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# taz.de -- Gerichtsverhandlung über Pressefreiheit: Er will ein Verbot des Ve…
> Der Journalist Arne Semsrott hat im laufenden Verfahren illegalerweise
> Gerichtsbeschlüsse veröffentlicht. Er will den entsprechenden Paragrafen
> kippen.
Bild: Arne Semsrott (rechts) mit seinen Anwälten vor dem Berliner Landgericht …
Berlin taz | „Wir können uns vorstellen, das Verfahren einzustellen“, sagt
Richter Bo Meyer und blickt Richtung Anklagebank. Dort sitzt am
Mittwochnachmittag neben dem Beschuldigten, dem Journalisten und Gründer
der Transparenzplattform Frag den Staat, sein Verteidiger Lukas Theune und
schüttelt den Kopf.
Wird das Verfahren eingestellt, kann Semsrott nach Hause gehen. Dann muss
er weder eine Geldstrafe zahlen noch bis zu ein Jahr in Haft. Das ist das
mögliche Strafmaß für sein Vergehen: Semsrott hatte im August 2023 [1][drei
Gerichtsbeschlüsse aus einem laufenden Verfahren] gegen Aktivist*innen
der Letzten Generation online gestellt. Das ist – solange ein
Gerichtsverfahren noch läuft – nach Paragraf 353d Nr. 3 des
Strafgesetzbuches verboten. [2][Semsrott hält den Paragrafen aber für
verfassungswidrig] und will, dass er abgeschafft wird. Deshalb will er
keine Einstellung des Verfahrens. Semsrott will vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen.
Veröffentlicht hatte Semsrott drei Beschlüsse im Zusammenhang mit
Ermittlungen zur Letzten Generation. Das Gericht hatte darin
Hausdurchsuchungen bei den Klimaktivist*innen, die Abschaltung der
Webseite und das Abhören des Pressetelefons der Gruppe angeordnet.
Das seien sehr große Eingriffe in die Grundrechte, findet Semsrott. Im
Verhältnis dazu habe das Gericht die Begründungen für sein Handeln sehr
kurz gefasst. [3][Meinungs- und Pressefreiheit] habe das Gericht nicht
ausreichend berücksichtigt. Nachdem über den Fall breit öffentlich
diskutiert worden war, wollte Semsrott Transparenz schaffen und
veröffentlichte die Dokumente.
## Was sich geändert hat
„Ich gebe zu, dass ich die Beschlüsse veröffentlicht habe, und mir war
bewusst, dass es den Paragrafen gibt“, sagt er zu Beginn der
Hauptverhandlung am Landgericht Berlin. Das Verbot von amtlichen Dokumenten
während laufender Verfahren hält Semsrott für nicht mehr zeitgemäß: Seit
1975, als der Paragraf eingeführt wurde, habe sich das Medienumfeld stark
gewandelt. Es gebe dank Internet nicht mehr wenige Medien, die als
Gatekeeper fungierten, sondern eine Fülle an Medienorganen, darunter viele
unseriöse, die Falschmeldungen verbreiteten.
Um in diesem Dschungel an Informationen Transparenz zu bieten und allen
Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild zu machen, müssten
Originaldokumente einsehbar sein. Zumal sich bei der Zusammenfassung von
juristischer Fachsprache leicht Fehler einschlichen. Wortwörtliche Zitate –
auch sie sind nach 353d verboten – könnten dies verhindern und die
Glaubwürdigkeit von Medienerzeugnissen erhöhen.
Richter Meyer ist der Argumentation wohl nicht ganz abgeneigt. „Wenn
Grundrechte im Spiel sind, kommt es immer auf eine Abwägung an“, sagt er.
Oft müssten mehrere Grundrechte miteinander abgewogen werden, und so sei es
auch in diesem Fall. Meinungs- und Pressefreiheit stünden dem Recht auf ein
faires, geordnetes Verfahren gegenüber, in dem weder Richter noch Schöffen
von der Medienberichterstattung beeinflusst würden. Beschuldigte müssten
geschützt werden.
Semsrott hatte das Einverständnis der Beschuldigten eingeholt – und ihre
Namen geschwärzt. Eine geladene Sachverständige ist Franziska
Oehmer-Pedrazzi, Professorin für Kommunikationswissenschaften in der
Schweiz. Sie forscht zu Medien und Justiz. Vor Gericht gibt sie an, Studien
zufolge hätten Medienberichte nur einen geringen Einfluss auf
Gerichtsurteile. Ein Einfluss von Originaldokumenten oder wörtlichen
Zitaten sei nicht untersucht worden.
Dem Staatsanwalt leuchtet die Argumentation von Semsrott und
Anwält*innen offenbar nicht ein, hält das Vergehen aber für gering.
Semsrott habe sich schuldig gemacht, sei aber geständig und habe keine
Sensationslust befriedigen wollen, sondern öffentliches Interesse. Er halte
daher eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 50 Euro für angemessen, erklärte
er im Schlussplädoyer.
Das Urteil soll am Freitag fallen. Semsrott will, dass der Richter den Fall
direkt ans Bundesverfassungsgericht überträgt. Das wird er voraussichtlich
nicht tun. Dann braucht Semsrott einen Schuld- oder auch einen Freispruch.
Bei letzterem könnten sich Journalist*innen künftig auf die
Rechtsprechung in diesem Fall beziehen. Wird Semsrott schuldig gesprochen,
will er vor den Bundesgerichtshof und wenn notwendig vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen.
16 Oct 2024
## LINKS
[1] https://fragdenstaat.org/blog/2023/08/22/hier-sind-die-gerichtsbeschlusse-z…
[2] /Arne-Semsrott-ueber-seine-Anklage/!5992152
[3] /Ermittlungen-gegen-FragDenStaat/!5974078
## AUTOREN
Johanna Treblin
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erwirken.
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