# taz.de -- Kaberettist Josef Hader über neuen Film: „Auf dem Land war's mir… | |
> Mit „Andrea lässt sich scheiden“ legt Josef Hader seine zweite | |
> Regiearbeit vor. Es geht um Härten des Landlebens – und die traurigste | |
> Landeshauptstadt Österreichs. | |
Bild: Sieht sich selbst als „empfindlich und sozial unterbelichtet“: Der Ka… | |
taz: Herr Hader, nach sieben Jahren sind Sie erneut mit einem Film auf der | |
Berlinale vertreten. Anders als in Ihrem [1][Regiedebüt „Wilde Maus“] | |
spielen Sie diesmal aber nur eine Nebenrolle. Warum? | |
Josef Hader: Vielleicht, weil ich ein bisschen mehr Zeit für die Regie | |
haben wollte. Es hängt aber auch mit der Geschichte zusammen, die ich | |
erzählen wollte. Eine Geschichte, die am Land spielt. | |
„Andrea lässt sich scheiden“ (Panorama) spielt am Land – oder auf dem La… | |
wie man hier in Piefkistan sagt. Das ist in diesem Fall im Bundesland | |
Niederösterreich. Mit Andrea, wunderbar [2][gespielt von Birgit | |
Minichmayr], haben Sie sich für eine weibliche Protagonistin entschieden. | |
Weshalb? | |
Frauen am Land müssen ganz eigene Strategien entwickeln, um sich | |
durchzusetzen in dieser männlich dominierten Gesellschaft. Eine Frau ist in | |
dem Fall die bessere Hauptfigur. Weil sie es schwerer hat. | |
Sie selbst spielen den ehemaligen Religionslehrer und mehr oder weniger | |
trockenen Alkoholiker Franz. Im Gegensatz zu Ihren sonstigen Rollen ist | |
dieser Charakter kein Grantler mit cholerischen Tendenzen, sondern reumütig | |
und sensibel. Was entspricht denn eher Ihrem eigenen Gemüt? | |
Wahrscheinlich eher das Sensible. Wenn ich an meine Kindheit am Land | |
zurückdenke, dann war es mir dort oft zu grob. Ich hatte nicht die besten | |
Voraussetzungen, das zu erfüllen, was man von einem Mann am Land erwartet: | |
Ich hatte eine zu dünne Haut, war zu wenig robust fürs Landleben. Franz ist | |
auch so eine filigrane Figur. Vielleicht ist er jemand, zu dem ich hätte | |
werden können, wenn ich dort geblieben wäre, wo ich aufgewachsen bin. | |
Wie sind Sie denn heute? | |
Noch immer etwas empfindlich und sozial unterentwickelt (grinst | |
verschmitzt). | |
So wirken Sie auf mich nicht, aber wir kennen uns ja auch erst seit ein | |
paar Minuten. Besonders schön – wobei schön im klassischen Sinne falsch ist | |
– finde ich den Ort der Handlung namens Unterstinkenbrunn. Das ist keine | |
Erfindung ihrerseits: die Gemeinde existiert tatsächlich. Sie ist für ihren | |
Zwiebelanbau bekannt und hat dem Lauchgewächs sogar ein phallisch | |
anmutendes Denkmal inmitten eines Kreisverkehrs gewidmet, auf das Sie im | |
Film wiederholt die Kamera halten. Wie haben Sie diesen Ort gefunden? | |
Ich bin während des Schreibens am Drehbuch in der Gegend herumgefahren, auf | |
der Suche nach passenden Drehorten. Man hat ja Phasen, in denen einem | |
nichts einfällt, da sucht man dann die Landschaft, in der der Film spielen | |
könnte. Der einzige fixe Drehort war St. Pölten. Dorthin will sich Andrea, | |
die Polizistin ist, versetzen lassen. In Österreich ist das schon Teil der | |
Komödie, wenn man in eine Stadt flüchten will und dann ist das St. Pölten. | |
St. Pölten ist die Hauptstadt von Niederösterreich. | |
Genau. Die traurigste Landeshauptstadt, die wir haben. Dort wurde in den | |
Neunzigerjahren ein überdimensioniertes Regierungsviertel hingeknallt: Ein | |
anthrazitfarbener Architektentraum. Das sieht man auch im Film, es sieht | |
aus wie ein kleiner, geschrumpfter Potsdamer Platz ohne Berlinale. | |
Interessanter Vergleich. Dort spielt aber nur ein kleiner Teil, wenn sich | |
Andrea mit ihrem künftigen Chef Walter, gespielt von Robert Stadlober, | |
trifft. Zurück nach Unterstinkenbrunn: | |
Richtig. Also zunächst hatte ich den Impuls, dort zu drehen, wo ich | |
herkomme, aber da war es mir zu grün und zu hügelig. Da sähe man dann im | |
Film wenig Horizont, wenig Himmel, keine Weite. So bin ich ins Weinviertel | |
gekommen, da ist es flacher, eine Hochebene, wo immer der Wind weht und die | |
Leute sich nicht voreinander in Wäldern oder hinter Felsen verstecken | |
können. Eine Gegend, wo man nicht umeinander herumkommt. | |
Worum man in Niederösterreich leider auch nicht herumkommt, ist die, sagen | |
wir sicherheitshalber, in Teilen rechtsextreme FPÖ. Sie koaliert dort mit | |
der ÖVP. Vor einem Jahr haben Sie sich mit anderen [3][Kulturschaffenden in | |
