# taz.de -- Macher:innen über Film „Des Teufels Bad“: „Die Österreicher… | |
> Im Film „Des Teufels Bad“ wird eine Frau zur Mörderin. Sie sei das Opfer | |
> ihrer Lebensumstände geworden, sagen die Regisseur:innen Veronika | |
> Franz und Severin Fiala. | |
Bild: Von gegenseitigem Vertrauen geleitet: Veronika Franz und Severin Fiala ha… | |
taz: Frau Franz, Herr Fiala, Sie sind über einen Podcast auf den Stoff zu | |
Ihrem Film gestoßen. In [1][„Des Teufels Bad“] geht es um eine sensible | |
junge Frau, die im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts an der Strenge einer | |
gottesfürchtigen bäuerlichen Gesellschaft zu Grunde geht und keinen Ausweg | |
mehr als den „mittelbaren Selbstmord“ sieht. Die Hauptfigur Agnes tötet ein | |
Kind, um selbst zum Tode verurteilt zu werden, und so – anders als beim | |
Suizid – noch die Möglichkeit zur Beichte zu erhalten. Was hat Sie davon | |
überzeugt, dass Sie diese Geschichte filmisch erzählen wollen? | |
Veronika Franz: Wir waren zuerst einmal von diesem historischen, wenig | |
bekannten Phänomen des „mittelbaren Selbstmords“ beeindruckt. Es wirft das | |
Klischee über Bord, dass Frauen keine Gewalttaten begehen würden und | |
grausame Dinge einfach nicht tun. Uns interessieren in unseren Filmen immer | |
Menschen, die Opfer und Täter gleichzeitig sind. Das ist hier der Fall: Es | |
geht um Frauen, die Opfer ihrer Lebensumstände sind, des gesellschaftlichen | |
Drucks, die als Außenseiter schlicht nicht hineinpassen, dann in eine | |
Depression rutschen und eine Gewalttat begehen. | |
Der Auslöser dafür, dass wir sagten, das muss ein Film werden, war, als uns | |
eine amerikanische Historikerin ihr Archiv öffnete und wir auf die | |
Verhörprotokolle zu dem im Film gezeigten Fall aus Oberösterreich gestoßen | |
sind. Der zuständige Inquisitor wollte unbedingt wissen, warum diese Frau | |
ein Kind umgebracht hat, und stellte für das Jahr 1750 sehr psychologische | |
Fragen. Bis hin zu: „Wie war der Sex mit Ihrem Ehemann?“ Eigentlich weiß | |
man über Frauen aus dieser Zeit, die nicht berühmt oder reich sind, | |
schlicht nichts. Und nun wirkte es so, als würde sie plötzlich über die | |
Jahrhunderte hinweg zu uns sprechen: über ihr Leben, ihre Ängste, ihre | |
Schwiegermutter. Darüber, dass sie eigentlich aus einer viel großzügigeren | |
Familie kam, als die, in die sie eingeheiratet hat – und welche Furcht sie | |
davor hatte. Heute würde man sagen, sie war eine Perfektionistin, die | |
immerzu das Gefühl hatte, sie macht die Dinge nicht gut genug. Das hat uns | |
sehr bewegt. | |
„Des Teufels Bad“ behandelt einen düsteren geschichtlichen Aspekt. Auch | |
wenn es sich zuerst um einen historischen Stoff handelt: Was hat der Film | |
mit unserer Gegenwart zu tun? | |
Severin Fiala: Der Leistungsdruck und der Perfektionismus, an dem diese | |
Figur zu Grunde geht, hat auch etwas sehr Heutiges, wie wir finden. Genauso | |
die Depression als Krankheit, mit der man als Gesellschaft immer noch nicht | |
umgehen kann. Dieses Phänomen des „mittelbaren Selbstmords“ – jemanden zu | |
töten, um selbst sterben zu können – ist auf den ersten Blick etwas ganz | |
Absurdes. Wenn man sich in dieses Thema aber einmal begibt, bemerkt man, | |
dass an diesen Zwängen auch etwas über das Heute abzulesen ist. | |
Welche Zwänge meinen Sie damit, und inwiefern ragen sie in unser Heute? | |
VF: Religiöse Dogmen etwa. Es gibt mittlerweile Studien darüber, dass | |
Selbstmordattentäter in Wahrheit melancholische Personen sind, die an | |
Depressionen erkrankt sind. Die sich für solche grausamen Taten zur | |
Verfügung stellen, um mit „dem Segen Gottes“ zu sterben und andere dabei | |
umbringen. | |
SF: Unsere Gesellschaft an sich wirkt auf den ersten Blick viel freier als | |
damals. Wir sehen aber eine Tendenz, dass man auch heute Menschen schnell | |
in eine Schublade packt, aus der man sich am besten nicht herausbewegen | |
soll. Vielleicht ist es Social Media geschuldet, dass man mit einem Daumen | |
„rauf“ oder „runter“ absolut urteilt, anstatt sich mit den Menschen und | |
Dingen wirklich zu beschäftigen. Das ist, woran auch unsere Figur im Film | |
leidet: Sie passt in keine Schublade. Damit konnte man damals nicht | |
umgehen, und das hat sich, glaube ich, gar nicht verändert. Menschen, die | |
in keine Schublade passen, haben es heute auch nicht viel leichter. | |
Für die Hauptrolle wählten Sie die [2][österreichische Sängerin und | |
Komponistin Anja Plaschg], besser bekannt als Soap & Skin. In ihrer Musik | |
findet sich viel von der finsteren Melancholie, aber auch der enormen | |
