# taz.de -- Presse in China: Live-Schalte zur Zensur | |
> Nach einer Explosion treffen die Repressionen Chinas sogar eine | |
> Reporterin der staatseigenen Medien. Es folgt eine Welle der Solidarität. | |
Bild: Weitläufige Straßensperrungen sollen die Berichterstattung unmöglich m… | |
Es sind Szenen, die man im chinesischen Staatsfernsehen selten zu sehen | |
bekommt: Als das CCTV-Nachrichtenstudio am vergangenen Mittwoch zu seiner | |
Reporterin in Sanhe schaltet, berichtet diese in hastigen Sätzen über die | |
tragische Gasexplosion, die sich nur Stunden zuvor in der Kleinstadt nahe | |
Peking ereignet hat. | |
Doch nach wenigen Sekunden schreiten bereits Männer in schwarzen Uniformen | |
ein. Mit vollem Körpereinsatz gehen sie gegen die junge Frau vor, auch ihr | |
Kameramann wird überrumpelt. Die Bilder wackeln, ehe die Live-Schalte | |
schließlich abgebrochen werden muss. Im Pekinger Studio schauen die | |
Moderatoren fassungslos in die Kameras. | |
Und vielen Chinesinnen und Chinesen muss es ähnlich ergangen sein. [1][Denn | |
was für viele westliche Korrespondenten zum Journalistenalltag dazu | |
gehört], bleibt der Öffentlichkeit im Reich der Mitte meist verborgen: Dass | |
nämlich selbst grundlegende Berichterstattung mit primitiven | |
Vorschlaghammermethoden von den Sicherheitsbehörden verhindert wird. | |
Dementsprechend schockiert gaben sich die meisten Internetnutzer. „Wir | |
müssen die Journalisten schützen“, lautet einer der zahlreichen Kommentare | |
auf der Onlineplattform Wechat. | |
Was zuvor geschah: Am Mittwochmorgen kam es in einem Restaurant an einer | |
vielbefahrenen Geschäftsstraße zu einer fürchterlichen Explosion. Das | |
gesamte mehrstöckige Gebäude wurde durch schwere Schockwellen in Schutt und | |
Asche gelegt, selbst die Fenster der umliegenden Autos wurden ausnahmslos | |
zersprengt. Zunächst hieß es von den Behörden, dass nur eine Person bei der | |
Tragödie ums Leben gekommen sei. Doch die Zweifel an dieser Version mehrten | |
sich rasch: Allein nach Anblick der Videoaufnahmen, die auf den sozialen | |
Medien kursierten, schien deutlich, dass diese Zahl nicht stimmen kann. | |
Tatsächlich wurde sie am nächsten Morgen deutlich nach oben korrigiert: auf | |
sieben Personen. | |
## Zensur: So läuft's | |
Doch viele Fragen blieben offen, etwa: Warum mussten die Menschen sterben? | |
Die Antworten auf derlei Fragen werden immer öfter unter den Teppich | |
gekehrt. | |
Seit Jahren ist es in China gängige Praxis, dass die Behörden nach größeren | |
Katastrophen und Unfällen eine offizielle Aussendung herausgeben, an die | |
sich sämtliche Medien halten müssen. Berichterstattung, die darüber | |
hinausgeht, wird entweder zensiert oder schlicht durch weiträumige | |
Straßenabsperrungen vom Unglücksort unmöglich gemacht. Auf diesem Weg wird | |
auch verhindert, dass die tatsächlichen Ursachen der Tragödien ans | |
Tageslicht kommen: etwa laxe Sicherheitsstandards, Korruption, Profitgier. | |
Da diesmal jedoch die Fernsehzuschauer live zuschauen konnten, wie die | |
Sicherheitsbeamten gegen die Reporter vorgingen, konnte die Zensur die | |
Debatte nicht mehr unter Verschluss halten. Auch die staatliche | |
Journalistenvereinigung äußerte sich ungewöhnlich kritisch. „Wenn es keine | |
Medienberichterstatter gäbe, wie würde die Öffentlichkeit dann die Antwort | |
finden?“, heißt es in einer Stellungnahme vom Donnerstag. „Bei einem so | |
großen Unfall, der die öffentliche Sicherheit betrifft, sind die Menschen | |
gespannt darauf, mehr zu erfahren.“ Doch die „offizielle Pressemitteilung“ | |
könne niemals „umfassend“ sein. | |
Zwischen den Zeilen lieferte die Journalistenvereinigung, die eigentlich | |
unter der Knute der kommunistischen Partei steht, ein Plädoyer für freiere | |
Berichterstattung. In der [2][Kommentarspalte auf der chinesischen | |
Messenger-App Wechat] begründete ein Journalist seine persönlichen Meinung: | |
„Je mehr wir nicht berichten dürfen, desto stärker verbreiten sich die | |
Gerüchte.“ Und tatsächlich ist es ein großes Problem in China, dass niemand | |
mehr den Medienberichten trauen kann, weil die offiziellen | |
Informationen stets vom Staat kontrolliert werden. Das ist ein idealer | |
Nährboden für Verschwörungstheorien. | |
Nur wenige Stunden nach Beginn der Debatte ist der öffentliche Druck derart | |
groß geworden, dass die Lokalregierung sich offiziell für ihr Verhalten | |
entschuldigt hat. „Die schlechten Kommunikationsfähigkeiten unserer | |
Mitarbeiter an vorderster Front und ihre groben Methoden führten zu | |
Missverständnissen bei den Journalisten“, hieß es im typischen | |
Bürokratensprech. | |
Immerhin ist es beachtlich, dass in der Volksrepublik China, welche laut | |
dem Pressefreiheit-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf dem weltweit | |
zweitletzten Platz liegt, nun unverhofft über die Arbeitsbedingungen von | |
Journalisten debattiert wird. | |
Dabei sollte man jedoch nicht naiv sein. Die Zensur der Parteiführung | |
funktioniert ja vor allem deshalb so effizient, weil sie in regelmäßigen | |
Abständen ein Ventil öffnet, damit die Bevölkerung ihren Frust entladen | |
kann – vergleichbar mit einem Topf mit kochendem Wasser, bei dem man kurz | |
vorm Überlaufen den Deckel etwas verschiebt. Dabei bestimmt stets der Staat | |
die Grenzen des Sagbaren. | |
Und die erlaubte Kritik verläuft auch im aktuellen Fall nach einem stets | |
bewährten Narrativ: Schuld hat ausschließlich die Lokalregierung, die ihre | |
Macht ohne das Mitwissen Pekings missbraucht hat. Dass allerdings dieses | |
Fehlverhalten ein inhärente Teil des autoritären Systems ist, darf im | |
öffentlichen Diskurs nicht gesagt werden. | |
Dennoch fürchtet Peking genau das. Immer öfter führt die Paranoia der | |
Behörden gegenüber kritischer Berichterstattung zu absurden Situationen. | |
Selbst nordkoreanische Korrespondenten sind vor der staatlichen | |
Kontrolle nicht sicher: Auch sie wurden bereits von der Polizei verfolgt, | |
sobald sie auf Reportage in der Provinz unterwegs waren. Ihnen half dabei | |
auch nicht, dass sie aus einem Staat stammen, der als einziger auf der Welt | |
noch strenger gegen Journalisten vorgeht als China. | |
17 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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