# taz.de -- Hape Kerkeling: „Diktatoren sind humorlos, aber sind sie dumm?“ | |
> Der Komiker Hape Kerkeling wird 60. Ein Gespräch über die Bedeutung von | |
> Humor in autoritären Zeiten und warum Intelligenz überschätzt ist. | |
Bild: Hape Kerkeling: deutscher Komiker, Fernsehmoderator, Schauspieler und Sä… | |
taz: Lieber Herr Kerkeling, zu Ihrem 60. widmet die ARD Ihnen eine | |
umfassende TV-Dokumentation. Die 80er sind ja, räusper, gefühlt noch gar | |
nicht so lange her. Kommt es Ihnen bisweilen komisch vor, auf einmal ein | |
„Urgestein“ der deutschen [1][Fernsehunterhaltung] sein zu sollen? Gestern | |
war das ja noch Frank Elstner … | |
Hape Kerkeling: Isser immer noch. Da ich bereits mit 19 Jahren angefangen | |
habe, ziemlich flott erfolgreich war und viele unterschiedliche Genres | |
bedient habe, ist da in über 40 Jahren ein bunter Flickenteppich | |
entstanden. [2][Filme, Sketche, Shows], Songs und Bücher. Es ist ja alles | |
dabei in meinem künstlerischen Gemischtwarenladen. Anscheinend war das | |
alles auch gar nicht so schlecht, wie ich selbst manchmal – als mein | |
schlimmster Kritiker – angenommen hatte. In meinem Schaffen wollte ich | |
Anarchie. Damit habe ich so den Nerv getroffen, dass ich im Mainstream | |
gelandet bin. | |
taz: In der Doku werden Sie auf liebevolle Weise von | |
Wegbegleiter:innen, wie zum Beispiel [3][Anke Engelke] oder Otto, | |
gewürdigt. Es wirkt, als wären Sie Ihr ganzes Leben lang in ein | |
wertschätzendes Umfeld eingebettet gewesen. Viele Künstler:innen | |
berichten vom Gegenteil und werten diesen Umstand als Antrieb Ihres | |
Schaffens. Wie war das bei Ihnen? | |
Kerkeling: Kunst ohne Kampf existiert nicht. Ich musste dem Leben so | |
einiges abtrotzen und auch lernen, mich in einer Macho-Medienwelt zu | |
behaupten. Gerade in der Riege der alten weißen Männer hatte ich als | |
Schwuler oft meine natürlichen Gegner. Ich war eigentlich von Natur aus | |
darauf gebucht, den Kürzeren zu ziehen. Das habe ich aber schlicht nicht | |
zugelassen. Meine Familie war dabei immer auf meiner Seite. Mein stärkster | |
Antrieb war es vielleicht, arrogante und selbstverliebte Macht leicht ins | |
Straucheln zu bringen. Das ist oft gelungen. | |
taz: Anlässlich Ihres Ehrentages habe ich einmal Rückschau gehalten und | |
festgestellt: Sie können eigentlich alles. Schreiben, mehrere Sprachen, | |
schauspielern, singen, auch klare Gedanken zur Weltlage formulieren. Haben | |
Sie sich je auf Hochbegabung testen lassen? Ich habe da so einen Verdacht … | |
Kerkeling: Meine ehemalige Klassenlehrerin am Marie-Curie-Gymnasium in | |
Recklinghausen, Christa Hupe, Gott hab sie selig, hat auf diese Frage mal | |
im Stern geantwortet: „Nein, hochbegabt war er nicht. Er war geistig | |
hervorragend.“ Keine Ahnung, was sie damit genau gemeint hat. Jedenfalls | |
habe ich mich ganz gut durchgewurstelt mit meinen endlichen Möglichkeiten. | |
Ich wünschte jedenfalls, ich wäre manchmal klüger. | |
taz: Ist Intelligenz die wichtigste Voraussetzung für Humor oder | |
funktioniert es auch ohne? | |
Kerkeling: Selbst Affen lachen nachweislich. Womit ich nicht sagen will, | |
dass Affen doof sind. Vielleicht braucht es für Humor geistige Flexibilität | |
und die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können. Empathie | |
spielt dabei eine große Rolle. Diktatoren sind humorlos, aber sind sie | |
dumm? Nein. Intelligenz wird überschätzt. | |
taz: Wie ernst nehmen Sie Ihre Figuren? Sie hauen Ihre eigenen Kreationen | |
ja nie in die Pfanne. Sie scheinen sie, trotz ihrer Unzulänglichkeiten, zu | |
mögen … | |
Kerkeling: Grundsätzlich gehe ich mit so viel Liebe wie möglich durchs | |
Leben. Alles andere wäre tatsächlich dumm. So behandle ich auch meine | |
Kunstfiguren mit Respekt und Zuneigung. Der Mensch an sich ist ja | |
fehlerhaft. Fragen Sie mal Mama Erde. | |
taz: Nachdem Sie die Figur der Uschi Blum, ein flirrendes Hybrid aus Andrea | |
Berg und Hildegard Knef, jahrelang gehörig hyperventilieren ließen, | |
brachten Sie 2021 eine ernsthafte, sehr persönliche Schlagerplatte heraus. | |
Wie tief geht Ihre Liebe zum deutschen Schlager? Man hat den Eindruck, auch | |
dieses Thema wird von Ihnen ohne Ressentiments umarmt … | |
Kerkeling: Ich liebe es, zu verwirren. Und ja, ich liebe Schlager! | |
Allerdings nur den guten. Ich habe keine Angst vor meinen Gefühlen. Genau | |
genommen sollte ich noch ein Album mit trutschigen Volksliedern und eine | |
Hardrock-Scheibe machen. Der Deutsche ordnet gerne alles, sonst ist er | |