Zartheit, die ihre Figur Agnes ausmacht. Dennoch ist Anja Plaschg zuvor | |
nicht stark als Schauspielerin in Erscheinung getreten und ihr Part ein | |
überaus anspruchsvoller. Weshalb waren Sie sich sicher, dass Anja Plaschg | |
die Richtige dafür ist, und wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt? | |
VF: Wenn man einen Film anfängt, glaubt man an Dinge. Sicher ist man nie, | |
aber wir hatten ein Vertrauen darauf, dass man diese Reise gemeinsam | |
begehen kann. Anja Plaschg ist zwar keine ausgebildete Schauspielerin, aber | |
selbst jeder professionell geschulte Schauspieler hat Grenzen. Die zu | |
kennen ist als Regisseurin und Regisseur eigentlich viel wichtiger: Können | |
und Charisma erkennt man schnell, aber wichtig ist das, was | |
Schauspielerinnen und Schauspieler nicht können. Das weiß man vorher nicht, | |
auch bei berühmten Schauspielern. | |
SF: Wir haben einfach gesagt, wir vertrauen uns. Anja Plaschg wusste | |
natürlich auch nicht viel über uns, und so haben wir gesagt: Wir trauen uns | |
gemeinsam. | |
VF: Genau, und dann hat sich herausgestellt, dass sie ein Wundertalent ist. | |
Sie ist wahnsinnig diszipliniert. Als würde sie Tonleitern üben, konnte sie | |
jeden Take dreizehnmal gleich wiederholen, wenn man das von ihr wollte. Und | |
andererseits, wie man es auch aus ihren Konzerten kennt, kann sie sich dem | |
Moment gegenüber wahnsinnig gut öffnen und aussetzen. Anja Plaschg ist | |
jemand, der sehr an der physischen Erfahrung, die man mit Film machen kann, | |
interessiert ist. | |
Für Sie beide ist „Des Teufels Bad“ der vierte Spielfilm, an dem sie bei | |
Regie und Drehbuch zusammenarbeiten. Regieduos sind nach wie vor eine | |
Seltenheit, die Gefahr künstlerischer Differenzen ist groß. Was eint Sie in | |
Ihrer Herangehensweise an Film? | |
SF: Uns eint, dass wir im Kino nach Dingen suchen, die verstören und | |
angreifen. Wir sind angetan von einer Form des gefährlichen Kinos, das | |
einen selbst infrage stellt und erschüttert als den Menschen, der man zu | |
sein glaubt. Solche Filme versuchen wir dann gemeinsam zu machen. Das | |
funktioniert, weil wir uns sozusagen das erste Publikum sind, und uns | |
gegenseitig solche Dinge zumuten wollen. | |
Sie haben sich immer wieder religiösen Motiven und der Familie als Hort, in | |
dem Horror und Gewalt erwachsen, zugewandt. Mit einer [3][Adaption des | |
Romans „A Head Full of Ghosts“ soll ein Film über einen Exorzismus folgen]. | |
Was fasziniert Sie an diesem Themenkomplex? | |
VF: Das Katholische ist in Österreich noch sehr präsent, und wir sind beide | |
unter diesem starken Einfluss aufgewachsen. | |
SF: Ich glaube, man beschäftigt sich immer mit dem, woher man kommt. | |
Tragen Ihre Filme damit auch etwas spezifisch Österreichisches in sich? | |
Meist wirken sie beinah wie Antiheimatfilme, insbesondere die Produktionen, | |
die aus der Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Frau Franz, und Ulrich Seidl | |
entstanden sind. | |
VF: (lacht) Wir haben sehr lachen müssen, als die Jurypräsidentin sagte, | |
ihr Lieblingsfilm sei „Sound of Music“. Da haben wir uns gesagt: Nanja, wir | |
haben einen „Anti-Sound-of-Music“ gedreht. | |
SF: Im Katholischen geht es immer um die Schuldfrage. Darum, wer wodurch | |
womöglich Schuld auf sich geladen hat. Gleichzeitig sind die Österreicher | |
gewissermaßen Weltmeister im Verdrängen und haben sich mit vielen Dingen in | |
der Vergangenheit nicht beschäftigt. Das interessiert uns natürlich als | |
Filmemacher: die Leichen, die im Keller lauern, von denen man glaubt, sie | |
eigentlich begraben zu haben, die sich aber den Weg an Tageslicht bahnen. | |
VF: Was die Schuld betrifft: Wir behandeln meist Situationen, in denen | |
niemand wirklich allein schuld ist. In Österreich ist einer der häufigsten | |
Ausrufe: „Ich bin nicht schuld!“ oder „Du bist schuld!“. Wir glauben eh… | |
dass es nicht um die Einzelschuld eines Menschen geht, sondern dass es | |
meist an Kommunikation mangelt. Oft kommt es zu einer verheerenden | |
Verknüpfung von Situationen, weil man nicht miteinander spricht. Die | |
Österreicher verdrängen, die sprechen nicht darüber. Darin sind sie ganz | |
anders als die Deutschen. | |
22 Feb 2024 | |
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[1] https://www.berlinale.de/de/2024/programm/202406824.html | |
[2] /Neues-Album-von-Soap--Skin/!5552455 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=wBhpiDc1-Hs | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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