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# taz.de -- Journalist soll Strafe zahlen: Zitieren bleibt verboten
> Das Landgericht Hamburg bestätigt eine Geldstrafe gegen den Journalisten
> Carsten Janz. Der hatte aus einem Gerichtsbeschluss zitiert.
Bild: Hieraus dürfen Journalisten nicht zitieren: Gerichtsakten
Hamburg taz | Kämpferisch geht Carsten Janz am Dienstagmorgen in den
Verhandlungssaal im Hamburger Landgericht. [1][Der Investigativjournalist]
hat Berufung gegen eine Geldstrafe von 2.600 Euro eingelegt, zu der ihn das
Amtsgericht Hamburg im September 2024 verurteilt hatte.
Janz hatte am 11. Dezember 2023 [2][bei t-online den Text „Durchsuchung
rechtswidrig – Niederlage für Staatsanwaltschaft“] veröffentlicht. Darin
schrieb er über eine Polizeimaßnahme nach dem [3][Amoklauf bei den Zeugen
Jehovas in Hamburg], bei dem – mit dem Täter – acht Menschen starben.
Aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss des Landgerichts zitierte
Janz dabei zwei Sätze wörtlich, die deutlich machten, dass die Hamburger
Staatsanwaltschaft ohne ausreichenden Anfangsverdacht gehandelt und eine
rechtswidrige Durchsuchung veranlasst hatte.
[4][Paragraf 353d des Strafgesetzbuchs (StGB)] untersagt die wörtliche
Veröffentlichung amtlicher Dokumente aus schwebenden Verfahren, mit bis zu
einem Jahr Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe als Konsequenz. Zweck der
Norm ist der Schutz der Unvoreingenommenheit von Verfahrensbeteiligten, vor
allem Laienrichter*innen.
## Paragraf „pressefeindlich“
Janz betonte am Dienstag jedoch, dass er angenommen hatte, das Verfahren,
aus dem der Beschluss stammte, sei bereits abgeschlossen. Eine Rückfrage
bei der Gerichtspressestelle habe er jedoch nicht gestellt, bestätigte er
auf Nachfrage.
In seiner Einlassung zu Beginn der Verhandlung betonte Janz, dass die
Information über die rechtswidrige Durchsuchung für die Öffentlichkeit von
hoher Relevanz sei, da sie Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft offenlege.
Direkte Zitate seien ein Beleg journalistischer Sorgfalt, deren
Strafverfolgung die Pressefreiheit einschränke. Er nennt den Paragrafen
„pressefeindlich“ und will eine grundsätzliche Prüfung erreichen.
Ähnlich kritische Fragen zur Pressefreiheit hatte kürzlich [5][der Fall des
Journalisten Arne Semsrott] aufgeworfen, der 2023 wegen der wörtlichen
Veröffentlichung dreier Gerichtsbeschlüsse des Amtsgerichts München
angeklagt wurde. Diese Dokumente betrafen Durchsuchungen und Maßnahmen
gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“, die von der
Generalstaatsanwaltschaft München als kriminelle Vereinigung eingestuft
wurde.
Semsrott hatte ebenfalls argumentiert, dass solche Strafverfolgungen
investigativen Journalismus behindern – sein Fall endete mit einem
Schuldspruch, aber nur mit einer Verwarnung. Semsrott will nun [6][vor das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen].
Vor der Kammer in Hamburg argumentierten Janz und seine Anwälte Frédéric
Schneider und Sebastian Seel am Dienstag, dass die Norm des Paragrafen zu
unbestimmt sei, unverhältnismäßig ins Presserecht eingreife und gegen
Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße, die
die Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit regelt.
## Fragen der Verhältnismäßigkeit
In einem Fall wie Janz’ sei eine Abwägung nach den Kriterien des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zwingend erforderlich,
bei der das öffentliche Interesse gegen den Schutz der Justiz abzuwägen
ist, erklärte Seel nach der Verhandlung.
Insbesondere müsse geprüft werden, ob eine Verurteilung in einer Demokratie
notwendig sei. Diese Abwägung würde Janz entlasten, sagte Seel im Plädoyer,
weil sein Bericht Missstände ohne Einfluss auf laufende Verfahren zeige.
Die Verteidiger beantragten, den Fall dem BVerfG vorzulegen, um die
deutsche Praxis neu bewerten zu lassen.
Hintergrund dieser Argumentation ist unter anderem der [7][Fall „Pinto
Coelho v. Portugal“]. Der EGMR hatte darin 2011 ein pauschales
Veröffentlichungsverbot für unverhältnismäßig erklärt und eine
Einzelfallabwägung zwischen Pressefreiheit und Interessen wie
Verfahrensintegrität oder Privatsphäre gefordert.
Auch der Bundesgerichtshof stellte 2023 im Fall der „Olearius-Tagebücher“
fest, [8][dass wörtliche Zitate einen dokumentarischen Wert haben können],
was die Bedeutung präziser Berichterstattung untermauert und die
Entscheidung des EGMR stützt.
## Gericht verzichtet auf Abwägung
Das BVerfG hingegen hielt den Paragrafen 353d in Urteilen von 1985 [9][und
2014] für verfassungskonform, ohne die Pressefreiheit eingehend zu prüfen.
Das Landgericht Hamburg war dieser Linie gefolgt und hatte die
EGMR-Kriterien unberücksichtigt gelassen.
Doch die Kammer folgte der Argumentation von Janz' Verteidigung nicht. In
ihrem Urteil am Dienstagmittag wies sie die Berufung zurück und hielt
Paragraf 353d für verfassungsgemäß. Eine Vorlage für das BVerfG erübrige
sich, da das Gericht 1985 bereits alle wesentlichen Punkte geklärt habe,
erläuterte sie in der mündlichen Begründung. Auch mit Artikel 10 EMRK gebe
es keinen Konflikt – ebenso wenig zur Rechtsprechung des EGMR.
Er sei von dem Urteil enttäuscht, sagt Janz am Nachmittag zur taz – vor
allem, weil das Gericht die geforderte Abwägung gar nicht vorgenommen hat,
obwohl dies der Schwerpunkt der Argumentation der Verteidigung gewesen war.
„Eine solche nach dem EGMR notwendige Abwägung hätte zu einem anderen
Ergebnis geführt“, sagte der Anwalt Seel nach der Verhandlung. Janz und
seine Anwälte warten nun auf das schriftliche Urteil und planen, mit der
Revision dagegen vorzugehen. Kämpferisch ist Janz weiterhin: „Dann machen
wir eben weiter.“
19 Mar 2025
## LINKS
[1] /Journalist-angeklagt/!6029016
[2] https://hamburg.t-online.de/region/hamburg/id_100300112/hamburg-amoklauf-be…
[3] /Amoktat-gegen-Zeugen-Jehovas-in-Hamburg/!5999298
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353d.html
[5] /Kampf-gegen-Paragraph-353d/!6043911
[6] /Arne-Semsrott-verurteilt/!6043720
[7] https://hudoc.echr.coe.int/fre#%7B%22itemid%22:%5B%22001-105409%22%5D%7D
[8] /BGH-zu-Cum-Ex-Streit/!5931940
[9] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/0…
## AUTOREN
Robert Matthies
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