Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arne Semsrott über seine Anklage: „Es fehlt eine Abwägung mit d…
> Gegen „FragDenStaat“-Chef Arne Semsrott laufen bei der Staatsanwaltschaft
> Berlin Ermittlungen. Er leakte Gerichtsakten zur Letzten Generation.
Bild: Arne Semsrott droht bei einer Verurteilung eine Geldstrafe und im schlimm…
taz: Herr Semsrott, die Berliner Staatsanwaltschaft hat gegen Sie kürzlich
Anklage erhoben, weil Sie drei Dokumente aus einem laufenden Verfahren
veröffentlicht haben. Ist Ihr Informationsfreiheits-Portal FragDenStaat
eine kriminelle Vereinigung?
Arne Semsrott: Nein, wir konnten uns bisher von diesem Vorwurf freimachen,
aber hey, wer weiß, was die politische Konjunktur noch mit sich bringt.
Sie haben als Chefredakteur dennoch bewusst eine mutmaßliche Straftat
begangen, indem Sie Dokumente aus einem laufenden Gerichtsverfahren gegen
die Letzte Generation veröffentlicht haben. Es geht dort um die Frage,
warum die [1][Klima-Aktivist*innen als kriminelle Vereinigung eingestuft]
sind. Warum machen Sie das?
Wir wollen klären, dass der Paragraf 353d Nr. 3 verfassungswidrig ist.
Eigentlich hat die Berichterstattung über diesen Fall schon fast ironisch
gezeigt, worum es geht: Es ist in Deutschland verboten, wortwörtlich aus
amtlichen Dokumenten von laufenden Strafverfahren zu berichten. Auch in
meinem Fall dürfen Medien die Anklage gegen mich nicht veröffentlichen und
nicht wortgetreu daraus zitieren. Aber gerade bei juristischen Fällen ist
eine Ungenauigkeit natürlich problematisch. Es gehört zur Pressefreiheit,
dass man sich über Originaldokumente und wortgetreue Wiedergabe bei
wichtigen Strafverfahren informieren kann.
Worum geht es inhaltlich in den geleakten Dokumenten und warum war es aus
Ihrer Sicht notwendig, sie zu veröffentlichen?
Gegen die Letzte Generation wird mit einem sehr schwerwiegenden Vorwurf
ermittelt – nämlich der Bildung einer kriminellen Organisation. Das hat
weitreichende Folgen und eröffnet etwa Maßnahmen der
Telekommunikationsüberwachung gegen viele Betroffene. Natürlich braucht es
darüber eine öffentliche Diskussion. Das geht aber nur mit Zugriff auf die
Originaldokumente. Wir haben also auf der einen Seite einen etwas obskuren
Paragrafen, den es in anderen Ländern wie Österreich nicht gibt, und auf
der anderen Seite [2][das hohe Gut der Pressefreiheit]. Wir erhoffen uns
ein Urteil, dass die Verfassungswidrigkeit dieser Norm anerkennt.
Der Paragraf soll Betroffene vor Vorverurteilung und Bloßstellung schützen
sowie Unvoreingenommenheit von Laienrichtern und Zeugen garantieren. Was
ist daran aus Ihrer Sicht schlecht?
Es ist für einzelne Fallkonstellationen durchaus nachvollziehbar. Aber im
vorliegenden Verfahren haben die Beschuldigten von der Letzten Generation
kein Problem mit einer öffentlichen Diskussion – ganz im Gegenteil. Und der
Fall wird ja sowieso schon öffentlich diskutiert, deswegen kann ich auch
keine Auswirkungen auf Laienrichter erkennen. Das zeigt: Der Norm fehlt
eine Abwägung mit der Pressefreiheit. Wir müssen der Presse zugestehen,
dass in einzelnen Fällen solche Informationen an die Öffentlichkeit
gehören. Das ist eine Abwägungsfrage: Es sollten nicht in jedem Verfahren
alle Informationen rausgeballert werden, aber es gibt viele
Konstellationen, bei denen eine Abwägung dazu führen sollte, dass die
öffentliche Information wichtiger ist.
Die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
forderte schon 2007, den Paragrafen § 353d Nr. 3 StGB abzuschaffen, und
auch die Grünen haben das bereits erfolglos beantragt. Der aktuelle
FDP-Justizminister Buschmann kündigte nun eine Entschlackung des StGB an.
Warum ist das noch nicht geschehen?
Wir haben aktuelle Fälle und eine laufende Reform des Strafgesetzbuches –
müssen aber leider beobachten, dass das Justizministerium hier und auch
anderswo nicht so entschlossen reagiert, wie es könnte. Wenn sich das
Ministerium nicht kümmert, muss es der Bundestag regeln.
Welche Änderung fordern Sie?
Aus meiner Sicht sollte man den Paragrafen ersatzlos streichen. Es gibt
andere Stimmen, die eine Abwägungsklausel einführen würden. Das ist eine
Fachdiskussion, die nicht jetzt entschieden werden muss. Was wir jetzt
brauchen, ist der Entschluss zu einer Änderung. Wir müssen anerkennen, dass
die jetzige Regelung nicht geht, und reformieren.
