# taz.de -- Alkoholfreies Landgasthaus: Hauptsache ohne Prozente | |
> Die Sägemühle, ein Wirtshaus im fränkischen Großenohe, bietet seit Anfang | |
> des Jahres nur noch alkoholfreie Biere an. Die Geschichte einer Rettung. | |
Bild: In der Gaststube: Wirtsleute Gößl und Kloz | |
Großenohe ist malerisch gelegen. Die Straße führt durch ein enges Tal, da | |
oben müssen irgendwo die drei Zinnen stehen, eine dieser eindrucksvollen | |
Felsformationen, für die die Fränkische Schweiz bekannt ist. Nicht einmal | |
80 Menschen leben hier in den Fachwerkhäuschen. Ein Bach gurgelt lieblich. | |
Wenn Fremde kommen, sind das meist Wanderer oder Kletterer – mit Hunger im | |
Bauch von der sportlichen Betätigung an der frischen Luft. | |
Es gibt eine Einkehr, den Gasthof zur Sägemühle. Im Sommer wird man im | |
Biergarten sitzen, dem Bächlein und dem schnurrenden Kätzlein lauschen und | |
den Blick an sanften Hängen ruhen lassen. Nun fehlt dem Wanderer zum ganzen | |
Glück nur noch ein bis über den Rand vollgeschenkter Humpen mit | |
bernsteinfarbenem Landbier von einer dieser kleinen inhabergeführten | |
Brauereien der Region mit der höchsten Brauereidichte der, mindestens, | |
Welt. Fast 30 verschiedene Sorten stehen auf der Karte der Sägemühle – und | |
alle sind alkoholfrei. | |
Deswegen sind wir da. Auch die Kolleg:innen von TV Oberfranken aus | |
Bamberg, deren Auto auf dem Parkplatz steht. Ein Gasthaus in der | |
ausgerechnet oberfränkischen fränkischen Provinz, das kein Bier mehr | |
ausschenkt, das ist nicht nur ungewöhnlich, das ist für viele Menschen eine | |
Provokation. „Wir waren schon immer anders“, sagt Kerstin Gößl, die Chefi… | |
die die Sägemühle seit 2019 zusammen mit ihrem Mann Vladimir Kloz führt. | |
Gößl sprudelt los, sobald man ihre eine Frage stellt, betreut die | |
Presseleute, nimmt zwischendurch Anrufe entgegen. Sie hat die alkoholfreien | |
Biere in Formation auf dem Tresen bereitgestellt, für den Fotografen. | |
Sie meint: Die Sägemühle war schon vor dem Alkoholverzicht ein gluten- und | |
laktosefreies Restaurant mit einem veganen Angebot, das über Pommes | |
hinausgeht, also einzigartig im weiten Umkreis. Am Wochenende beginnt Gößls | |
Tag um 2 Uhr morgens, dann backt die gelernte Konditorin die Kuchen und | |
Torten. „Die sind alle vegan“, sagt sie, „ich schreibe es aber nicht dazu… | |
Die Leute würden das niemals merken, aber wenn man es ihnen unter die Nase | |
reibe, beschwerten sich manche. | |
Die abgelegene Lage der Sägemühle spreche für dieses | |
Alleinstellungsmerkmal, nicht dagegen: Die Leute brauchen einen Grund, um | |
herzufahren. Das Fassbier einer regionalen Brauerei sprudelte derweil aller | |
glutenfreien Schnitzelpanaden zum Trotz aus dem Hahn. Bis Anfang dieses | |
Jahres. Als Kerstin Gößl den Zapfhahn abbaute, um ihr Geschäft zu retten – | |
und ihren Mann. | |
Vladimir Kloz ist ein stämmiger, stoischer Mann mit zum Zopf gebundenem | |
dunklem Haar. Er ist nicht begeistert, dass er das aus der Box wummernde | |
Rockradio ausmachen soll, wegen des Fernsehteams. Er scheint allgemein | |
nicht sehr angetan von dem Presserummel. Kloz klopft mit dem mächtigen | |