schwer verunsichert; Akten, Unterlagen und Künstler in feste Kategorien. | |
Kategorien versuchen Endgültigkeit vorzutäuschen. Dabei bleibt alles vage | |
und flexibel. Das ist nicht jedem wirklich bewusst. Panta rhei. Alles | |
fließt. Selbst, wenn ich ein Buch schreibe, halte ich mich an keine Regeln. | |
Mein aktuelles Buch, „Gebt mir etwas Zeit“, ist Memoir, Essay, Pamphlet, | |
historische Erzählung, Groschenroman und Sachbuch. Bekloppter geht es | |
nicht. Künstlerisch bin ich eigentlich Südkoreaner. Die mixen auch alles | |
wüst durcheinander. | |
taz: Sie haben mehrere Bestseller geschrieben. Wie wichtig ist Ihnen Geld? | |
Haben Sie einen Bezug dazu oder könnten Sie auch Unsicherheit aushalten, | |
wozu die meisten Künstler:innen ja immer mal wieder gezwungen sind? | |
Kerkeling: Chaos und Unsicherheit versuche ich – so weit ich es vermag – zu | |
verhindern. Davon hatte ich mehr als genug in meiner Kindheit. Goethe hat | |
schon gesagt, wenn man nicht vorhat, wenigstens eine Million Bücher zu | |
verkaufen, sollte man gar nicht erst anfangen zu schreiben. Das ist nicht | |
meine Überzeugung und der Geheimrat nicht wirklich mein Vorbild. Das ist | |
dann wohl eher Shakespeare. Aber mein Verhältnis zu Geld ist | |
tiefenentspannt. Meine Großmutter war Inhaberin eines gut gehenden | |
Tante-Emma-Ladens. Nach Ladenschluss habe ich ihr geholfen, das Geld zu | |
zählen. Sie hatte so eine Freude dabei. Ich verbinde mit Geld nichts | |
Negatives. Jeder Geldschein ist ein Kunstwerk. Der Umgang mit den Moneten | |
ist das Problem. | |
taz: Auch der ein oder andere Karrieretiefpunkt sowie Leerläufe und Flops | |
kommen in der Doku zur Sprache. Was halten Sie von Christoph Schlingensiefs | |
Satz „Scheitern als Chance“? | |
Kerkeling: Interessant, dass Sie von Christoph sprechen. Wir hatten eine | |
gemeinsame Bekannte, die fand, wir sollten befreundet sein. So gab sie mir | |
seine und ihm meine Nummer. Dann hatten wir über einige Jahre bis zu seinem | |
Tod eine SMS – und intensive Anrufbeantworterfreundschaft. Wir sind uns | |
leider nie persönlich begegnet oder haben direkt miteinander gesprochen. | |
Schlingensief hat recht. Es liegt im Scheitern eine große Chance. Da, wo | |
ich scheitere, bin ich gezwungen, einen neuen Weg zu finden. Aber ich habe | |
nie versucht, mich über meine Kunst zu definieren. Kunst muss ja auch nicht | |
zwingend erfolgreich sein. Es muss dem Künstler selbst und wenigstens einem | |
Betrachter etwas bringen. | |
taz: Fernsehen, wie wir Kinder der 70er es kannten, hat ausgedient. | |
Interessieren Sie sich für andere Möglichkeiten der Show-Unterhaltung? Kann | |
es sie in traditioneller Form im Netz geben und wenn ja, wie? Trauern Sie | |
den alten Zeiten überhaupt nach? | |
Kerkeling: Die alten Zeiten habe ich genossen. Aber ich trauere ihnen nicht | |
nach. Ich gucke nach vorn. Jede neue Möglichkeit im Netz ist spannend. | |
Sorgen bereitet mir jedoch die fehlende Kontrolle. Rechtsextreme oder | |
islamistische Inhalte hätte man in den 80ern in Presse oder TV nicht | |
verbreiten können oder dürfen. Heute erreicht dieses Gift selbst | |
Minderjährige. Eine Demokratie braucht zu ihrem Schutz eine klar definierte | |
Zensur. | |
taz: Sie haben sich in letzter Zeit klar gegen Antisemitismus und | |
Rechtsruck positioniert. Schauen Sie besorgt auf die anstehenden Wahlen | |
2025? | |
Kerkeling: Tatsächlich erkenne ich keine Anzeichen dafür, dass sich die | |
politische Lage verbessert. Die Extremisten erstarken, während das | |
Führungspersonal der demokratischen Parteien scheinbar immer fragwürdiger | |
und arroganter wird. | |
taz: Ihr neuestes Buch deckt Ihre Verwandtschaft mit dem englischen | |
Königshaus auf. Jetzt, wo wir wissen, dass Sie im Grunde von Adel sind: Wie | |
stehen Sie zu Dünkel und Arroganz in diesen Kreisen? Können Sie sich | |
darüber amüsieren? Lesen auch Sie das Goldene Blatt, wo Sie es erwischen | |
können? | |
Kerkeling: Es ist wie überall. Es gibt sone und sone. Natürlich lese ich | |
die Klatschpresse. Da weiß ich wenigstens, woran ich bin. Es ist alles | |
erlogen, aber extrem unterhaltsam. | |
taz: Zum Schluss noch die Gretchenfrage: Wie halten Sie es eigentlich mit | |
der Religion? | |
Kerkeling: Wie sollte ich am Göttlichen zweifeln, wenn es mir doch den | |
unendlichen Sternenhimmel wie zum Beweis vor die Nase gepflanzt hat. | |
taz: Vielen Dank für dieses Gespräch! | |
4 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rebecca Spilker | |
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