einem offenen Brief] an die dortige Landeshauptfrau gewandt, in der | |
Hoffnung, sie würde von einer Koalition mit der FPÖ absehen. Vergeblich. | |
Wäre Ihr Film nicht auch eine gute Gelegenheit gewesen, die rechten | |
Tendenzen dort zu thematisieren? | |
Ich habe schon früh in meiner kabarettistischen Arbeit entschieden, dass | |
ich das Politische lieber anhand des Privaten untersuchen möchte und nicht | |
anhand von Tagespolitik. Wenn ich mich direkt politisch positioniere, dann | |
außerhalb meiner Arbeit, einfach als Bürger, wie mit dem offenen Brief. Ich | |
kenne auch keinen einzigen guten Film, in dem Politik direkt verhandelt | |
wird. Aber ein Film kann eine gesellschaftliche Stimmung beschreiben, das | |
hab ich versucht. Da gibt es gedankenlose Bemerkungen, als Witze getarnte | |
Gemeinheiten, dahinter könnte man eine latente Aggression vermuten. | |
Wie in der Szene, wo Andrea einen ehemaligen Schulkollegen und Dorfbewohner | |
wegen Geschwindigkeitsübertretung anhält und er sagt, dass sie sich wie in | |
der SS aufführe? | |
Ja, das ist ein Beispiel dafür, wie sorglos man mit solchen Vergleichen | |
umgeht. Ein anderes Beispiel ist ein Satz im Film, den ich selbst auch | |
schon so gehört habe und von dem ein Zuschauer nach einer | |
Berlinale-Premiere meinte, er habe ihn auch in Bayern schon mehrmals | |
vernommen: „Hauptsache, es ziehen [ins Nachbarhaus] keine Türken ein.“ Das | |
sagt in meinem Film ein netter alter Herr, und nachher grinst er | |
freundlich. War ja nicht so ernst gemeint. So was mag ich gerne, in einem | |
Film ein Bild malen, aus lauter kleinen Pinselstrichen. Für eine | |
Tragikomödie mit tagespolitischen Anspielungen fehlt mir aber die Fantasie. | |
Es gibt aber tolle Filme, die Realpolitisches als echtes Drama erzählen. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
„Missing“ (1982) von Constantin Costa-Gavras. Der Film basiert auf dem Fall | |
des US-Journalisten Charles Horman, der 1973 kurz nach dem Militärputsch in | |
Chile vor Ort entführt und ermordet wurde. Hormans Vater reiste nach Chile, | |
um nach ihm zu suchen. Gespielt wird er im Film von Jack Lemmon. Ich kann | |
mich noch gut erinnern, wie beeindruckt ich von dessen Leistung war, wie | |
nah beieinander die schauspielerischen Mittel liegen, wenn man Komisches | |
oder wie hier Tragisches spielt. Man muss beides mit der gleichen | |
Ernsthaftigkeit spielen, die komische oder tragische Wirkung entsteht aus | |
dem Zusammenhang. | |
In [4][ihrem letzten taz-Interview] nannten Sie als Rollenvorbilder James | |
Stewart in „Mein Freund Harvey“ (1950) und Gene Hackman in „French | |
Connection“ (1971). Wer hat Sie dieses Mal zu Franz inspiriert? | |
Am Ende des Films steht ein Name von jemandem, an den ich erinnern möchte. | |
Ein Mitschüler von mir, der Religionslehrer geworden ist und auch ein | |
bisschen eine zu dünne Haut hatte, also auch das zerbrechliche Wesen vom | |
Franz. Der hat mich inspiriert. Ich habe ihn das Drehbuch lesen lassen und | |
wir haben uns mehrmals getroffen und darüber diskutiert. Leider ist er | |
gestorben, bevor der Film fertig wurde. | |
Das tut mir leid. | |
Mir auch. | |
In Ihrem Bühnenprogramm „Hader on Ice“ verkörpern Sie einen Boomer, der | |
unter anderem seiner Wut im Internet freien Lauf lässt. Sie selbst treten | |
eher moderat in den sozialen Medien auf. Haben Sie schon mal an eine | |
Instagram-Laufbahn gedacht, wie [5][Ihre Kollegin Toxische Pommes]? | |
Während des Schreibens des Programms habe ich so kleine Videos gemacht zum | |
Austesten. Die hab ich im ersten Lockdown hochgeladen und geschaut, was | |
passiert. | |
Und was ist passiert? | |
Nicht viel, aber ich habe gemerkt, dass das nervlich zu anstrengend für | |
mich ist. Ich bin jemand, der, wenn er zehn gute Kommentare liest und einen | |
schlechten, aufgrund des Schlechten nicht schlafen kann. Aber ich bewundere | |
Irinas (Hinweis der Redaktion: Toxische Pommes heißt mit bürgerlichem | |
Vornamen Irina) Arbeit. Sie arbeitet sich an einer Migrantenkindheit in | |
Wiener Neustadt ab. Auch so ein St. Pölten, aber vielleicht noch schlimmer. | |
Sie macht das so lustig und herzzerreißend tragisch und gefühlvoll, einfach | |
großartig. Das setzt sie auf der Bühne und auch in ihrem neuen Buch ganz | |
toll um. | |
21 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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