Metallhammer Schnitzel, auf dem Herd blubbert das böhmische Gulasch, der | |
Koch ist Tscheche. Die Interviews führt seine Frau, auch wegen der Sprache. | |
Nicht-Presse-Gäste sind am frühen Abend noch keine da, wegen des Regens, | |
meint Gößl, kein Wanderwetter. | |
Alkohol sei schon vorher ein „Thema“ für ihren Mann gewesen. „Corona hat | |
dann den letzten Rest dazu gegeben. Die Existenzängste, der Stress …“ | |
Irgendwann habe er schon nach dem Morgenkaffee sein erstes Bier geöffnet, | |
aber fast nichts mehr gegessen. Es sei zur Belastung geworden, für das | |
Geschäft und die Beziehung. Er habe immer häufiger cholerisch reagiert. „Da | |
ist dann schon mal ein Teller geflogen, wenn ich die Salate nicht schnell | |
genug getragen habe.“ Am nächsten Tag wusste er nichts mehr davon. Ihr | |
gegenüber sei er nie gewalttätig geworden, darauf legt sie wert. | |
Sie habe ihren Mann in der Zeit nicht verlassen, weil sie wusste, wie er | |
ist, wenn er nicht getrunken hat. Und weil sie das hier – den Gasthof im | |
Idyll – mit viel Herzblut gemeinsam gerade erst aufgebaut hatten. Immer | |
wieder hätte ihr Mann versucht, aufzuhören, aber er saß ja weiterhin an der | |
Quelle. 2023 kamen gesundheitliche Probleme hinzu: Schmerzen in den | |
Organen, Übelkeit, Bluthochdruck. „Ein permanenter Kater, so hat er es | |
beschrieben. Er hat früh getrunken, damit es ihm besser geht, das ist | |
dieser Kreislauf, in den man dann reinrutscht.“ | |
An Neujahr 2024 öffnet die Sägemühle um 14 Uhr und Vladimir Kloz sitzt in | |
seiner braun-weiß gekachelten 70er-Jahre-Gastro-Küche und weint. Er sagt, | |
so erzählt es seine Frau: „Entweder ich hör auf, oder du kannst mich morgen | |
auf den Friedhof fahren.“ Kerstin Gößl nimmt das Telefon, ruft einen | |
Krankenwagen und packt ihrem Mann die Tasche. Zu den Sanitätern sagt sie: | |
„Er möchte weg und ich möchte nicht, dass er heute wieder heimgeht.“ | |
Genau das sei für sie der schönste vorstellbare Jahresstart gewesen. „Ich | |
werde den Dämon Alkohol besiegen“, schreibt Kloz damals in einem | |
Entschuldigungs-Post auf Facebook. Elf Tage lang bleibt er in der Klinik | |
und entzieht. Drei Monate sei ärztliche Empfehlung, sagt Gößl, aber dann | |
hätte sie den Laden gleich dicht machen können. Stattdessen räumt sie alles | |
weg. Kein Tropfen soll mehr in der Sägemühle zu finden sein, wenn ihr Mann | |
nach Hause kommt. Seitdem testen sie sich durch das alkoholfreie Angebot | |
der Brauereien und Winzer. Die freuen sich und schicken Freiware. | |
Gegen 18 Uhr kommt Familie Hardenberg ins Gasthaus – wegen der vegan und | |
alkoholfrei lebenden Schwiegertochter. Sie sind aus Nürnberg angereist, das | |
sind fast 40 Kilometer, um gemeinsam Essen gehen zu können. Gößl serviert | |
Gulasch und Sojaschnitzel. Die glutenfreie Panade vom veganen oder nicht | |
veganen Schnitzel ist in der Tat krosser, aufregender als die oft pampige | |
auf Weizenmehlbasis. | |
Der Familienvater will seiner Frau den Saibling selbst käschern. Auch das | |
ist hier möglich, im Teich vor dem Haus. Nein, erklärt er, grundsätzlich | |
