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# taz.de -- Kampf gegen Paragraph 353d: Wer darf publizieren?
> Es ist verboten, Gerichtsdokumente während eines Verfahrens zu
> veröffentlichen. Journalist*innen klagen, mit dem Ziel, den
> Paragrafen abzuschaffen.
Bild: Nicht zur Veröffentlichung gedacht: Gerichtsakten während des Verfahrens
Darf man Gerichtsdokumente während eines laufenden Verfahrens
veröffentlichen? [1][Arne Semsrott, Journalist bei FragDenStaat, findet:
Ja.] Er hält einen entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch, der genau
das verbietet, für verfassungsfeindlich, weil er gegen das Grundgesetz der
Presse- und Wissenschaftsfreiheit verstoße. Um das vom
Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, hat er zwei Beschlüsse
veröffentlicht, wurde angezeigt, musste vor Gericht und ist Mitte Oktober
zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er allerdings nur bei
Wiederholung zahlen muss.
[2][Semsrott freut sich über das Urteil]. Denn nun kann er die Entscheidung
anfechten und im ersten Schritt vor den Bundesgerichtshof, dann vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen. Bis der Fall dort landet, können
allerdings Jahre vergehen.
Ruhig soll es um das Thema bis dahin nicht bleiben. „Heute habe ich die
Herausgeber*innen der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ)
angezeigt, weil sie einen Beschwerdebeschluss des Landgerichts München I
veröffentlicht haben, der noch Teil eines laufenden Verfahrens war“,
schreibt der Journalist Jean Peters von Correctiv bei LinkedIn. „Es besteht
daher der Verdacht eines Verstoßes gegen § 353d StGB.“
Gegen genau den Paragrafen, wegen dem auch Semsrott verurteilt worden war.
Peters schreibt weiter: „Mal sehen, ob das Gericht nicht nur
Journalist*innen, sondern nun auch renommierte Bundesrichter*innen
verurteilen wird.“ Denn: Unter den Herausgeber:innen der genannten
Fachzeitschrift sind mehrere Bundes- und Verfassungsrichter*innen. Genau
jene also, die über die Recht- und die Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen
zu entscheiden haben. Unter ihnen ist auch der ehemalige BGH-Richter Thomas
Fischer, bekannt durch seine Kolumnen und als häufiger Talkshow-Gast.
## Zweierlei Maß?
In der NStZ diskutieren Jurist*innen aktuelle Gerichtsentscheidungen,
die sie teils im Wortlaut veröffentlichen. In der Anzeige bezieht sich
Peters auf einen Beschluss vom 16. November 2023 gegen Mitglieder der
Letzten Generation. Die NStZ habe den Beschluss veröffentlicht, bevor das
Gericht diesen selbst online publiziert habe, schreibt Peters. Gerichte
selbst fallen nicht unter das Verbot.
Ganz überraschend kommt die Anzeige nicht. Im Prozess vor dem Landgericht
Berlin um Semsrott hatte sein Verteidigerteam die Veröffentlichung in der
Fachzeitschrift bereits angesprochen. Es gebe häufig „Entscheidungen aus
laufenden Verfahren in Fachzeitschriften und in Justizdatenbanken, ohne
dass uns bekannt ist, dass gegen die Autor*innen ermittelt wird“, sagte
Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das Verfahren
um Paragraf 353d unterstützt. Anwalt Lukas Theune sagte in seinem
Schlussplädoyer mit Bezug auf die Veröffentlichung in der NStZ, dass
konsequenterweise auch deren Herausgeber*innen verklagt werden
müssten, und fragte: „Oder soll hier mit zweierlei Maß gemessen werden?“
Herausgeber Thomas Fischer sagte der taz auf Anfrage, eine entsprechende
Strafanzeige sei ihm nicht bekannt. Ob die NStZ den Beschluss vor
Veröffentlichung durchs Gericht veröffentlicht habe, wisse er nicht. Über
Veröffentlichungen entscheide die „Schriftführung“ – also die Redaktion.
Dazu verwies er auf seinen Gastbeitrag im Online-Rechtsmagazin LTO vom
März. Darin schreibt er, dass er den Paragrafen für verfassungsmäßig hält,
vor allem, weil das Bundesverfassungsgericht dies zweimal bestätigt habe.
Semsrott und seine Verteidigung wiederum halten das Urteil von 1985 für
veraltet und das zweite Urteil von 2014 habe sich nicht mit der
Pressefreiheit befasst.
[3][Eine Abschaffung von 353d,] die Semsrott fordert, hält Fischer für
falsch. Der Paragraf schütze die Verfahrensbeteiligten vor Beeinflussung
von außen. Vorstellen kann er sich allerdings Ausnahmen für bestimmte
„Zwischenentscheidungen“, die die Gerichte zuvor selbst veröffentlicht
haben. Das wäre nicht ganz so weit entfernt von den Vorstellungen des
Verteidigungsteams von Semsrott. Das will zwar im besten Fall eine
Abschaffung des 353d, wenigstens aber kein generelles Verbot, sondern eine
Einzelfallabwägung.
4 Nov 2024
## LINKS
[1] /Arne-Semsrott-verurteilt/!6043720
[2] /Urteil-gegen-Frag-den-Staat/!6043666
[3] /Urteil-gegen-Frag-den-Staat/!6043666
## AUTOREN
Johanna Treblin
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Gerichtsverfahren
Transparenz
GNS
Arne Semsrott
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