# taz.de -- Männlicher Blick bei den Filmfestspielen: Musen, Mütter, Mörderi… | |
> Wie Frauen dargestellt werden, ist oft belastet von überholten | |
> Rollenbildern. Das zeigt ein kritischer Blick auf das Programm des | |
> Filmfest in Cannes. | |
Bild: Nathalie Emmanuel und Adam Driver als Julia und Caesar in Francis Ford Co… | |
Ob das noch mal was wird mit der Gleichberechtigung? Ob Menschen, die nicht | |
von Sexismus betroffen sind, irgendwann einsehen, dass die anderen, die | |
Betroffenen, beim Durch-das-Leben-Spazieren nicht die gleiche Wahrnehmung | |
haben? Dass sie Gesten, Sprüche, Stimmungen unterschiedlich interpretieren, | |
als bedrohlicher empfinden können? Dass sie in der gleichen Umgebung andere | |
Erfahrungen machen? | |
Die Kultur spiegelt immer, wo man steht: Yorgos Lanthimos, dessen neuer | |
Film gerade bei den Filmfestspielen in Cannes läuft, [1][landete just mit | |
„Poor Things“, einer schwarzweißen Selbstermächtigungsgeschichte mit Emma | |
Stone, einen Riesenhit.] Obwohl man sich (oder auch Lanthimos) durchaus | |
fragen könnte, wieso die Protagonistin des hübschen Steampunkmärchens so | |
phallusfixiert ist und anscheinend zu den (je nach Studie) mickrigen 4 bis | |
15 Prozent aller Frauen gehört, die allein durch Penetration einen Orgasmus | |
erreichen. | |
Weil die Darstellung der anatomischen Normalität so kompliziert ist? Weil | |
Bilder von Sex traditionell aus dem für eine männliche Zielgruppe | |
generierten Pornokanon stammen? Oder doch, weil Männer wie Lanthimos sich | |
einfach gern einreden, allein ihr Zauberstab könne Damen anständig | |
beglücken? | |
In Frankreich, dem Land, in dem cherchez la femme zur Chefsache erklärt und | |
Belästigungen lange als Kavaliersdelikte abgetan wurden, scheiden sich im | |
Zuge der Filmfestspiele eh gerade die Geister. | |
Am Tag der Eröffnung erschien ein offener Brief in Le Monde, in dem es um | |
die fehlenden Konsequenzen der gestiegenen Sensibilisierung für #MeToo, | |
also um geschlechtsspezifischen Machtmissbrauch ging. Unterschrieben hatten | |
auch Filmschaffende wie Isabelle Adjani, Juliette Binoche oder Judith | |
Godrèche [2][(Letzere zeigt in Cannes einen Film über die | |
#MeToo-Bewegung).] „Wer hört uns eigentlich?“, steht in dem Brief, und das | |
ist eine gute Frage. | |
## Wer erzählt? Wer kann es besser? | |
Wer kann eigentlich wessen Schicksal am besten erzählen?, könnte man auch | |
mal fragen: In Francis Ford Coppolas ebenfalls in Cannes aufgeführtem | |
Alterswerk „Megalopolis“ tanzen normativ hübsche, junge, ebenmäßige Frau… | |
um den vor Sinnkrise und Kreativität brodelnden Protagonisten herum, lieben | |
ihn, sind seine Musen und kriegen seine Kinder; das Ganze im hochglänzenden | |
Setting einer Patek-Philippe-Luxusuhrenwerbung. Zusammen mit der Premiere | |
wurden Vorwürfe laut, beim Dreh sei Coppola den spärlich bekleideten | |
Komparsinnen gegenüber übergriffig geworden. | |
Der (männliche) Regisseur Magnus von Horn beschreibt im | |
Cannes-Wettbewerbsbeitrag „The Girl with the Needle“ die grässliche | |
Geschichte einer unfreiwilligen Mutter, die 1918 auf eine multiple | |
Kindsmörderin trifft, und spart nicht mit Bildern vom Laktieren. Was in die | |
von Trine Dyrholm undurchschaubar gespielte Mörderin gefahren ist, hätte | |
wahrscheinlich auch eine Regisseurin nicht besser erklären können, es ist | |
einfach zu furchtbar und fremd. | |
Aber dass es sich bei den – in Relation zu Männern – wenigen historischen | |
Serienmörderinnen immer um Frauen handelte, die Schwächere (Kinder, Kranke) | |
töteten, kippt bei Magnus von Horns Genrefilm, der auf der wahren | |
Geschichte der Serienkindsmörderin Dagmar Overby beruht, ins rein | |
Schaurige. | |
[3][Severin Fialas und Veronika Franz’ Film „Des Teufels Bad]“, der auch … | |
Wettbewerb der Berlinale lief, hatte das bedrückende Thema psychologisch | |
konziser erzählt: Es ging um suizidale Frauen, die Schwächere (Kinder) | |
morden, um zum Tode verurteilt zu werden. Denn ein Selbstmord war in ihrer | |
von Regeln und Gottesfurcht geprägten Gesellschaft undenkbar. | |
Noch eine von einem Mann erzählte, gnadenlose Cannes-Frauengeschichte | |
gefällig? In [4][George Millers] „Furiosa“ rächt sich eine Lkw-Fahrerin am | |
Mörder ihrer Mutter. Bei Berufskraftfahrer:innen gibt es im wahren | |
Leben übrigens eine Frauenquote von 2 Prozent. Aber das Ganze spielt ja | |
auch im „Mad Max“-Universum. | |
18 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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