auf Bier und Wein verzichten wolle er nicht, aber zu einem solchen Anlass | |
sei das völlig okay: „Unsere fränkischen Freunde“, sagt der aus | |
Norddeutschland Stammende, „würden das Angebot am Abend eher nicht | |
wahrnehmen.“ | |
Alkohol ist in Bayern – und in Franken besonders – ein emotionales Thema, | |
ein integraler Teil der Kultur, der Geselligkeit, der Politik. Es werde | |
verherrlicht, sagt Gößl, und dabei vergesse man nicht nur den Schaden, den | |
die „schlimmste legale Droge“ anrichtet, sondern auch die Menschen, die | |
verzichten müssen: „Allein der abgestandene Biergeruch kann für | |
Alkoholkranke ein Trigger sein. Ich würde sofort umdrehen und gehen, wenn | |
ich betroffen wäre.“ Sie genießt, dass die Sägemühle heute nicht mehr nach | |
Bier riecht, dass der Tresen nicht mehr klebt. Und wenn der Biergarten voll | |
ist, so wie am Sonntag vor einer Woche, dann trinken die Gäste am Ende | |
mehr: „Die wollen dann möglichst viele alkoholfreie Biere ausprobieren und | |
können danach immer noch Auto fahren. Wir haben Rekordumsatz gemacht.“ | |
Mit der Alkoholfrei-Entscheidung kam die Presse nach Großenohe, auf die | |
Berichte folgten Tausende Kommentare: die allermeisten positiv und | |
respektvoll, dazwischen die passionierten Bierfans, die ankündigen, da | |
bestimmt nicht hinzufahren und die Insolvenz prognostizieren. Da hätten | |
sich Leute aufgeregt, die noch nie in der Sägemühle waren, sagt Gößl. „Wer | |
es nicht mal schafft, bei einem Lokalbesuch ein bis drei Stunden auf | |
Alkohol zu verzichten, hat definitiv ein Problem. Aber es gibt bei uns ja | |
immer noch Politiker, die sagen, Bier ist Grundnahrungsmittel, da könnte | |
ich … Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“ | |
Die Nürnberger Familie sitzt über ihrem Essen; Vater und Sohn trinken | |
alkoholfreie Biere von kleinen fränkischen Brauereien. Zeit für den Chef, | |
sich eine Zigarette zu drehen. Ob er sich das hätte vorstellen können, | |
Gastwirt eines alkoholfreien Ladens? | |
Kloz sucht nach Worten und findet ein fränkisches: „Manche Leute sagen, das | |
ist ein G’schmarri. Aber negative Werbung ist auch Werbung. Warum nicht | |
erster sein?“ Er habe Flashbacks gehabt, plötzliches Wiederauftreten der | |
Entzugserscheinungen, und an seiner Kondition müsse er arbeiten, sonst gehe | |
es ihm gut. Den Alkohol nennt er seine „dunkle Persönlichkeit“, die immer | |
gefüttert werden musste. | |
Kerstin Gößl und Vladimir Kloz führen den Betrieb zu zweit. Das Gasthaus | |
ist nur Freitag bis Sonntag geöffnet, hinzu kommen Einnahmen durch | |
Feriengäste und einen kleinen Hofladen. Kerstin Gößl hat viel geredet, viel | |
erzählt. Sie ist nicht mehr nervös, wenn die Presse in Großenohe | |
vorbeikommt. Und sie ist erleichtert, weil es ihr gelungen ist, das zu | |
retten, was ihr am Herzen liegt: „Es ist wieder entspannt“, sagt sie. „Es | |
läuft, es funktioniert. Und er macht wieder Späßla. Er ist wieder so, wie | |
als wir uns kennengelernt haben.“ | |
14 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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