Was passiert, wenn Sie in allen Instanzen scheitern?
Wir sind der Meinung, dass uns die bisherige Rechtsprechung der letzten
Jahre Rückhalt bietet und unsere Veröffentlichung gerechtfertigt war.
Sollen die Gerichte in Deutschland aber zu einer anderen Ansicht gelangen,
würden wir als letzte Instanz Straßburg anpeilen. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat auch in der Vergangenheit schon
angemahnt, wie wichtig die Pressefreiheit auch bei Gerichtsverfahren ist.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Wir müssen wachsam sein, [3][wie Meinungsfreiheit behandelt wird]. Und
dort, wo es Eingriffe gibt, müssen wir lautstark protestieren. Wenn wir uns
die politische Entwicklung ansehen, sollten wir auch im Hinterkopf
behalten, wie bestimmte Regelungen von autoritären Regierungen genutzt
werden könnten. Gerade diese Passage bietet sich geradezu an, um gegen
Journalist*innen vorzugehen. Die AfD schielt auf Regierungsbeteiligung
und hat ein sehr großes Problem mit der Pressefreiheit. Sie wird alle
Möglichkeiten nutzen, um gegen die freie Presse vorzugehen. Deswegen ist es
auch präventiv wichtig, jetzt für mehr Pressefreiheit zu kämpfen.
Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklage ausführlich dargelegt, dass aus
ihrer Sicht auch bei Abwägung anderer Rechtsgüter klar eine Straftat
vorliegt und sieht keine verfassungsrechtlichen Zweifel. Ihnen droht ein
Jahr Haft oder eine Geldstrafe. Bekommen Sie da schon kalte Füße?
Ich bin ja auch geständig. Wenn es zu einer Verurteilung kommt, rechne ich
mit einer Geldstrafe. Zur Not betreue ich ja noch ein anderes Projekt – das
heißt Freiheitsfonds, bei dem wir arme Menschen von Ersatzfreiheitsstrafen
freikaufen, indem wir deren [4][Strafen fürs Fahren ohne Ticket] bezahlen.
Ich hoffe, dass ich mich nicht in anderer Funktion mit mir selbst
beschäftigen muss.
28 Feb 2024
## LINKS
[1] /Ist-die-Letzte-Generation-kriminell/!5975511
[2] /Pressefreiheit-bedroht/!5991777
[3] /Studie-zu-Meinungsfreiheit/!5978066
[4] /Fahren-ohne-Fahrschein/!5986103
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Letzte Generation
Meinungsfreiheit
Rechtsstaat
Aktivismus
GNS
IG
Schwerpunkt Pressefreiheit
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Klimaproteste
Wikileaks
Schwerpunkt Stadtland
Letzte Generation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gerichtsverhandlung über Pressefreiheit: Er will ein Verbot des Verbots
Der Journalist Arne Semsrott hat im laufenden Verfahren illegalerweise
Gerichtsbeschlüsse veröffentlicht. Er will den entsprechenden Paragrafen
kippen.
Arne Semsrott über Widerstand gegen AfD: „Die AfD wäre Seehofer auf Speed“
Arne Semsrott von Frag den Staat hat eine Anleitung zum Widerstand
geschrieben, falls die AfD an die Macht kommt. Über Preppen von links und
Beamte.
Verein IJA kämpft für Pressefreiheit: Starke Stimmen aus dem Exil
Die International Journalists Association verbindet
Exiljournalist*innen aus aller Welt, die von Repressionen betroffen
sind. Mit großem Erfolg.
Presse in China: Live-Schalte zur Zensur
Nach einer Explosion treffen die Repressionen Chinas sogar eine Reporterin
der staatseigenen Medien. Es folgt eine Welle der Solidarität.
Klimaschützer*innen unter Druck: Repressionen nehmen global zu
Die Bundesrepublik verfolgt Aktivist*innen für ihre Proteste. Woanders ist
es nicht besser. Die Bewegung reagiert mit Knastschulungen und Beratung.
Pressefreiheit bedroht: Für oder gegen die Macht?
Wikileaks, FragDenStaat, Correctiv: Der Staat rückt der Freiheit auf die
Pelle. Doch die, die sie verteidigen sollen, fördern oft den autoritären
Turn.
Raphael Thelen über Aktivismus: „Es lohnt sich, groß zu träumen“
Als Journalist schrieb Raphael Thelen über Klima und war gut im Geschäft.
2023 entschied er sich dafür, Vollzeitaktivist der Letzten Generation zu
werden.
Letzte Generation tritt zur EU-Wahl an: „Widerstand ins Parlament tragen“
Die Letzte Generation will ins EU-Parlament. Aktivistin Carla Hinrichs
spricht darüber, ob sie an einen Wahlerfolg glaubt – und was sie in Brüssel
vorhat.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.