiel | |
die Abhebefunktion an den Kassen. Auf der [5][Internetseite des | |
Finanzanbieters Secupay], der die Digitalisierung der Sozialleistung für | |
den Staat abwickelt, steht, dass es möglich wäre, ab einem bestimmten | |
Kaufbetrag auch Geld abzuheben. „Bei Aldi haben sie mich direkt | |
weggeschickt, bei Rossmann wurde der Dienst vom Gerät abgelehnt“, erzählt | |
sie. Wenn Nadir aber am Geldautomaten abhebt, können laut Stadt bis zu zwei | |
Euro Gebühren anfallen. | |
Gibt es Probleme mit der Karte, weiß Nadir nicht, wo sie schnell Hilfe | |
bekommt. Mit einer normalen Bankkarte kann man zur Bank, mit der Social | |
Card muss man theoretisch zum Amt. Die Stadt verweist auf den Dienstleister | |
Secupay. Dabei muss die Stadt laut den Mindestanforderungen des Bundes | |
eigentlich eine 24/7-Hotline für die Karteninhaber*innen einrichten. | |
Die gibt es nicht, wie die Sozialbehörde bestätigt. Sie sei lediglich | |
geplant. | |
Nadirs größtes Problem ist, dass die Karte an ihren Bedürfnissen vorbei | |
geht. „Ich esse in der Unterkunft, und brauche das Geld daher kaum für | |
Lebensmittel“, sagt sie. Lieber würde sie das Geld ansparen, oder eben ihre | |
Schulden bei Bekannten begleichen. Die Tatsache, ihr Geld nicht in der Hand | |
zu haben, verunsichert sie. „Ich habe Angst, dass die Behörden denken, ich | |
bräuchte das Geld nicht, wenn ich es nicht ausgebe, und es mir kürzen“, | |
sagt Nadir. „Wer sagt mir denn, dass das nicht passieren könnte?“ | |
Menschen, die die Karte aber tatsächlich für Lebensmittel nutzen wollen, | |
werden ebenfalls eingeschränkt. Viele möchten dort einkaufen, wo sie keine | |
Sprachbarriere vorfinden oder religiöse Bedürfnisse berücksichtigt werden. | |
Restaurants und kleinere Supermärkte zum Beispiel, die Essen anbieten, das | |
halal ist, haben auch oft keine Kartenzahlungsoption, sagt Sacdia Sheikdon | |
von der Initiative „Women in Action“. | |
## Nichts für Analphabeten | |
Die 29-Jährige hilft Frauen in der Erstaufnahme Rahlstedt. „Die Sozialkarte | |
ist rassistisch“, sagt sie. Menschen werde damit die Freiheit genommen, für | |
sich selbst zu sorgen. Zudem würden die Menschen mit der Karte allein | |
gelassen. „Ich treffe alte Menschen, und Menschen die keine Schulbildung | |
haben, die nicht verstehen, wie sie damit umgehen sollen“, sagt sie. | |
Auch eine Nachbarin von Nadir aus der Unterkunft kann nicht lesen oder | |
schreiben und ist überfordert mit der Karte, wie sie erzählt. Sheikdon von | |
der Initiative „Women in Action“ hat gemeinsam mit der Seebrücke Hamburg | |
und anderen Initiativen am heutigen Freitag einen Protest vor der zentralen | |
Erstaufnahme in Rahlstedt geplant. Sie fordern die Abschaffung der | |
Bezahlkarte. | |
[6][Nach Ansicht der Organisator*innen der Kundgebung verhindert die | |
Karte soziale Teilhabe]. Damit einher gehe eine Entwürdigung. „Selbst wenn | |
wir mit der Karte überall einkaufen könnten, fühlt es sich an, als wären | |
wir keine echten Menschen“, sagt Nadir. Sie hat ihre Kinder in Somalia | |
zurückgelassen. Sie wünscht sich ein gutes Leben in Deutschland – in einem | |
Staat, der ihr nicht misstraut. | |
14 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!5994899 | |
[2] /Debatte-um-Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!5994527 | |
[3] https://vergabe.mv-regierung.de/NetServer/TenderingProcedureDetails?functio… | |
[4] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bezahlkarte-fluechtlinge-bargeld-t… | |
[5] https://www.socialcard.de/user/#c107 | |
[6] /Asyl-in-Deutschland/!5994705 | |
## AUTOREN | |
Theresa Moosmann | |
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